1.500 UkrainerInnen werden in Konstanz erwartet

In der Gemeinderatssitzung am morgigen Dienstag will die Verwaltung eine erste Einschätzung vorlegen, wie die Flüchtlinge aus der Ukraine in Konstanz betreut werden sollen und welche personellen, organisatorischen und finanziellen Herausforderungen auf die Stadt zukommen.

Die Verwaltung will dabei erstmals öffentlich erläutern, wie sie die Unterbringung und Versorgung ukrainischer Flüchtlinge anzugehen gedenkt. Im Mai soll dann ein förmlicher Beschluss über die Angelegenheit fallen.

Das wird langfristig

Für die Verwaltung stellt sich die Lage so dar: Der Ukraine-Konflikt wird nicht plötzlich durch einen „Sieg“ einer der beiden Seiten aufhören, sondern sich lange hinziehen und aufgrund der „zunehmenden brutalen Bombardements und Raketenangriffe auf die zivile Infrastruktur und die Zivilbevölkerung“ zu massiven Fluchtbewegungen führen. Die fliehenden Menschen werden in den nächsten zwei bis drei Jahren auch in Deutschland ankommen. „Daher muss mit einer Zahl von 2,5 bis 3 Millionen ukrainischen Kriegsflüchtlingen gerechnet werden, die im Laufe des Jahres 2022 nach Deutschland einwandern werden.“

Die PlanerInnen rechnen also mit einer Zuwanderung, die erheblich höher ausfallen wird als jene in den Jahren 2015-2018, die damals erhebliche gesellschaftliche Verwerfungen und den Aufstieg des Rechtsradikalismus beschleunigte (immerhin halten die Rechten in diesem Fall gerade mal die Klappe, mal schauen, wie lange noch). Immerhin können die Verwaltungsprofis in der heutigen Situation auf die in jenen Jahren erworbenen Erfahrungen zurückgreifen und den Prozess einer ämterübergreifenden Zusammenarbeit beschleunigt beginnen. Das ist auch dringend nötig, denn in Konstanz sind bereits 400 UkrainerInnen gemeldet, und es wird vermutet, dass sich mindestens die gleiche Zahl bisher noch nicht gemeldeter Geflohener in der Stadt aufhalten könnte – und dies auf derzeit nicht absehbare Zeit. Die Planungen des direkt nach Kriegsbeginn gebildeten Krisenstabes gehen von 1.500 ukrainischen Menschen aus, die allein in diesem Jahr nach Konstanz kommen könnten und hier untergebracht und versorgt werden müssen.

Mehr Stellen und mehr Geld

Im Mittelpunkt der Planungen des Krisenstabes steht der Aufbau einer leistungsfähigen Struktur in der Verwaltung, denn derzeit werden die anfallenden Aufgaben von den vorhandenen MitarbeiterInnen neben ihrer normalen Arbeit erledigt, und das kann nicht dauerhaft gutgehen. Insgesamt werden nach den ersten Schätzungen 18,25 Vollzeitäquivalente zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben benötigt, und diese wird die Verwaltung dann wohl auch im Mai beim Gemeinderat beantragen – der sie, das ist absehbar, auch genehmigen wird, sofern sich die Lage bis dahin nicht radikal ändert. Wer miterlebt hat, wie sonst um zusätzliche Stellen gebarmt und gerungen wird, reibt sich verblüfft die Augen: Hier ist offensichtlich plötzlich möglich, was bisher für unmöglich erklärt wurde. Es sieht nach einer Welle der Empathie selbst bei jenen aus, die am liebsten um die EU herum eine hundert Meter hohe Mauer plus Selbstschussanlagen errichten würden.

Die angedachten Stellen haben die unterschiedlichsten Aufgaben: Da ist etwa eine zusätzliche Viertelstelle für Kommunikation bei der Pressestelle der Stadt gefragt, die die einschlägigen Inhalte der Website pflegen und die Presse mit einschlägigen Informationen bedienen muss.

Vom Hausmeister bis zur Webmanagerin

Da etwa zwei Drittel der in Konstanz Ankommenden in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden müssen, sind neun Stellen für die Betreuung von in diesem Jahr etwa 1.000 Menschen beantragt. Das reicht von drei HausmeisterInnen mit Allround-Qualitäten über vier BetreuerInnen bis hin zu zwei Verwaltungsstellen. Mit 3,25 Stellen soll zudem die Aufnahme und Einreise der Menschen organisiert werden. Außerdem braucht es weitere Kräfte für Büroarbeiten, organisatorische Aufgaben und die Bildungsberatung.

Das ist ein erheblicher finanzieller Brocken für die Stadt, es gibt aber auch andere Hindernisse. Personal ist derzeit schwer zu finden und die Stadt sieht sich gegenüber anderen nichtkommunalen Arbeitgebern – auch aufgrund der geplanten Befristung der Stellen – im Nachteil.

Dafür gibt es einige strategische Überlegungen: Eine Möglichkeit sind „befristete Abordnungen oder befristete interne Stellenwechsel“. Deren Sinn erschließt sich Außenstehenden allerdings nicht auf Anhieb, denn wenn jemand innerhalb der Verwaltung für einige Zeit dem Krisenstab Ukraine zugeordnet wird, muss ja irgendjemand anders in der Zwischenzeit dessen bisherige Arbeit übernehmen. Wenn also ein begabter Organisator, der bisher beispielsweise große Kulturveranstaltungen auf die Beine stellte, seine Begabung plötzlich in der Flüchtlingsarbeit einsetzt, muss irgendjemand für den Kulturbereich gefunden werden. Dass es bei dieser Überlegung einer internen Abordnung nicht zuletzt ums Geld geht, mit dem die Verwaltung bekanntlich sparsam umgehen muss, beweist ein Nachsatz der Vorlage: „Im Ergebnis können auf diese Weise externe Besetzungen und damit zahlungswirksame Aufwendungen für neu eingestelltes Personal vermieden bzw. reduziert werden.“ So manche Vorgesetzten in der Verwaltung dürften jetzt schon darüber nachsinnen, welche missliebigen Untergebenen sie gern in den Krisenstab fortloben würden.

Personalplanung mal trickreich

Eine andere Möglichkeit ist es, bereits für die Stadt arbeitenden Teilzeitkräften die zumindest zeitweise Aufstockung ihrer Stellen anzubieten. Oder in schönstem Verwaltungsdeutsch, einer Fremdsprache, die auf einer anderen Evolutionsstufe der Menschheit entstanden zu sein scheint, knapp nachdem das erste Feuer den damals noch wenigen Menschen ihre mürben Knochen wärmte (und gefräßige Säbelzahntiger anlockte): „Mit Hilfe von Befristungsvereinbarungen, die mit der persönlichen Lebensplanung der betroffenen Kolleginnen in Einklang zu bringen sind, führt dies nicht zu einer faktischen Stellenvermehrung, sondern vorerst nur zu einer temporären Steigerung der Personalkosten.“ Das ist die Dialektik, eine der erlesensten Kippvolten des Weltgeistes: Wir beschäftigen nicht mehr Menschen, lassen die aber mehr Stunden arbeiten, was die Kosten steigert, aber die Stellenzahl nicht erhöht. Uff.

Ähnlich trickreich ist die Idee, die Stellen zwar zu befristen, die StelleninhaberInnen aber unbefristet anzustellen. Das heißt, dass jemand, der jetzt bis Ende 2024 für die Flüchtlingsarbeit eingestellt wird, nach Ablauf dieser Stelle eine Art Arbeitsplatzgarantie der Stadt erhält, dann aber auf eine andere Stelle innerhalb der Stadtverwaltung wechseln muss, die aufgrund der massenhaften Abgänge von uns Babyboomern in die Rente oder – unter Schonung der Rentenkasse – direktemang in den Sarg (die Vorlage nennt das beschönigend „Altersfluktuation“) frei wird.

Diese Ideen werden morgen im Gemeinderat präsentiert und vorberaten.

Ein Haar in der Suppe? Wohl kaum, denn das muss sein. Ein wenig bitter stößt allein auf, dass nicht alle Geflohenen mit derartigem Wohlwollen der Obrigkeit bedacht wurden oder dass etwa der städtische Einsatz für andere wohnungslose Menschen deutlich geringer sein könnte als das durchaus berechtigte Engagement für Menschen aus der Ukraine.

Text: O. Pugliese, Bild: Bobby Barker auf Pixabay

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