„Narrengesellschaften wird Progressivität nicht nachgesagt“

Ziemlich genau vor 31 Jahren war im Nebelhorn ein Interview mit dem Mann zu lesen, der in Konstanz in den 60er und 70er Jahren als Büttenredner einzigartige Furore gemacht hat. Helmut Faßnacht alias Karl Dipfele im Gespräch mit zwei noch nicht wieder identifzierten Redakteuren über wenig geistige Regsamkeit in den Narrengesellschaften, über Neid auf Orden und Organisation als Selbstzweck. Man liest: So vieles hat sich wirklich nicht geändert in Konstanz und der Fasnacht.

Der besseren Lesbarkeit wegen, haben wir den Text unter Beibehaltung der damals gültigen Rechtschreibung unverändert der Nebelhorn-Ausgabe Nr. 2 vom Februar 1981 entnommen. Das Faksimile finden Sie am Ende des Artikels.

Man sagt ja , daß die Konstanzer Fasnacht etwas Spezielles zu bieten hat. Können Sie vielleicht umreißen, worin das Spezielle der Konstanzer Fasnacht liegt?

Ja, man kann’s natürlich nur im Vergleich sehen, z.B. zum Karneval im Rheinland oder zum mehr oder weniger erzwungenen Karneval in Stuttgart, Karlsruhe, die sowas mit Gewalt praktizieren wollen, wo aber keine Tradition ist.

Und in Konstanz, wenn man was Spezielles finden will, muß man sagen, daß es wirklich aus einer Tradition gewachsen ist. Daß es tat­sächlich auf historischer Tradition beruht. Das Spezielle an der Konstanzer Fasnacht ist schon die Saalfasnacht. Das was sich in Konstanz in der Saalfasnacht tut, hebt sich weit heraus über das, was so im Land geschieht. In kleinen Landorten gibt es zwar auch so kleine Landtheaterlesaufführungen und so, aber in der Vielfalt wie in Konstanz Saalfasnacht gemacht wird, gibt es im weiten Umkreis nichts Vergleichbares.

Die erste Aufforstung hat die Saalfasnacht in Konstanz durch den Karl Steuer erlebt, der das nach dem Zweiten Weltkrieg auf gewisse Höhen gebracht hat, so daß die Fasnacht auch Verbreitung durch den Rundfunk gefunden hat. Der Karl Steuer war die Zentralfigur, man kann sagen: der ungekrönte König der Konstanzer Fasnacht. Er hat es gemacht bis 55, 56. Bis ich eingestiegen bin, 1955, da ist er dann gegangen.

Wenn man die Konstanzer Fasnacht so im Vergleich mit anderen Städten sieht, da ist die Konstanzer Fasnacht echter und ungekünstelter. Vor allen Dingen ohne Prunk. Also wenn ich schon Prunk höre! Es heißt auch immer Prunksitzung . Damit fängt’s ja schon unterhalb von Stuttgart an. Das ist alles aus dem rheinischen Karneval übernommen.

Aber wir haben in Konstanz ja mehr, wenn man das in Vergleich setzen würde, mehr so Lumpensitzungen. Wir haben ja mit Prunk nichts zu tun, im Gegenteil. Auch von der Ausstattung her ist es in Konstanz einfach uriger und bodenständiger, einfach echter im Sinne einer Volksfasnacht … und nicht so im Sinne einer Revuefasnacht. Man erlebt es so in anderen Städten, da ist es mehr oder weniger ein gesellschaftliches Ereignis. Ein Ereignis, wo man Garderobe zeigt. Es gehört zum Prestige, sich zu zeigen. Manchmal artet das ja so aus, als wär’s eine Opernpremiere, während das Programm an sich keines­wegs fasnachtlich ist. Es könnte genauso gut im Sommer passieren. Es sind An­leihen aus allen musischen Bereichen, aus der Revue, aus der Operette,aus dem Varieté, aus weiß Gott was allem, aber es hat eigentlich mit der Fasnacht wenig zu tun.

Aber hier in Konstanz wird doch an solchen bunten Abenden recht viel Fasnachtliches gebracht. Besonders in dem Sinn, daß es in keinen anderen Bereich einzuordnen wäre: weder ins Kabarett, noch ins Varieté. Wie ich es sehe, ist es ein Zwischending zwischen Kabarett und Bauerntheater. Für das reine Kabarett sind die Leute bei der hiesigen Struktur überfordert, das soll man ja auch nicht unbedingt machen. Und das reine Bauerntheater ist wieder zu simpel. Und da, in der Mitte, bewegt sich das, und in Konstanz hat sich dieser eigene Stil geprägt, der dann Konstanz mehr oder weniger zu einer Hochburg gemacht hat.

Welchen Stellenwert würden Sie der Fasnacht im politischen Leben der Stadt einräumen? Hat die Fasnacht überhaupt ein politisches Gewicht?

Da hat die Fasnacht natürlich schon einen ziemlich bedeutsamen Stellenwert, da nämlich die Betroffenen und diejenigen, die nicht betroffen sein wollen, an der Sache nicht vorbeikommen. Jeder, der im Lauf des Jahres was anliefert, was irgendwie einen Stoff abgeben könnte, der muß sich darüber im klaren sein, daß er zum Thema eines dieser Abende wird. Das hat schon ein bißchen eine regulative Wirkung. Sicher kann man auch durchaus Tendenzen steuern, an der Fasnacht. Wenn ich jetzmal von mir ausgehe (…), wenn ich wollte, könnte ich einen auf den Schild heben und einen anderen runterreißen bzw. lächerlich machen. Darum begegnen die Leute mir gegenüber mit einer gewissen Haß-Liebe. Wenn ich irgendwo hinkomme, sofern ich nicht schon bekannt bin von der Optik her, und sich dann rumspricht, daß der Faßnacht da ist, dann ist das Benehmen nicht ganz so frei, wie wenn ein anderer, normaler Bürger kommt. Es heißt gleich, dem dürfen wir keinen Stoff geben, dem dürfen wir keinen Anhalt geben. Insofern genieße ich eine gewisse Narrenfreiheit, was ja durchaus wichtig ist.

Gerade der Begriff der Narrenfreiheit, den halte ich für ganz wichtig, für unersetzbar, und wenn wir schon von Narrenfreiheit sprechen, die hätte man ja auch im Berufskabarett nicht. Wenn ich auf Kabarett umsteigen würde, wäre ich sofort irgendwelchen wirtschaftlichen Sanktionen unterworfen, man müßte Bindungen beachten. Wenn ich über die Gruppe oder Interessengruppe was sag’, müßte ich zumindest früher oder später passive Einwürfe erwarten. Während an der Fastnacht ich absolut unabhängig bin, weil ich ja weder bei der Stadt schaffe, noch ein Unternehmen hab’. Mich kann also keiner in irgendeiner Weise beeinflussen – ich kann sagen, was ich will, ich bin nur mir selbst verantwortlich Eigentlich sollte das ja jeder sein, der in die Bütt steigt; aber die meisten Narren, die sieh dort produzieren sind mehr oder weniger auch in Berufen oder in unternehmerischen Gefügen, wo sie ein bißchen aufpassen müssen. Z. B. hatten wir früher bei den Elefanten einen, der bei der Stadt geschafft hat und der hat sich immer wieder beklagt, daß – man ihm damit gedroht hat, wenn es zu dick wird, was er losläßt (wobei er nur das wiedergegeben hat, was der Karl Steuer für ihn geschrieben hat), kann es ihm passieren, daß er in seiner Stellung beengt wird.

Funktioniert die Narrenrolle – den Mächtigen den Spiegel vor zuhalten in Konstanz noch?

Ich glaube schon. Es hat ja Schulbeispiele gegeben. Die Affäre damals mit dem Bürgermeister Weilhard, der sich angegriffen fühlte und ganz heftig reagiert hat. Es ging um einen Landungssteg in Wallhausen, die Angelegenheit Nissenbaum. Dort sind offenbar Genehmigungen erteilt worden und so Sachen gelaufen, die offenbar nicht so ganz hasenrein waren, und da hat’s nachher heftige Proteste gegeben – da hat sich sogar der Südkurier gemüßigt gefühlt, darüber zu schreiben. Insofern aktiviert der Biß schon noch einigermaßen. Wahrscheinlich könnte der Biß noch etwas schärfer sein.

Ich für mich will ja nicht unbedingt verletzen, aber wenn ich jetzt von etwas hören würde, was eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist auf irgendeinem Sektor, und wenn man es mit einem einigermaßen guten Gewissen vertreten kann, wobei es hier schon anfängt, interessant zu werden, dann würde ich es als Pflicht ansehen, es zum Thema zu machen, also unbedingt. Es muß sich natürlich im humoristischen Sinne auflösen lassen. Wenn’s z.B. so krasse Fehlleistungen sind, seitens der Stadtverwaltung oder sonstiger Behörden, dann halte ich es für unbedinqt wichtig, daß dies auf’s Tablett kommt und da gibt es niemand, der es einem verwehren kann; ob es getan wird, ist wieder eine andere Sache.

Nehmen nicht an dieser Stelle die Narrengesellschaften Einfluß aufs Programm? Versuchen nicht die Honoratioren und Personen des öffent­lichen Lebens in den Narrengesellschaften an oberster Stelle mitzuwirken, um da vielleicht den einen oder anderen Pfiffigen zu bremsen..?

Ich kenne eigentlich von der Personenstruktur her in den Narrengesellschaften niemanden, der in einer Position sitzt wo er Einfluß nehmen könnte oder wollte. Ich kenne z.B. keinen einzigen Stadtrat der in einer Narrengesellschaf vertreten wäre. Denn das wär’ z.B. eine Figur die darauf Wert legen könnte, daß man dies und jenes nicht sagt. Aber das hat’s schon gegeben, daß Leute mich angesprochen haben und gesagt haben: aber gell, des brauchen Sie ja nicht unbedingt zu erwähnen. Das ist natürlich ein Startsignal für mich, gerade zum Trotz darüber was zu bringen. Das wäre ja noch schöner!

Das hat’s schon gegeben, von recht einflußreichen Leuten, die gemeint haben, mit Schulterklopfen oder gütigem Zureden .., denn sie sind sich ja darüber im klaren, da muß man ja wirklich vorsichtig sein. Denn man kann ja nicht sagen: wenn Sie das bringen, dann …!! So ist ja schon gar nichts drin! Man kann’s höchstens auf die sanfte Tour bringen: gell, wir verstehen uns. Also Be­stechungsgelder sind bisher keine angefallen – sonst wäre ich wahrscheinlich anders situiert. Aber Versuche sind schon unternommen worden. Wie weit dies bei anderen gemacht worden ist, weiß ich nicht, da bin ich überfragt, aber ich kann’s mir vorstellen und kleinmütige Leute kriegen wahrscheinlich schon die Hose voll. Mich zensiert also gar niemand. Zum Beispiel kann ich, wenn im Fernsehen das Narrenkonzert übertragen wird, von den vier Programmstunden eineinhalb Stunden souverän und ohne Eingriff gestalten.

Wie arbeiten Sie? Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Themen aus?

Ich nehm eben, was mir vom Jahr her noch geläufig ist. Ich bin nicht von der Sorte, die sich jeden Tag hinhockt und Notizen macht. So ein Sklave der Fasnacht möchte ich nicht sein. Ich speichere das im Kopf, und was mir, sagen wir mal im November noch gegenwärtig ist, das hat dann Tragfähigkeit. Alles andere müßte man ja erst neu aufbereiten und ist nicht mehr im Be­wußtsein, es sei denn, es ist eine ganz dicke Sache – aber dann weiß ich es ja noch. Man muß ja darauf achten, daß die Tendenzen noch stimmen, wenn man es im Februar bringt. Wenn man Sachen, die man vielleicht schon im Sommer produziert hat, im Februar dann bringt haben sie vielfach keinen Biß mehr. Man muß die Stimmung treffen, die im Februar herrscht, wenn man die Sache bringt. Man soll den Intellekt ansprechen und das Gemüt, aber man soll sich immer so ein bißchen in der fasnächtlichen Mitte halten, d.h. daß es jedem etwas bringt und das ist halt schwierig. Da habe ich auch im Laufe der Entwicklung viel gelernt.

Haben nicht viele Leute die Nase voll von der Fasnacht?

Nein, eigentlich nicht, es zeigt sich am Vorverkauf für die Veranstaltungen im Konzil. Da gibt es noch ein ungeheuerliches Interesse. In welcher Branche gibt es z.B. die Möglichkeit, den Konzilsaal sieben mal zu füllen? Die Leute holen sich kalte Füße, stehen um 6 Uhr in den Vorverkaufsschlangen. Ich kenne nichts vergleichbares, das ähnliches Interesse erweckt. Es ist natürlich nur die Schadenfreude über das, was man zu hören bekommt. Es ist ja ganz logisch. Das Motiv ist ebenso ehrbar wie zulässig. Aber ich wüßte nichts aus dem musischen Bereich, was jedermann so anziehen könnte, wie diese Veranstaltungen. Vor allem auch, da das Fernsehen diese Veranstaltungen aufzeichnet. Es wertet das Image der Stadt auf, nicht nur im fasnächtlichen Sinn, sondern allgemein, und das haben mir schon viele Leute von außerhalb gesagt. Das ist das einzige, was man aus Konstanz mit Genuß hinnehmen kann.

Die Fasnacht wird doch im wesentlichen von den Narrengesellschaften gestaltet. Was halten Sie von den Zünften, gibt’s da nicht auch Vereinsmeierei und ähnliches?

Nun, den etablierten Narrengesellschaften kann Progressivität und geistige Regsamkeit nicht gerade nachgesagt werden.(…) Ein gewisses Quantum an Organisation muß schon da sein, aber die Narrengesellschaften haben auch ein großes Quantum an Lächerlichkeit. Gerade das ganze Zeug da mit den Orden, es kommt mir, je länger ich dabei bin … Es ist wirklich ein Witz. Man kann’s eigentlich nur als Parodie nehmen, aber die nehmen’s bei Gott nicht als Parodie. Also wenn da einer nen Orden kriegt, den der andere nicht hat, dann ist Feuer im Dach. Niemand geht hier so ernst an die Fasnacht heran, wie die Narren.

Und dann habe ich mich auch völlig losgelöst von der Organisation. Ich geh auch auf keine Sitzung. Dort wird eine Masse an Stroh gedroschen. Organisation als Selbstzweck. Das sind so Sachen … die sind vielleicht froh, wenn sie von daheim einmal wegdürfen am Abend oder so. Aber da kommt doch gar nichts dabei raus.(…) Und gerade auch die Fräcke, die die Narren jetzt auf den Gesellschaftsabenden tragen, das hat mit allemannischer Fas­nacht überhaupt nichts zu tun. Es ist ja eine reine Anleihe aus dem Rheini­schen. Das ist seit 1948 so gemacht worden … und nehmet Se einem amol sei Frack weg … (der Rest des Satzes ging im Gelächter unter, d.Tipper) (…) Wir haben ja auch schon über 16 Narrengesellschaften in Konstanz jetzt und jede ist mit Konkurrenzdenken behaftet. Einer wünscht dem anderen da de Verrecker an de Hals. Das sind natürlich alles so Begriffe, die man nicht so brutal wiedergeben darf (wir bitten um Entschuldigung, aber wir fanden den Satz so schön … d.Red.). Aber die Wollmatinger oder so, die lachen über die Altstädter und umgekehrt. Da kann man vom neidlosen Zusammenspiel auch nie reden. Es menschelt halt auch bei den Narrengesellschaften.

Werden die Themen, die von der Bütt her angesprochen werden, im Saal unten weiterverarbeitet?

Die Wirkung geht auch über die Fasnacht hinaus, wenn man sachbezogene Themen bringt, die irgendwelche Fehlleistungen oder Kuriositäten zur Sprache bringen oder kritikwürdige Umstände aufzeigen. Dann habe ich schon oft erlebt, daß die Leute mit genüßlicher Genugtuung sagen: des freit uns jetzt, daß über des gschwätzt worde isch. Allein schon das Kopfleeren des kleinen Mannes, daß etwas vor breiter Öffentlichkeit ausgesprochen wird, erleichtert schon die Volks seele, und darüber reden sie im Anschluß schon noch. Ich glaube nicht, daß es einfach vergessen wird … Daß man Dinge tatsächlich so verändern kann, das ist sehr zweifelhaft, aber daß es Wirkung zeigt, davon bin ich überzeugt. Es würden bestimmt … man kann es vie-leicht so sagen, es passiert vielleicht manches nicht, was sonst passieren würde, wenn es die Fasnacht nicht gäbe. Daß mancher sie doch als Regulativ fürchtet, gerade in Verwaltungsgremien und so: das können wir uns nicht leisten. Da sind wir ja nächstes Jahr der Mittelpunkt (…) des Spotts und der Narrenfreiheit.

Warum machen Sie keine Fasnacht mehr?

Ich mache nur dieses Jahr Pause, schon aus rein privaten Gründen. Ich möchte mich nicht zum Sklaven der Fasnacht machen lassen. Irgendwann sagt man auch: jetzt will auch ich einmal in den Schnee. Für mich war ja der Winter immer tabu, da gab’s gar nichts, darüber hat man nie diskutiert: Wenn ich da samstags oder sonntags morgens zum Fenster raus schau und seh die Leute da wegfahren mit den Schi auf dem Dach, denk ich immer, ich bin doch ein blö­der Hund. Ich verkopf mich da Tag und Nacht für die Fasnacht und komm nicht mal zur elementarsten Erholung. Normalerweise geht man doch mal in den Schnee. Das war alles nicht möglich. Unterm Weihnachtsbaum war immer gleich das Ho-Narro! Und da meine ich, ist einmal eine Pause angebracht.

(Anmerkung des Tippers: es tut mer in der Seel leid, aber i ka it so guat Konschtanzerisch, als daß i des Interfju hätt gscheid schreibe könne, deswege hon i’s uf Hochdeutsch gschriebe. Der Tipper isch halt a Sauschwob, der au nix dafier ka. Ein Gelbfüßler).