Wir können alles außer impfen

Selfiefreund trifft Impffeind – Stuttgarter „Querdenken“-Demo am 9. Mai. Foto: Jens Volle

Nirgendwo in Deutschland ist die Impfquote niedriger als in Baden-Württemberg. Will man verstehen, wo die schwäbische Impfparanoia ihren Ursprung hat, sollte man vor allem die Anthroposophie Rudolf Steiners in den Blick nehmen.

Als im Frühjahr ausgerechnet im Corona-Hotspot Baden-Württemberg der Pandemie-Protest erblühte und sich in Stuttgart zigtausende zu „Querdenken“-Demos versammelten, war die Ratlosigkeit groß: Dabei ist es kein Zufall, dass ausgerechnet Heimat der Kehrwoche zur Hauptstadt der Hygienedemos wurde, einte doch das bunte Protest-Publikum unübersehbar ein Thema: Die Allergie gegen das Impfen. Dass diese Angst besonders im Südwesten auf fruchtbaren Boden fällt, ist kein Wunder, wird sie hier doch seit langem biologisch-dynamisch gedüngt. Die Panik vor dem Pieks ist so alt wie die Geschichte des Impfens und die Parallelen zu den Protesten gegen den Pockenschutz vor 150 Jahren frappierend.

Die schrille Impfkritik Ken Jebsens, der bei einem der „Querdenken“-Aufmärsche in Stuttgart als Stargast sprach, gleicht beispielsweise bis in die Wortwahl dem Ahnherrn der deutschen Impfkritik, Hugo Wegener. Der Herausgeber der Zeitschrift „Die Impffrage“ warnte vor mehr als 100 Jahren ganz im Stil Jebsens davor, Kindern gegen den Willen der Eltern „Gift in die Blutbahn“ zu jagen. Seine populären Bücher sammelten Berichte über angebliche Pocken-Impfopfer mit dem erklärten Ziel, Mütter in Angst und Schrecken zu versetzen. Der Frankfurter Ingenieur war Teil einer breiten, vor allem von Laien getragenen Bewegung, die in Verbänden mit Hunderttausenden Mitgliedern organisiert waren. Der Wunsch, die Autonomie über den eigenen Körper gegen die fremde Expertise der Medizin zu verteidigen, ist bis heute ein starkes Motiv der Impfkritik. 1798 war es dem britischen Arzt Edward Jenner erstmals gelungen, Kinder durch die Injektion von Kuhpocken vor der gefährlichen Infektionskrankheit zu schützen. Die medizinische Revolution zu Beginn der Aufklärung stieß trotz ihres Erfolg auf große Skepsis. Obwohl im 19. Jahrhundert noch bis zu einem Fünftel der Kinder an Pocken starben und die Epidemie in Deutschland zu Beginn des Kaiserreiches über 180.000 Menschenleben forderte, gab es anhaltenden Widerstand gegen die Impfpflicht, mit der Reichskanzler Otto von Bismarck dem Virus 1874 zu Leibe rückte. Ähnlich wie in England, wo die Impfgegner bis zu 100.000 Demonstranten versammelten. Dort versuchte man, mit Petitionen Druck auf das Parlament auszuüben und mit internationalen Kongressen die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

In Stuttgart trifft sich die Elite der Impfkritik

An diese Tradition wird in Stuttgart bereits seit längerer Zeit wieder angeknüpft. Bereits zwölf Mal traf sich hier die Crème de la Crème der Impfkritik zum Stuttgarter Impfsymposium. Die medizinische Subkultur tagt weitgehend ohne kritische Begleitung der Medien, scheint aber unter dem Radar ihre Wirkung zu entfalten. Nirgendwo in Deutschland ist die Masern-Impfquote niedriger als in Baden-Württemberg. Bei Schuleintritt liegt sie mit 89,7 Prozent deutlich unter der von der WHO empfohlenen Rate von 95 Prozent. Aber auch bei keiner der anderen 13 wichtigsten Infektionskrankheiten wurde 2019 eine Impfquote von 90 Prozent erreicht.

Das impfkritische Bündnis der Kaiserzeit ist der sozialliberalnationalen Allianz der Corona-Proteste zum Verwechseln ähnlich: Wie der als Corona-Rebell gefeierte Wolfgang Wodarg lehnten auch damals einzelne sozialdemokratische Gesundheitspolitiker Impfungen als reine Symptombekämpfung ab. Stattdessen müsse man die eigentlichen Ursachen der Krankheit wie die Armut und die ungesunden Lebensverhältnisse der Stadtbevölkerung in den Blick nehmen. Diese Sozialpolitiker waren schon damals im Bund mit liberalen Impfkritikern, die in der Impflicht einen Angriff auf die Freiheit und Mündigkeit der Bürger sahen. Heute ist der liberale Wirtschaftsprofessor Stefan Homburg einer der lautesten Kritiker des Lockdowns.

Schon im 19. Jahrhundert gab es Unterstützung von ganz rechts. Einer der berüchtigsten Antisemiten und ein wichtiger Vordenker der nationalsozialistischen Rassenlehre, Eugen Dühring, behauptete, das Impfen sei ein Aberglaube, der von jüdischen Ärzten geschürt werde, um sich zu bereichern. Heute unterstellt man dies Bill Gates. Die weitaus stärkste Fraktion der Impfgegner bildete aber die Lebensreformbewegung, die unter dem Motto „Zurück zur Natur“ einen radikalen Bruch mit der Lebensweise der autoritären wilhelminischen Industriegesellschaft propagierte. Die an Verstädterung, Armutsmigration und Massenkultur „erkrankte“ Gesellschaft sollte an und mit der Natur geheilt werden. Mit Freikörperkult und Vegetarismus, Gartenstädten und alternativer Medizin. Die modernen Arzneien hießen Luft, Sonne, Wasser und giftfreie Diät, schrieb Heinrich Molenaar, der Präsident des Impfgegner-Bundes.

Als Gift erscheinen dagegen Schmutz und Lärm der Stadt, Rausch- und Genussmittel, Medikamentensucht der Schulmedizin, kurz alles Künstliche der Moderne. Im Impfen verdichteten sich für die Lebensreformer alle Probleme moderner ungesunder Lebensweise. Ein gesunder Körper werde mit Erregern vergiftet, was eine natürliche Immunisierung verhindere und Hygiene beziehungsweise gesunde Lebensweise überflüssig mache.

Doch die Natur taugt nur dann als Richtschnur für ein gesundes und richtiges Leben, wenn sie radikal romantisiert wird. Dass sie in Wahrheit ihre menschlichen Mitbewohner seit jeher mitleidlos mit tödlichen Krankheiten überzieht, müssen die zivilisationsmüden Lebensreformer konsequent ausblenden. Nüchtern betrachtet, würde die Orientierung an natürlichen Lebensweisen zu einem brutalen Überlebenskampf führen. Nix alternativer Streichelzoo. Survival of the fittest.

Nicht umsonst inspirierten die medizinischen Ideen der Lebensreformer bis in die Gegenwart immer wieder nicht nur alternative „grüne“ Strömungen, sondern erfreuten sich auch bei den Nationalsozialisten großer Beliebtheit.

Anthroposophen und Waldorfbewegung: in Stuttgarts akademisch-grünen Milieus bestens verankert. Foto: Joachim E. Röttgers

Ihre Naturverherrlichung bot hervorragende Anknüpfungspunkte für die NS-Rassentheorie und ihre These von natürlicher Auslese. Kneippianer, Homöopathen, Anthroposophen und andere Naturheiler wurden zeitweilig in der Arbeitsgemeinschaft Neue deutsche Heilkunde zusammengeführt mit dem Ziel einer neuen Synthese zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde.

Heute sind die Grünen die natürliche Heimat aller Anhänger alternativer Heilmethoden, was politischen Gegnern immer wieder Anlass für Sticheleien gibt, vor allem angesichts der niedrigen Impfquote im grün regierten Südwesten. Doch selten gerät dabei der „elephant in the room“ in den Focus: die einflussreiche Anthroposophie. Die okkulte Lehre Rudolf Steiners ist direkt aus der Bewegung der Lebensreformer hervorgegangen und verspricht bis heute ihrer Kundschaft eine andere, irgendwie natürlichere Medizin, Landwirtschaft und Schule.

Oft brechen Kinderkrankheiten an Waldorfschulen aus

Seit vor 100 Jahren auf der Stuttgarter Uhlandshöhe die erste Waldorfschule gegründet wurde, gilt Stuttgart als so etwas wie die Hauptstadt der eurythmischen Bewegung. Hier ging das Bürgertum eine anhaltende Liaison mit Steiners Esoterik ein. Die „Waldis“ sind hier vor allem in den akademischen grünen Milieus bestens verankert und prägen ein spezifisches Stuttgarter Klima alternativer Spießbürgerlichkeit. Dieses harmlose Image verstellt allerdings den Blick auf die Abgründe von Steiners Okkultismus, der neben Schule und Landwirtschaft in der Medizin ein zentrales Anwendungsgebiet hat und einen Gutteil dazu beiträgt, dass die Impfquoten in Baden-Württemberg so niedrig sind.

Dabei grenzen sich die anthroposophischen Oberärzte in den offiziellen Stellungnahmen der Fachgesellschaft klar ab von ordinären Impfgegnern. Die Segnungen des modernen Infektionsschutzes werden gewürdigt, selbst die lange bekämpfte gesetzliche Pflicht, Kinder vor Besuch von Schulen und Kita gegen Masern zu impfen, wird von führenden anthroposophischen Medizinern wie Georg Soldner akzeptiert.

Doch das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit: Gleichzeitig unterstützt der von dem anthroposophischen Kinderarzt Michael Friedl geführte Verein „Ärzte für individuelle Impfentscheidung“ aktuell die Verfassungsklage gegen die Masernimpfpflicht. „Wir sind freie Bürger, die frei entscheiden, ob sie sich impfen lassen oder nicht“, sagte auch der anthroposophische Vordenker Christoph Hueck auf der Stuttgarter „Querdenken“-Demo im Mai. „Wir haben die Gehirnwäsche und das diktatorische Regierungshandeln satt“, polterte der Mitbegründer der Akanthos-Akademie gegen die Corona-Maßnahmen – und erklärte, einem guten Immunsystem könne das Corona-Virus nichts anhaben. Man werde jedenfalls kein Versuchskaninchen abgeben für neue Impfstoffe.

Hueck bildet Lehrer für die Waldorfschule aus. Die hat auch der Rednerkollege und Mit-„Querdenker“ Ken Jebsen besucht. Immer wieder war er dort in den letzten Jahren auch als Vortragsredner zu Gast. Und immer wieder haben sich auch die Masern in den letzten Jahren an Waldorfschulen blicken lassen wie zuletzt in Hildesheim, Freiburg oder Köln. Laut einer Untersuchung des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg waren an Waldorfschulen stolze 30 Prozent der Kinder nicht geimpft. An staatlichen Schulen sind es gerade mal fünf Prozent. Auffallend selten wird bei den Masernausbrüchen erwähnt, dass die hochansteckende und gefährliche Kinderkrankheit (130.000 Tote jährlich) sehr oft an den anthroposophischen Steiner-Schulen ausbricht. Dass dahinter die „ergebnisoffene, neutrale und individuelle“ Beratung durch anthroposophische Ärzte steckt, liegt auf der Hand. Anthroposophische Medizin verursache Masern-Ausbrüche, konstatierte kurz und bündig schon vor zehn Jahren in der „Medizinischen Wochenzeitschrift“ Professor Edzard Ernst, der erste Lehrstuhlinhaber für Alternativmedizin.

Da geht die okkulte Luzi ab

Warum die Steiner-Gemeinde so verbissen um die Ansteckungsfreiheit und gegen Impfzwang kämpft, kann nur verstehen, wer in die Abgründe des Steiner’schen Okkultismus hinabsteigt. Den hält man der Öffentlichkeit nicht allzu offensiv vor die Nase, schließlich hängen auch die Waldorfschulen am staatlichen Tropf. Allzu obskure Inhalte könnten die Steuerzahler verunsichern. Deshalb hat man sich eine Art anthroposophischen Doppelsprech angewöhnt. In den offiziellen Stellungnahmen für die Öffentlichkeit gibt man sich gern einen seriösen wissenschaftlichen Anstrich und verwässert die Steiner-Esoterik zu harmlosen Allerweltsweisheiten. In den Original-Schriften und Zeitschriften geht dagegen die okkulte Luzi ab. Im Fall der Masern heißt es offiziell, wer Kinderkrankheiten durchstehe statt sie zu unterdrücken, stärke sein Immunsystem und fördere die kindliche Entwicklung.

Abstand halten mit Hula-Hoop und Herzchen auf dem Cannstatter Wasen. Foto: Jens Volle

Dahinter verbirgt sich jedoch eine viel abgründigere These Steiners, die mit herkömmlicher Medizin nicht das Geringste zu tun hat. Danach inkarniert sich das Ich des Menschen im Lauf der Zeit immer wieder in neue Leiber. Deshalb müsse man es dem Kind in den ersten Lebensjahren ermöglichen, sich durch fieberhafte Masernerkrankung quasi in seinem Leib einzurichten und diesen zu individualisieren. Dass das auch genau so gemeint ist, erklärt in der Februar-Ausgabe der waldorfpädagogischen Zeitschrift „Erziehungskunst“ die anthroposophische Ärztin Daphné von Boch: Ein Neugeborenes bestehe nämlich noch ganz aus mütterlichem Eiweiß und drohe deshalb von der Mutter „überwältigt“ und „fremd gesteuert“ zu werden. Erst das Masern-Fieber zerstöre das mütterliche und mache so Platz für das eigene Eiweiß, das dem individuellen geistigen Wesen entspreche.

Die Fachgesellsellschaft für Kindermedizin warnt auf Anfrage davor, solche steilen Thesen überhaupt zum Thema von Berichterstattung zu machen. Sie stehen dafür sicher auf dem Lehrplan der anthroposophischen Ärzteausbildung, wo Daphne von Boch angehenden MedizinerInnen beibringt, wie man mit Planetenmetallen heilt.

Hin und her gerissen zwischen Gesetzestreue und Steiner-Gehorsam zeigen sich die führenden anthroposophischen Mediziner durchaus flexibel: Es müssten ja nicht unbedingt die Masern sein, die man dem Kind zukommen lassen solle, kann man in aktuellen Stellungnahmen nachlesen. Eine Lungenentzündung tue es auch. Hauptsache, das Kind fiebert. Und dabei geht es nicht nur um das Immunsystem.

Krankheiten haben im ewigen Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt in der anthroposophischen Medizin einen erzieherischen Sinn. Sie sind karmischer Ausgleich für Fehlverhalten im letzten Leben: Zu starkes Selbstgefühl kann nach der Wiedergeburt zu Cholera führen, sinnliche Ausschweifung zur Lungenentzündung, wer im vorherigen Leben zu selten musiziert hat, leidet jetzt unter Asthma, wer zu wenig Interesse an Sternen und Himmelsvorgängen gezeigt hat, wird mit Bindegewebsschwäche gestraft. Keine Comedy, sondern Anthroposophie.

Corona-Virus – ein Angriff des Teufels

Das Lachen vergeht einem allerdings, wenn man nachliest, mit welch okkult-rassistischem Irrsinn der selbsternannte Hellseher den Ursprung von Infektionskrankheiten „erklärt“. Wie alle Organismen, die sich in anderen Organismen ansiedeln, sind Bazillen und Viren teuflischer Natur – oder „genauer gesagt“ geistige Dämonen und Verwesungsprodukte untergegangener minderwertiger Völker wie zum Beispiel der „Mongolenrasse“. Die trug die Bazillen in ihrem von Fäulnis gezeichneten Astralleib und infizierte bei den großen Völkerwanderungen unter anderem die fortgeschrittenen Rassen von Germanen. Die degenerierten Asiaten luden ihre Fäulnisstoffe auf die europäischen Astralleiber.

Dieser Seuchen-Irrsinn Steiners wird von Anthroposophen anlässlich der Corona-Krise neu aufgelegt: Das Corona-Virus wird in einem Youtube-Vortrag als spiritueller Angriff des Teufels auf die Menschheit gedeutet, der aktuell seine Inkarnation vorbereite. Mit Geld und Macht, Furcht und Lüge mache er die Menschen erst empfänglich für das Virus, mit dem ein starkes Immunsystem locker fertig werde. „Querdenker“ Christoph Hueck weist in einem Corona-Aufsatz darauf hin, dass Infektionskrankheiten laut Steiner als Botschaft der geistigen Welt zu betrachten sind: Der Mensch suche sie gezielt auf, ja benötige sie förmlich, um in der Auseinandersetzung und Überwindung mit seinem Schicksal zu wachsen. Wer verderbten Neigungen wie Egoismus gefrönt hat, infiziere sich leichter.

Ob sie wissen, dass Impfen auch fürs Karma nix ist? „Querdenker“ am 30. Mai. Foto: Joachim E. Röttgers

Bazillen breiten sich nur aus, wenn man materialistische Vorstellungen und eine egoistische Furcht pflege und mit in den Schlaf nimmt. Dann können teuflische ahrimanische Kräfte in die Organe hineinstrahlen, die die Bazillen mästen: Es gelte also, sich mit spirituellen Vorstellungen schlafen zu legen, sich dem Sonnenlicht auszusetzen und überhaupt viele hoffnungsvolle eurythmische Bewegungen zu vollziehen.

Impfung dagegen könne taub machen für die karmischen Botschaften. Wer sich auf diese Weise vor Krankheiten schützt, der erfreut sich vielleicht seiner Gesundheit, aber ihm droht nach Steiner der Reinkarnations-Stillstand. Deshalb suchen den durchgeimpften Menschen zwar nicht die Pocken, aber seelische Verödung heim. Diesen Impfschaden kann man nur durch den Besuch einer Waldorfschule ausgleichen.

Man muss Krankheit übrigens gar nicht unbedingt besiegen, um von ihr zu profitieren. Sollte man beispielsweise früh dahingerafft werden, entfaltet die Krankheitserfahrung ihre segensreiche Wirkung eben im Dasein nach dem Tod und befördert uns im nächsten Leben auf die Überholspur.

Organeinreibekurse auf Elba

Der Vorteile von Krankheit, Leid und Tod werden zuweilen in so leuchtenden Farben geschildert, dass Steiner und Hueck sich zwischendurch gezwungen sehen, dem Leser zu versichern, dass grundsätzlich gegen Heilen und Helfen nichts einzuwenden sei. Nur könne es eben nicht darum gehen, Leiden generell aus der Welt zu schaffen, zu wertvoll seien die geistigen Impulse, die man daraus schöpfe.

Zur Erinnerung: Diese anthroposophische Pseudo-Medizin ist eine gesetzlich anerkannten Therapierichtung, zu der sich normale Mediziner weiterbilden lassen können, wenn sie ein von anthroposophischen Institutionen zertifiziertes Kursprogramm belegen: Aktuell kann man dort „die sieben Chakren und die Seelenprozesse“ studieren und Organeinreibe-Kurse auf Elba belegen.

Bislang verschließt man im Südwesten vor den esoterischen Abgründen der Steiner’schen Lehre fest die Augen. Solange sie offenen Antisemitismus und Rassismus vermeiden, sind die Anthroposophen wohlgelitten. Die grüne Landesspitze machte zum 100. Geburtstag der Waldorfschule brav ihre Aufwartung. Schließlich handelt es sich um einen schwäbischen Exportschlager. Dass ein ziemlich direkter Weg von den harmlosen Pastellfarben der Waldorfschule zur gefährlich-finsteren Impfparanoia der „Querdenken“-Demos führt, sollte endlich auch in Stuttgart Gegenstand einer kritischen Debatte werden.

Dietrich Krauß


Zuerst erschienen bei Kontext-Wochenzeitung. Der Autor, 1965 in Gerabronn geboren, ist Doktor der politischen Philosophie, Journalist und Rechercheur für „Die Anstalt“.  Das Trio Krauß, Max Uthoff und Claus von Wagner hat unter anderem den Grimme-Preis und zuletzt den Medienpreis der Deutschen Umwelthilfe (DUH) erhalten.