Klimapolitik in Baden-Württemberg? Eine Wahlprogrammanalyse von FFF

Klimawandel gibt’s bekanntlich nicht nur irgendwo auf den Malediven und in Subsahara-Afrika; auch wir im geschützten Mitteleuropa spüren so langsam die schon seit Jahrzehnten nachgewiesenen Auswirkungen des Menschen auf die klimatischen Bedingungen auf der Erde. Grund genug für Fridays for Future Baden-Württemberg, im Angesicht der anstehenden Landtagswahl das Programm der wichtigsten Parteien in dieser Hinsicht unter die Lupe zu nehmen. Und irgendwie ist dabei alles wie erwartet.

Landtagswahl – Klimawahl?

Wenn (Landtags-)Wahlen anstehen, dann ist ja das bekanntlich Anlass für die antretenden Parteien, ihr eigenes Image ein bisschen aufzupolieren und bei ihren angedachten und erhofften WählerInnen ein bisschen auf Stimmenfang zu gehen. Die daraus resultierenden Wahlprogramme werden zwar nur von einem Bruchteil der Wahlberechtigten gelesen und haben mit den später tatsächlich umgesetzten politischen Maßnahmen zuweilen nur wenig zu tun. Dennoch beziehen sie mal mehr, mal weniger eindeutige Position zu bestimmten Themen, Klientelen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Sie sind also kein schlechter Anzeiger für das, wofür die entsprechenden Parteien stehen wollen – und wofür nicht. Und weil niemand sich durch die ganzen Wahlprogramme durchkämpfen möchte, hat Fridays for Future Baden-Württemberg (FFF) zusammen mit den Scientists, Architects und Parents for Future das getan.

Das Ergebnis ist eine Analyse dessen, wie die jeweiligen in den Landesparlamenten vertretenen Parteien in Sachen Klimagerechtigkeit so gesehen werden möchten. Dabei offenbart der „Klima-Wahlcheck“ leider nur wenig Neues – was ein Problem ist, denn das macht das alles hier ja nicht weniger relevant. Denn wie es FFF auf ihrer Seite ganz schön (?) formuliert: „Die nächsten 5?6 Jahre sind entscheidend, um die Weichen auf 1,5 °C zu stellen und damit gefährliche Kipppunkte im Klimasystem und sich selbst verstärkende Klimakatastrophen zu vermeiden.“

Doch auch wenn die Unkenrufe immer wieder laut werden, das wir hier ja gar nichts ausrichten können und die großen Probleme und Emissionen auch gar nicht in Deutschland lägen. Deutschland hat immer noch einen der höchsten Treibhausgas-Emissionswerte pro Kopf weltweit und eine massive (Export-)Industrie. Und auch wenn unser föderalistisches Chaos zuweilen seltsame politische Stilblüten zutage fördert, haben unsere Landesregierungen Kompetenzen und Möglichkeiten, von denen man in anderen Ländern nur träumen kann. Diese könnte man durchaus auch einmal ausschöpfen, vor allem, wenn es auf Bundesebene nicht vorwärts geht.

Deswegen hier ein tendenziöser und wenig objektiver Zusammenschnitt. Auflistung der Parteien absteigend nach Punktestand gemäß Studie.

Bündnis 90 – Die Grünen

Qua Amt sind die Grünen ja bekanntlich die KlimaschützerInnen vom Dienst und entsprechend schneiden sie – natürlich –am besten im „Klima-Wahlcheck“ ab. Doch auch sie sind nicht nur Ja und Amen aus Sicht von FFF. Die Grünen wollen sich für verschärfte Klimaschutzgesetze einsetzen, mehr BürgerInnenbeteiligung und ein wissenschaftliches Kontrollgremium. Doch auch im Wahlprogramm der Grünen sind die Verbandlungen mit der per se wenig klimafreundlichen Autoindustrie und der omnipräsenten Wirtschaftslobby sichtbar – und natürlich auch der beabsichtigte Stimmenfang im konservativen Lager. So stimmten zum Beispiel im Bereich Mobilität laut Studie zwar die grundsätzlichen Tendenzen; sie böten aber viel zu wenige konkrete Ansatz- und Anreizpunkte. Deckelungen für die ÖPNV-Tarife landesweit sind zwar durchaus sexy, ändern aber nicht viel an der Situation vor Ort – wenn kein Bus kommt, kommt halt kein Bus, und wenn jemand deinen Bahnhof wegrationalisiert hat, kommt der von ein paar Tarifdeckelungen auch nicht wieder. Diese Maßnahmen bringen vor allem Kohorten von BerufspendlerInnen nicht von der Straße runter – und das ist im Autoländle unter Umständen wohl auch so gewollt. Auch die grüne Energiepolitik kommt laut Studie mit vielen „Abers“ daher: wenig konkrete Maßnahmen für vor Ort, wenn’s an Kohleausstieg, erneuerbare Energien etc. geht. Und gerade positive Anreize vor Ort, in den einzelnen Gemeinden, sind Handlungsspielräume, die man als bisherige Landesregierung durchaus hatte.

Denn die unkonkreten Formulierungen mögen sicherlich an den diffusen Zuständigkeiten von Bund und Ländern für die jeweiligen Umsetzungen liegen (und auch daran, dass Ba-Wü nun einmal keine Kohlebauregion ist). Aber konkrete Ansätze, wie sie von FFF gefordert werden, gehen immer auch mit einem Bekenntnis zum Geldausgeben einher – und mit einem starken, regulierenden Staat. Beides sind so Sachen, von denen man im wirtschaftsliberalen, konservativen Ländle eher wenig hören will. Das macht diese Maßnahmen auch und gerade hier vor Ort aber nicht weniger notwendig. Denn mit der Erderwärmung lässt sich nun einmal schlecht verhandeln und wenn die „unsichtbare Hand des Marktes“, wie in manchen Kreisen gefordert, das alles hätte regeln können, dann hätte sie dafür ja auch schon seit den 70er Jahren Zeit gehabt.

Damit befinden sich die Grünen laut Studie also auf einem guten Weg. Eine wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Klimapolitik ohne Grüne wird es, zumal in Baden-Württemberg, nicht geben. Dennoch zeigt das Wahlprogramm auch heute noch die Zerrissenheit zwischen radikalem Umsetzen und Anbiederei an die bürgerlich-konservativen Milieus. Das atmet lustigerweise den Zwist zwischen Fundis und Realos anno dazumal. Die Grünen sind in Baden-Württemberg aber schon längst aus der Rolle des Revoluzzers hervorgestiegen und verstricken sich immer mehr in Kompromisse mit der schwarzen Koalitionspartnerin und der Wirtschaft. Fragt sich nur, ob das Klima die jetzt auch anerkennt und sich irgendwann von selbst regelt.

Die Linke

Klimaschutz ist bis vor wenigen Jahren nur bedingt ein dezidiert „linkes“ Thema gewesen und entsprechend konzentriert sich das Wahlprogramm der Linken auch standesgemäß eher auf soziale Gleichheit. Interessanterweise passt die Koppelung von sozialen und ökologischen Forderungen aber sehr gut. Denn die Verschärfung der Klimakrise ging über die letzten Jahrzehnte auch stets mit einer Verbreiterung der Armutsschere bzw. der immer ungerechteren Verteilung von Vermögen einher. Auffällig ist dabei, dass „Klimaschutz“ heutzutage vor allem da en vogue ist, wo die persönliche CO2-Bilanz zuweilen eher katastrophal ausfällt. Man denke an all die Leute, die „jetzt nur noch ganz wenig Fleisch“ essen und nur noch Bioklamotten kaufen, sich aber doch nicht das Fliegen verbieten lassen wollen. Stattdessen wird dann abfällig auf diejenigen herabgeschaut, die in ungedämmten Wohnblöcken wohnen und sich kein tolles, neues, sparsames (*hust*) oder elektrisches Auto leisten können. Dabei wird häufig vergessen, dass weniger Konsum, egal in welcher Form, immer klimafreundlicher ist als der zigtausendste angeblich so nachhaltige Kaufanreiz. Die Mobilitätswende wird eben nicht durch den drölfzigsten SUV oder Mittelklassewagen herbeigeführt – auch nicht wenn der elektrisch ist oder eine grüne Plakette hat.

Klimaschutz darf nicht nur Thema und Privileg einer oberen Mittelschicht sein, die sich mühelos zwischen Bioladen und Discounter, zwischen Billigmilch und Stählerner Kuh entscheiden kann. Denn da bringt er wenig. Klimagerechtigkeit heißt auch, dass diejenigen dafür zahlen müssen, die die Entwicklungen und wissenschaftlichen Forschungen der letzten Jahrzehnte verschlafen, ignoriert oder aktiv dagegen lobbyiert haben. Dass nicht diejenigen die Suppe auslöffeln, die sie sich nicht eingebrockt haben und die dafür auch gar nicht das notwendige Kapital haben. Konkret: Man muss den Daimler nicht mit Steuergeldern auf Biegen und Brechen nachhaltig machen, wenn der vorher nicht nur alle wirtschaftlichen Entwicklungen verschlafen, sondern auch grobe VerbraucherInnentäuschung betrieben hat. Und wenn man dann noch klimaschädliche Luxuskonsumprodukte vertreibt, kann man sich als Bundes- und Landesregierung schon auch mal fragen, ob man sowas noch subventionieren will; vor allem wenn das Geld an anderer Stelle dringend fehlt und unmittelbar produktiv eingesetzt werden kann.

Das sagt die Linke im Programm zwar nicht so konkret, aber der Tonus ist durchaus die Richtung. Auffällig ist dabei, dass sich die Partei in ihrem Programm im Gegensatz zu den Grünen nicht als Anwärter für die Regierung geriert. Das ist jetzt kein Wunder, aber hat im Rahmen der Studie Einfluss auf die Bewertung. Dadurch dass sich im Wahlprogramm ein Haufen Forderungen aus der Oppositionsperspektive findet und wenig konkret faktische Pläne für die Regierung der kommenden Legislaturperiode, fehlt den KlimaforscherInnen von Scientists for Future natürlich auch das „Wie“ für die Umsetzung. Dabei sind die Forderungen nach gerechter Umverteilung von Vermögen, solidarisches Miteinander, Stärkung von lokalen und regionalen Strukturen aus sich heraus schon klimafreundlich – aber natürlich nur, wenn sie mit den entsprechenden weiteren Maßnahmen einhergeht. Denn den großen Rahmen hat die Linke hier schon abgesteckt: Sie sind diejenigen mit dem nächstliegenden geforderten Datum für Klimaneutralität (2035) und liefern ebenso einen Masterplan zur Finanzierung der entstehenden Kosten. Denn Klimapolitik kostet einen Riesenhaufen Geld und braucht gerechte Finanzierungsmethoden, die eben nicht nur aus einer wüsten Verschluderung von Energiegesetzen und Der-Markt-macht-das-schon-Technologien bestehen kann. Dafür wäre in den 70ern Zeit im Rahmen eines politischen Nebenschauplatzes gewesen.

SPD

Die SPD kämpft bekanntlich in Baden-Württemberg nicht erst seit ihrem Niedergang als „große Volkspartei“ auf Bundesebene. Im Kleinen sind hier das Heischen nach Anerkennung und das Bestreben, es irgendwie allen recht zu machen, an jeder Stelle des Wahlprogramms spürbar. Diese Quadratur des Kreises funktioniert aus Sicht der der KlimaforscherInnen eher weniger gut: Die SPD liegt in Sachen Klimascore in etwa auf Höhe der Linken (und beide weit abgeschlagen von den Grünen). Während aber die Linken eine Idee, ein Profil, einen Masterplan haben, mäandert die SPD nur zwischen WählerInnenzielgruppen, AktionärInnen und Lobbys hin und her, um ja keine Angriffspunkte zu bieten. Aber so richtig viel dabei hängen bleibt eben auch nicht.

CDU/FDP

Diese Form von Rumgeeier findet sich auch bei den selbst proklamiert wirtschaftsnahsten Parteien, CDU und FDP, die hier ob ihrer ähnlichen Probleme einmal zusammengefasst werden sollen. Beide wehren sich, mal mehr, mal weniger ausgeprägt, gegen vermehrte staatliche Maßnahmen für Klimaschutz und setzen auf eigenständige technologische Entwicklungen und Einzelverantwortung. Das kann man jetzt finden, wie man möchte. Das Hauptproblem ist hier aber vielmehr, dass es für die Entwicklung dieser Technologien keinen Masterplan und kein explizit gefördertes Umfeld geben soll. Das soll alles aus sich heraus passieren und sich selbst regulieren. Diese Form von Bauchpinselei und Realitätsverkennung ist absurd und in diesem Falle gefährlich. Auch wenn die CDU auf Instagram hier anderer Meinung ist: „Alle reden über Klimaschutz. Wir setzen ihn seit 35 Jahren um.“ [[https://www.instagram.com/p/BxzItaGn-iV/?hl=de]]) Die FDP hat in der Hinsicht vermutlich völlig aufgegeben und sich mit ihrem Corporate Design zur Landtagswahl irgendwo zwischen 60er Jahre Psychedelic Rock und Ravensburger Spieleland auch beim Design auf die Ebene befördert, die sie in Sachen Selbstreflexion verkörpert.

Denn wenn man den Grünen Inkonsequenz und Anbiederung an Wirtschaft und bürgerliche, konservative Lager vorwirft, können CDU und FDP hier wohl keinen Blumentopf mehr gewinnen – oder sehr viele, das kommt natürlich auf die Perspektive an. Beide Parteien stehen seit Jahren für Lippenbekenntnisse, Symbolpolitik und das bewusste Blockieren von effektiven Klimaschutzmaßnahmen auf ganzer Linie. Die CDU sieht den Wald vor lauter gutbürgerlichen Geranientöpfen nicht mehr, ruht sich auf dem Status quo aus und beweist abseits von Angie völlige Unfähigkeit im Management von Krisen. Die Priorisierung von Maßnahmen läuft in den beiden wirtschaftsnahsten Parteien völlig quer zu den Erkenntnissen der Wissenschaft und läuft nur entweder als Wohlfühlklimaschutz, der ja keinem wehtun soll, oder als Bedürfnisbefriedigung engster Lobbyarbeit.

Dabei hat ja keiner was davon, wenn faktisch nicht zukunftsfähige Industriezweige wie Kohle und Verbrennermotoren künstlich subventioniert und am Leben erhalten werden. Wenn solche Industrien nicht in nachhaltige Bereiche und Wirtschaftsformen überführt werden, hat man tatsächlich das Problem, dass die Beschäftigten in den Branchen irgendwann vor dem Aus stehen. Das ist kein nachhaltiges Handeln, und zwar nicht im ökologischen Baumkuschler-Sinne, sondern auf ganz profan wirtschaftlicher Ebene, wo ich mir überlege, ob mein Unternehmen in ein paar Jahren so noch existieren kann oder ob ich dann wie ein Schmarotzer am staatlichen Gnadenbrot hängen muss.

AfD

Das hier ist ein Artikel zu Klimapolitik und -gerechtigkeit im Wahlprogramm. Die AfD hat keine Klimapolitik. So richtig habe ich auch noch nicht verstanden, ob die AfD ein wirkliches Wahlprogramm hat.

Und jetzt?

An sich nichts Neues unter der Sonne (außer, dass es halt weiter wärmer wird). Aber gerade in dieser wissenschaftlich belegbaren, eindeutigen Lage sind die politischen Reaktionen stellenweise schon erschreckend. Dazu liegt der Vergleich mit Corona in Sachen Krisenmanagement nahe. Hier haben sich einige AkteurInnen der Landespolitik nicht gerade mit Ruhm bekleckert, weil sie sich völlig im Sumpf von Selbstfixiertheit und Gefälligkeitspolitik verstrickt und dabei völlig außen vor gelassen haben, dass wir hier gerade echten, substantiellen Probleme gegenüberstehen, die auch Jahre später nachwirken werden. Praktischerweise gibt es nicht nur in der Epidemiologie, sondern auch in der Klimaforschung ein paar sehr schlaue Menschen, die ihr Fachgebiet mal studiert und gelernt haben. Und wenn die ordentliche Arbeiten und Studien zu ihren Fachgebieten vorlegen – und das über Jahrzehnte hinweg durch die Bank tun –, dann ist auf politischer Ebene der Zeitpunkt gekommen, ein wenig Selbstreflexion zu üben und das eigene Ego beiseite zu stellen. Vielleicht scheinen einige der für die Landtagswahl antretenden politischen AkteurInnen ja dazu in der Lage zu sein. Zeit ist es zumindest.

MM/jh (Bild: Fridays for Future Konstanz)


Link zur Studie; hier auch die entsprechenden Wahlprogramme der Parteien