Radikalisierungsprozesse: So rekrutiert die moderne Rechte

Oberflächlich nimmt sich das Allgäu beschaulich aus und gibt Vermutungen rechter Umtriebe wenig Anlass. Unter der Fassade ländlicher Abgeschiedenheit begegnet dem interessierten Blick jedoch die aktivste Szene Bayerns, die zudem mit rechten Strukturen weit über die Region bestens vernetzt ist. An einem Abend in der Infokneipe stand neben der thematischen Einführung vor allem das Phänomen rechter Musik als Medium der Verbreitung und Rekrutierung im Fokus.

Teil I – Einführung und Musik

Zwar ist auf der großen Bühne politischer Sonntagsreden die Inanspruchnahme der Brandmauer gegen Rechts mittlerweile in alle Munde, jedoch lassen sich gerade auf der lokalen Ebene diverse Mängel in der Bausubstanz dieser Grundfeste ausmachen. So schaffen es rechtsextreme Akteure des Öfteren nicht nur, in ländlichen Gebieten mit ihren Strukturen Fuß zu fassen und das öffentliche Leben an sich zu reißen, sondern zugleich von der lokalen Politik als unproblematischer Kooperationspartner akzeptiert zu werden.1

Veranstaltungen der Rechtsextremen werden unter diesen Voraussetzungen eher gebilligt, Überschreitungen übersehen oder als impulsives Normalverhalten der Jugend relativiert: So etablieren sich aber nicht nur rechtsextreme Akteure im jeweiligen Stadt- und Dorfbild und prägen diese, es wird ihnen auch ein Boden geboten, auf dem sie ihre Ideologie in die Öffentlichkeit tragen können.

Fadenscheinige Deckmäntel

Wie aber schaffen es Rechte, ihr Gedankengut zu verbreiten und zu normalisieren? In einer dreiteiligen Vortragsreihe2 widmet sich die Konstanzer Infokneipe in Contrast mit Unterstützung des Recherchenetzwerks Allgäu Rechtsaußen genau dieser Frage.3 Der Journalist Sebastian Lipp, selbst aktiv auf der Plattform, gibt in drei Modulen Einblick.

Ein Weg der Verbreitung ist die Musik, die im Fokus des ersten Abends stand. Diesen Donnerstag wird es dann um die Verbindungen zu völkisch-esoterischen Bewegungen gehen, die eine Schlagseite ins grün-alternative Milieu aufweisen. Obskuritäten, wie sie sich unter anderem in der Anastasia-Bewegung zeigen, standen bereits an einem anderen Abend im Fokus.4

Grundsätzlich ist zu bedenken, dass die extreme Rechte mittlerweile darauf bedacht ist, ihr Erscheinungsbild zu modernisieren, um so ihre Einflusssphäre zu verbreitern und für andere Szenen anschlussfähig zu werden. Ziel ist es, die so genannte bürgerliche Mitte bis hin zu jenen Menschen, denen die alltäglichen Krisen zu schaffen machen, nicht mehr durch plumpe Aggressivität und Martialität abzuschrecken, sondern sie mit Hilfe einer gemäßigten Fassade in der Formsprache der Moderne anzulocken und langsam ideologisch einzufangen.

Strategie der Anpassung

Auch wenn es gewiss immer noch den klassischen Typ des Springerstiefel-Bomberjacken-Dorfnazis gibt, hat sich die Phänomenologie des Rechtsextremen heutzutage ausdifferenziert. Neben radikalen T-Shirt-Motti im Vokabular der SS stehen kleine Symbole, die kaum mehr wahrnehmbar sind, neben der Berliner-Hippster-Szene-Optik der Identitären stehen quasi-militaristische Einordnungen in regionale Divisionen. Zwar sehen Nazis nun also teils anders aus, sie geben sich aber noch zu erkennen. Die optische Frischzellenkur dient wiederum dazu, weniger abzuschrecken und sich ohne aufzufallen in anderen Szenen bewegen zu können. Diese Strategie der Anpassung an andere Milieus dient im Fall der Identitären dazu, leichter mit Jugendlichen Kontakt zu treten und Barrieren minimieren.

Im Rahmen der Musik lässt sich eine analoge Taktik der extremen Rechten ausmachen. Einerseits versucht sie ihren inneren Kern in Konzerten und Festivals zu versammeln, zu vernetzen und ideologisch zu festigen. So konnten sich auf Rechtsrockkonzerten im ländlichen thüringischen Raum Neonazis quer aus Europa sammeln. Diese Großereignisse sind eben nicht nur eine willkommene Finanzquelle, sondern auch ein Ort der Vernetzung und überregionalen Verbindung. Gemäß der klassischen Organisationssoziologie ist anzunehmen, dass sich diese Formen der inneren Integration wiederum durch aggressive Schärfe auszeichnen.

Verdeckt gemachte Aufnahmen aus diesen Festivals zeigen dann auch Nazis, wie sie klassische Nazi-Dinge tun – ohne damit allzu großen Unmut der lokalen Politik oder Polizei zu erregen. Die zentrale Funktion von linken Rechercheplattformen wie Allgäu Rechtsaußen wird dadurch offensichtlich, dass ohne ihre Arbeit die Organisationsstrukturen und Praktiken der Rechten im lokalen Raum an der Peripherie verdeckt blieben. Antifaschismus ist eben doch Basisarbeit.

Alter Wein, andere Schläuche

Nach außen lässt sich eine gänzlich andere Strategie der Rechten in Hinsicht der Musik ausmachen, die mittels Formen der Adaption und Imitation agiert: Neben populären, weichgespülten Varianten des Rechtsrocks gibt es Versuche, in andere musikalische Nischen vorzustoßen. Dabei geht es nicht nur um die eher kleinen Milieus wie NS-Black Metal, Neo-Folk und Martial Industrial, sondern auch um tanzbare musikalische Formen wie Oi, Ska und HipHop bis hin zum volkstümeligen Schlager.

Der auch im Allgäu aktive NS-Rapper Chris Ares konnte trotz offenkundiger problematischer Anzeichen einen Verbreitungsgrad erreichen, der, zumindest gemessen an Listenplatzierungen auf den entsprechenden Streamingplattformen, gewöhnlichen rechtslastigen Musikerzeugnissen nur sehr selten zu Teil wurde. Andere Bands versuchen, ihre Gesinnung als Jugendsünden abzutun und sich als geläutert im Sinne des Humanismus zu geben, ohne jedoch das Spiel mit Facetten und Chiffren rechtsextremer Provenienz gänzlich zu unterlassen. Gleichzeitig belassen es Akteure wie Freiwild bei Andeutungen, deren Vagheit Kritik Angriffsflächen entziehen soll.

Musik als Vehikel

All die öffentlichen Diskurse, ob und wenn ja wie sehr nun diese Bands rechts sind, zeigt den Erfolg dieser Taktik. Auch wenn das Spektrum musikalischer Angebote offenkundig weit ist, liegt dahinter die klare Absicht, auf dem Vehikel der Musik in andere Szenen zu diffundieren. In diesen populären Varianten wird die Ideologie in sublimen, kryptischen Fragmenten verwand, in Symbolen und Andeutungen. In der weiteren ideologischen Verführung kann dann auf diesen Fundamenten aufgebaut werden.

Das Entstehen und die Verbreitung dieser Musik braucht Verlage und Labels, und ein in diesem Unterfangen recht erfolgreiches Projekt befindet sich im Allgäu. Es hilft nicht nur bei der Produktion, sondern es vernetzt auch europaweit rechtsextreme Strukturen und Akteure. Im Katalog lassen sich selbst radikale Akteure der britische Blood & Honour-Szene finden, die dann auch zu den entsprechenden Festivals geladen werden.

Neben der materiellen Verbreitung von Tonträgern organisiert das Plattenlabel also auch Konzertreisen einschlägiger Bands, mittlerweile über die Grenzen des europäischen Kontinents hinaus. Nicht zuletzt findet sich hier ein Zentrum des Merchandising von Shirt bis hin zu Aufklebern, das die Szene finanziert und integriert. Ferner, und dies ist wiederum im Sinne der Diffundierung spannend, gibt es Ausgründungen von Sublabels mit einer breiteren Varianz an Genres, die versuchen, ihren Ursprung zu kaschieren und anschlussfähig zu werden. Das betrifft nicht nur die Hörenden, selbst Bands lassen sich ohne ursprüngliche Intention einbinden und finden sich dann plötzlich auf Konzerttouren mit einschlägigen NeoNazis-Bands mit entsprechenden Texten und Publika.

Letztlich scheint gegen die Kaschierungsstrategie der Rechten nur zu helfen, kritisch mit der Musik umzugehen, die mensch konsumiert. Die Balance zu finden aus einer allzu nachsichtigen Inklusivität und einer übersensiblen Exklusivität ist gewiss in zumindest manchen Sparten heikel, aber die heutigen Zeiten eines gigantischen musikalischen Angebots verlangen nach jener Einübung in eine aufgeklärte Reflexivität.

Text & Bild: Tobias Braun

Anmerkungen:

[1] https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2019/08/28/in-der-provinz-sind-neonazis-maechtig_28908
[2] Hier die Übersicht: https://allgaeu-rechtsaussen.de/2022/10/19/radikalisierungsprozesse-in-jugendkulturen-so-rekrutiert-die-moderne-rechte/
[3] https://allgaeu-rechtsaussen.de/
[4] Teil I: https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/von-der-tochter-taiga-bis-zu-nazi-koechen-ein-abend-ueber-das-verhaeltnis-von-oekologischen-und-rechten-sphaeren-i/
Teil II: https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/87435/