Klimaliste: War die Parteigründung ein Fehler?
Aktivisten der Klima-Bewegung Fridays for Future (FFF) haben auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz eine Partei gegründet und wollen dort bei den anstehenden Landtagswahlen antreten. Der Grund: Die Initiatoren trauen den Grünen nicht mehr, es gehe alles zu langsam und nur halbherzig voran in Sachen Klimaschutz. Wie steht es um die Erfolgsaussichten der neuen Bewegung? Darüber hat sich der Publizist Wolfgang Storz mit dem Bewegungsforscher Dieter Rucht unterhalten.
Wolfgang Storz: Die erste Frage an Sie, Herr Rucht: Wenn Bewegungs-Aktivisten sich ins parteipolitische Getümmel stürzen: Welche Anfangsfehler müssen sie aus Ihren Erfahrungen und Beobachtungen unbedingt vermeiden?
Dieter Rucht: Wichtig ist die Einsicht, dass Bewegungspolitik und die auf direkte Konkurrenz gründende Parteipolitik zwei Spielfelder mit unterschiedlichen Regeln, Strategien und Erfolgsmaßstäben sind. Das anfangs von den Grünen propagierte Zusammenwirken von außerparlamentarischem „Standbein“ und innerparlamentarischem „Spielbein“ ist eine fragile und nicht auf Dauer tragfähige Konstruktion, selbst wenn inhaltlich große Übereinstimmungen bestehen mögen. Eine zweite Lehre ist die Einsicht in die eng begrenzten Spielräume der Partei- und Regierungspolitik. Diese verlangt Rücksichtnahme auf Wählergunst und konkurrierende innerparteiliche Flügel, sie verlangt vor allen auch Kompromisse zwischen den Parteien. Diese Wellenbrecher dämpfen den Sturm und Drang jugendlicher Aktivist*innen. Das musste die Piratenpartei schmerzhaft erleben. Eine dritte Lehre besteht darin, (Partei-) Politik zu begreifen als das „langsame Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“, so der deutsche Soziologe Max Weber. Zähigkeit, Bereitschaft zur Kärrnerarbeit und taktisches Geschick sind erforderlich. Manchmal muss man auch, metaphorisch gesprochen, über Leichen gehen. Die Steigerung von Feind lautet „Parteifreund“. Viertens: Auf dem langen Marsch durch die Institutionen wird man selbst zur Institution. Die Sorge um den Erhalt der eigenen Organisation, in diesem Fall also der Klimaliste, droht die ursprünglichen Ziele zu verdrängen. Und schließlich sollte bei einer Parteigründung bedacht werden, ob das Revier, in dem man wildern will, nicht schon dicht bejagt wird.
Storz: Woher sollen denn die Stimmen für die Klimaliste kommen, aus welchen Schichten und Milieus? Jemand, der beispielsweise gerne Fridays for Future unterstützt, wählt doch nicht automatisch die Klimaliste.
Rucht: Ökologische Politik wird nicht nur von den Grünen, sondern auch von der Linkspartei und Teilen der SPD vertreten. Zudem gibt es Kleinstparteien, darunter die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) und die Ökologische Linke. Es herrscht also eine drangvolle Enge. In manchen Städten und Regionen könnten neue ökologische Listen und Parteien, die aus dem Umfeld von Fridays for Future hervorgehen, Achtungserfolge erzielen. Auf Landes- und erst recht auf Bundesebene sind die Aussichten allerdings mager.
Storz: Die Klimaliste argumentiert, Klimaschutz sei ein interdisziplinäres Thema, reiche also in das Alltagsleben, berühre den Sozialstaat ebenso wie das Wirtschaftsleben. Trotzdem: Sie ist eine Ein-Punkt-Partei. Nützt oder schadet ihr das?
Rucht: Da das Öko-Thema parteipolitisch bereits abgedeckt ist, könnte sich Klimalisten nur als Spezialisten innerhalb des Öko-Feldes profilieren. Der sachlich richtige Hinweis auf Zusammenhänge mit anderen Politikfeldern, der auch von Feministinnen vertreten wird, hilft per se nicht weiter. In der Konsequenz ergäbe sich daraus, auch in den angrenzenden Politikfeldern Kompetenz zu beanspruchen. Davon ist Fridays for Future samt möglichen parteipolitischen Ablegern weit entfernt.
Storz: Mit Blick auf die möglichen Folgen die Frage: Wie riskant oder wie klug ist diese Parteigründung? Die Optionen: Die Grünen, die bisher immer nur knapp in den Landtag Rheinland-Pfalz gekommen sind, könnten deshalb scheitern. Den Grünen in Baden-Württemberg könnten die entscheidenden Prozente fehlen, um eine neue Regierung zu bilden. Oder: Die Klimaliste kommt in den Landtag und müsste in Stuttgart sogar an Koalitionsverhandlungen beteiligt werden.
Rucht: Unter den gegebenen Umständen halte ich eine neue Parteigründung für einen Fehler. Der notwendige Druck auf die Grünen kann besser durch außerparlamentarische Kräfte, insbesondere Bewegungen, erfolgen. Es bedurfte keiner gesonderten Anti-Atompartei neben den Grünen, um die Energieproduktion qua Atomkraft zu beenden. Die Kalküle um Prozentwerte auf Landesebene sind ein Nebenschauplatz angesichts der grundlegenden Herausforderungen wegen der Erderwärmung und sonstigen globalen Problemen. Radikalität ist angesagt.
Storz: Fakt ist: Die Kräfte, die für Klimaschutz und ein grundsätzlich anderes Wirtschafts- und Konsumverhalten sind, drohen sich zu zersplittern. Schadet oder nützt das dem großen Ziel?
Rucht: „Viele Hunde“, so ein Sprichwort, „sind des Hasen Tod.“ Der entgegengesetzte Spruch heißt: „Arbeiter (zu ersetzen durch Klimaschützer) aller Welt, vereinigt Euch.“ Es hängt von den jeweiligen Umständen ab, welchem Rat man folgen soll und kann. Initiativen und Bewegungen können relativ problemlos kooperieren und sich ergänzen; Parteien sind Konkurrenten in einem Nullsummenspiel. Der Gewinn des einen ist der Verlust der anderen. Koalitionen von Parteien sind primär Bündnisse zum Machterhalt. Inhaltliche Ziele sind im besten Fall sekundär, im schlechtesten Fall rhetorische Schnörkel.
Storz: Welche Wahlerfolge trauen Sie der Klimaliste zu?
Rucht: Insgesamt bin ich skeptisch. Lokale und regionale Ausreißer noch oben sind aber möglich. Und das wiederum ist auf diesen Ebenen abhängig vom Zustand der „Altparteien“ einerseits und dem Personal und Schwung der Außenseiter anderseits.
Das Gespräch mit Dieter Rucht führte Wolfgang Storz. Der Text erschien zuerst auf www.bruchstuecke.info
Bild: Wahlwerbespot der KlimalisteBW zur Landtagswahl 2021 (Youtube-Screenshot)
Anmerkung
Zumindest bei der Klimaliste in Freiburg rumort es kräftig. Mehrere KandidatInnen wollen nicht mehr zur Landtagswahl in Baden-Württemberg am 14.3. antreten, der Vorstand ist heillos zerstritten, wie die Badische Zeitung am 9. Januar berichtete. Anders scheint es vor Ort zu laufen: Im Wahlkreis 56 (Konstanz) tritt Jared Schiffer an, der als Kindergärtner bei der Caritas arbeitet. Im Wahlkreis 57 (Singen) bewirbt sich der Freie Berater im Bereich Telekommunikation Jörn Greszki für ein Mandat im Landtag. In beiden Wahlkreisen konnten die geforderten 75 Unterstützungsunterschriften gesammelt werden.
Mehr zum Thema:
17.12.20 | Die Klimaliste tritt in Konstanz an
17.12.20 | Kommentar: Grünendämmerung bei der Landtagswahl?
16.11.20 | Die Klimaliste – ein Sprengsatz für die Grünen?
Herr Rucht ’s Analyse ist übrigens richtig wie falsch. Richtig wenn man in dem Rahmen und Mechanik der etablierten Parteienlandschaft denkt. Falsch, wenn man davon ausgeht dass so etwas gottgegeben ist und immer so bleiben muss. Meine großen Vorbilder sind DIE PARTEI / Sonneborn / Bülow und Grüne wie Ströbele. Die größten Negativbeispiele sind Gerhard Schröder, Wolfgang Schäuble und Winfried Kretschmann. Diese haben Verrat am Wähler zu einer Excellenz gebracht, die fast schon beeindruckend zu nennen ist.
Als Kandidat der KL-BW im WK57 kann ich zumindest schildern warum ich der Partei beigetreten bin: Jede Partei im bundesdeutschen Rahmen wird irgendwann zur Volkspartei. Damit wird nur noch Mandatserhalt zum obersten Ziel. Notwendige Entscheidungen stehen immer unter dem Vorbehalt ob dies einer „Mitte“ gefallen würde oder nicht. Vom Wähler wird nichts mehr verlangt, es werden nur noch Versprechungen gemacht- die nach dem Wahltermin alle wieder eingesammelt werden. Aus rein existentiellen Gründen müssen aber notwendige Veränderungen in unserem Wirtschaften und Leben herbeigeführt werden, die Umwelt verhandelt nicht und geht auch keine Kompromisse ein.
Mir geht es zu lange um parteitaktische Überlegungen, bis Herr Rucht auf den Punkt kommt: Uns stehen „grundlegende Herausforderungen wegen der Erderwärmung und sonstige Probleme“ bevor. „Radikalität ist angesagt.“ Wobei ich Radikalität durch Konsequenz ersetzen würde. Die Klimaliste BW unterscheidet sich von anderen Parteien, die das Feld mitbespielen wollen, um dort Stimmen zu bekommen dadurch, dass sie ein gesundes und menschenfreundliches Klima als Grundlage für zukünftiges Wirtschaften, solidarisches Zusammenleben, globale Gerechtigkeit ansieht und Dampf machen will, weil die Zeit davon läuft. Deshalb halte ich die Gründung nicht für einen Fehler, sondern für notwendig.
Bei der Landtagskandidatenkür in Konstanz hat eine FfF-Aktivistin in ihrer Bewerbungsrede erwähnt, dass ihr führende Grüne geraten haben doch eine eigene Partei zu gründen“, da die Forderungen der Bewegung zu illusorisch sind für die Realpolitik. – So kann man das natürlich auch machen. Jetzt könnten gerade junge Wähler mit den Prozent Pünktchen abwandern, die vielleicht am Ende fehlen. Wenn auch keine groß geworden ist, von den Abspaltungen der Grünen, aber in den 80/90zigern hatte die schon Einfluss auf die Ergebnisse.
….die Politik der Altgrünen in Stuttgart ist recht überschaubar. Das fußballfeldgroße Loch von Stgt,21 ist immer noch offen, Mietspiegel 15 -20 Euro/qm2, maßloses Verkehrsaufkommen, keine Wohnungen, Feinstaub, Lärm, noch Fragen?
Und genau aus der Erfahrung heraus wie lange es mit den Grünen letzten Endes gedauert hat bis der Atomausstieg letzten Endes kommt (noch ist es kein „kam“), ist es zwingend notwendig eine Partei zu haben, die sich dem Thema Klimaschutz einmal ernsthaft annimmt, und nicht in der laschen Art und Weise wie die Grünen dies seit so vielen Jahren betreiben.
Diese Zeit haben wir nicht.