Alieu Ceesay bleibt Konstanzer!
Nach ihrer Zustimmung zur weitgehenden Aufhebung des Flüchtlingsschutzes setzt die Bundesregierung noch eins drauf: Sie will die Zahl der Abschiebungen deutlich erhöhen, die Inhaftierungsdauer von 10 auf 28 Tage erhöhen und die aufschiebende Wirkung von Einsprüchen aussetzen. Dabei sind schon jetzt, so die Hilfsorganisation Pro Asyl, rund die Hälfte aller Abschiebungen rechtswidrig. Was die bisherige Praxis im Einzelfall bedeutet, zeigt der Fall des Gambiers Alieu Ceesay.
Alieu Ceesay verließ Deutschland am 27. Juli 2023 aus dem Abschiebegefängnis in Pforzheim –„freiwillig“, wie es hieß, da die Alternative eine Abschiebung mit dauerhaftem Aufenthalts- und Einreiseverbot bedeutet hätte. Das aber wäre nicht nur das endgültige Ende seines Lebens in Konstanz gewesen, sondern hätte sein Leben erneut in Gefahr gebracht.
[the_ad id=“94028″]Dank zahlreicher Solidaritätsbekundungen und breiten Protesten gegen Ceesays Abschiebung gewährte ihm das Regierungspräsidium Karlsruhe kurz vor der Abschiebung eine „freiwillige Ausreise“ – allerdings mit der Auflage, dass er sämtliche Kosten des Verfahrens, seiner Inhaftierung und der Ausreise übernimmt. Diese Vereinbarung ermöglicht es ihm, mit einem Visum für Fachkräfte wieder nach Deutschland einzureisen und sein Leben am Bodensee fortzusetzen. Das gibt Ceesay neue Hoffnung.
Gleichzeitig ist diese Vereinbarung ein bürokratischer Akt, der die Absurdität unseres Asylsystems spiegelt: Ein junger Mensch wird erst aus seinem bisherigen Leben gerissen, wird ins Ungewisse gestoßen, muss bangen und viel Geld aufbringen, um wieder daran anknüpfen zu können. Juristisch mag in seinem Fall alles korrekt verlaufen sein, nachvollziehbar aber ist es keineswegs, schon gar nicht menschlich.
Gefährliche Flucht
„Freiwillig“kam Alieu Ceesay genau so wenig hierher wie er jetzt „freiwillig“ ausgereist ist. Niemand flieht freiwillig. Flucht ist die Art von Migration, zu der Menschen gezwungen werden, um ihre Chancen auf ein Überleben zu erhöhen. Auf Fluchtursachen, Fluchtumstände und eventuelle Möglichkeiten auf ein Leben nach der Flucht haben Geflüchtete keinen Einfluss. Es sind strukturelle Missstände und die Weltpolitik, deren Auswirkungen das Leben von Menschen auf der Flucht bestimmen.
Sie selbst haben meist wenige Alternativen, und das oft auch, wenn sie meinen und hoffen angekommen zu sein. Diese Realitäten sind jedoch nicht Bestandteil öffentlicher Debatten über Flucht, sie sind auch nicht Bestandteil von Asylreformen im Sinne der Geflüchteten. Statt der Probleme der Flucht und ihrer Ursachen werden Geflüchtete problematisiert und nicht selten instrumentalisiert. Dabei können sich Menschen ohne Fluchterfahrung schlicht nicht vorstellen, was es bedeutet auf der Flucht zu sein.
Bevor der heute 25-Jährige im Januar 2020 Deutschland erreichte, war er fünf Jahre auf der Flucht gewesen. Schon als sehr junger Mensch hatte er sich auf einen gefährlichen Weg gemacht, um sein Leben zu sichern – ein für uns unvorstellbarer Kraftakt, ein unvorstellbares Leben mit langen Phasen der Perspektivlosigkeit. Unter anderem soll er während seiner Flucht in einem Lager in Libyen gewesen sein, so David Tchakoura, Leiter der Stabsstelle Konstanz International in seinem Redebeitrag auf der Kundgebung gegen Ceesays Abschiebung. Libysche Internierungslager für Geflüchtete –auch finanziert von der Europäischen Union – gehören bekanntermaßen zu den menschenverachtendsten Un-Orten der Welt.
Ein Neuanfang aus eigener Kraft
Endlich in Konstanz angekommen, hat Alieu in nur drei Jahren Freunde gefunden, eine Beziehung begonnen, eine Ausbildung aufgenommen (er ist einer von zwei Klempner-Azubis im Landkreis Konstanz) und sich ehrenamtlich engagiert – im Stadttheater, am Kulturkiosk, bei Hope Human Rights e.V., im Café Mondial und vieles mehr.
Das Leben, das er sich aus eigener Kraft trotz seines schwierigen Wegs aufgebaut hat, zeugt von großer menschlicher Stärke. Diese Ressource, die viele Geflüchtete mit sich bringen, ignoriert unsere Asylpolitik; und unsere Abschiebepraxis, die jetzt nach dem Willen der Regierung noch verschärft werden soll, macht jegliche Integrationsbemühungen zunichte.
Noch am 19. Juli stand Alieu mit dem Stück „I want to believe …“ auf der Bühne, der Konstanzer Spiegelhalle. Darin ging es um ein Friedenscamp. „If I‘m falling, will you catch me?“ war sein mittlerweile viel zitierter Bühnensatz – „wenn ich falle, fängst du mich?“. Am Tag darauf wurde er ohne Vorwarnung und völlig unvorbereitet von der Bundespolizei zur Abschiebung abgeholt. Dabei durfte er nur einen Anruf tätigen; er rief seine Freundin an.
Viel Unterstützung
„Dann ging alles ganz schnell“, berichtet Hannah Eymann vom Aktionsbündnis gegen seine Abschiebung. Freunde, Wegbegleiterinnen, Arbeitskollegen und Bekannte von Alieu, insgesamt 32 Menschen, hatten das Bündnis gegründet und für den 24. Juli eine Kundgebung auf der Marktstätte organisiert. An ihr nahmen neben etlichen Initiativen Vertreter:innen aller Fraktionen und auch der Stadt Konstanz teil. So redete beispielsweise Bürgermeister Andreas Osner auf der Protestversammlung und sicherte seine Unterstützung zu, ebenso die SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl.
Diese hatte der baden-württembergischen Justitzministerin einen Brief geschickt und sich gegen die drohende Abschiebung gewandt – obwohl sie selber wenige Wochen zuvor noch im Bundestag für eine europäische Asylreform gestimmt hatte, die es Menschen wie Alieu Ceesay erst gar nicht möglich machen wird, europäischen Boden zu betreten oder gar Deutschland zu erreichen. Auch andere Lokal- und Regionalpolitiker:innen wandten sich in Mails und Petitionen an übergeordnete Behörden, um die Abschiebung zu verhindern. Vergebens.
Die Medien – darunter Südkurier, Karla, der SWR und Campuls.online – berichteten ebenfalls über Solidaritätsbekundungen und über Alieus Schicksal. Manche ihrer Berichte schlugen allerdings in bekannte Kerben, die geflüchtete Menschen für die Schwere ihres Lebens selbst verantwortlich machen, indem sie Fehler bei den Menschen statt im System suchen. Dazu zählen Falschinformationen, Vorurteile und, übergriffig, persönliche Geschichten aus dem Leben von Betroffenen, die weder von öffentlichem Interesse sind noch zu den Tatbeständen von Abschiebungen beitragen.
„Wir bedauern, dass es uns nicht gelungen ist, in den Medien zu zeigen, was für ein toller, empathischer Mensch Alieu ist und wie sehr er auch für andere Menschen da war“, sagt Hannah Eymann vom Aktionsbündnis und zeigt ein 32-seitiges Dossier mit Schreiben an den Petitionsausschuss Baden-Württemberg. Es enthält Angaben, Stellungnahmen und Einschätzungen, verfasst von insgesamt 52 NGOs, Institutionen, Arbeitskollegen, Fraktionsmitgliedern und Freund:innen.
10.000 Euro für die Chance auf Rückkehr
Voraussetzung für seine „freiwilligen Ausreise“ war, dass er alle Kosten übernimmt. Wie viel genau das Regierungspräsidium Karlsruhe verlangt, ist noch offen; eine konkrete Kostenaufstellung wurde noch nicht übermittelt.
Die Unterstützer:innen gingen zunächst von 10.000 Euro aus. Von anderen Fällen ist bekannt, dass sich die Forderungen in etwa in diesem Bereich bewegen. Laut einer Kostenaufstellung aus dem Jahr 2019, die seemoz vorliegt, stellten die Behörden diverse Transporte der Bundespolizei, die Begleitung durch die Bundespolizei, Übernachtungskosten der Beamt:innen, die ärztliche Bescheinigung zur Flugtauglichkeit, die Zeit in Abschiebehaft (rund 450 Euro pro Tag), Personalkosten der Landesverwaltung, Ernährung, Desinfektionsmittel, die Überprüfung der Identität und andere Posten in Rechnung.
Es sei nicht einfach gewesen, sagt Hannah Eymann. „Wir haben zehn Tage lang fast nicht anderes gemacht, es war ein riesiger, bürokratischer und menschlicher Stress.“ Sie hätten kaum geschlafen, viel organisiert und um Alieu gebangt. „Um so schöner aber war es zu sehen, wie viele Menschen bereit sind, ihm zu helfen; das hat uns enorm bestärkt.“ Die Spendenaktion war ein voller Erfolg: Innerhalb von 48 Stunden seien 10.000 Euro zusammen gekommen, überwiesen von rund 400 Spender:innen – „unglaublich!“ Die enorme Unterstützung, so Eymann, „hat zeigt, wie wichtig Alieu den Menschen ist, mit denen er hier zu tun hatte.“
Inzwischen hat das Aktionsbündnis das Spendenziel angehoben, um einen Puffer zu haben und Alieu auch bei anderweitig anfallenden Kosten (etwa für das Visum) unterstützen zu können.
Alieu selber ist mittlerweile in einem kleinen Dorf in Gambia angekommen. Er sucht eine Unterkunft, erledigt alles Nötige für seinen Aufenthalt dort und auch für seine Rückkehr nach Konstanz. Er steht täglich in Kontakt mit Freund:innen aus Konstanz und ist dankbar. Dankbar dafür, dass ihm so viele Menschen helfen, sein Leben wieder zu bekommen. Und dafür, dass er dieses Mal den schweren Weg nicht alleine gehen muss.
Text: Anna Blank / Fotos von der Solidaritätskundgebung am 24. Juli: Sophie Tichonenko und Pit Wuhrer / Portraitfoto: Chris Danneffel
Was andere über Alieu Ceesay sagen (Auszüge aus den Stellungnahmen):
„A. Ceesay ist eine enorme Bereicherung für den Kulturkiosk Schranke e.V, wo er durch seine empathische Art den gesellschaftlichen Austausch gefördert hat (…) Wir können diesen Verlust nicht ertragen.“
„Wir von Hope Human Rights e.V. stehen voll hinter diesem jungen Menschen, der sich in allen Bereichen in Konstanz sehr gut integriert hat. Es kann nicht möglich sein, dass wir hier einen jungen, begabten Menschen und Freund gehen lassen!“
„Durch seine Abschiebung würde nicht nur eine große Lücke in unserem Team entstehen […]. Herrn Ceesay zu bestrafen, obwohl er sich sehr gut integriert, arbeiten will und sich eine eigenständige (nicht vom Staat abhängige) Zukunft in Deutschland aufbauen möchte, finde ich nicht richtig!“ Michael Lieb, Blechnerei Gogolin
„Eine Abschiebung […ist] auch eine Missachtung seines persönlichen Engagements für unsere Gesellschaft.“ Freie Grüne Liste Konstanz
„Was wären wir für eine Gesellschaft, die nicht Wort hält und einen Freund und Künstler, der eine Bereicherung für dieses Theater auf der Bühne und als Mensch darstellt, einfach so abschiebt.“ Karin Becker, Intendantin Stadttheater Konstanz
„Herr Alieu Ceesay ist unserer Stabstelle seit seiner Ankunft in der Stadt Konstanz durch sein vielfältiges Engagement […] bekannt. Er ist ein ruhiger und sehr respektvoller junger Mann, dessen einziges Ziel, seit seiner Ankunft in Konstanz, die Integration in die Stadtgesellschaft ist.“ David Tchakoura, Stabstelle Konstanz International
„Für Geflüchtete, Ehrenamtliche, Arbeitgeber, Freunde und Organisationen stellt sich die Frage, welchen Zweck Integrationsbemühungen im Landkreis haben, wenn ein gut integrierter Mensch am Ende des Tages doch abgeschoben wird.“ MdB Lina Seitzl
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Schön, dass es im Fall Alieu Ceesay vielleicht klappt. Auch wenn ich nicht sehe, wo er eine Fachkraft ist, da ja erst in Ausbildung. Azubis braucht unser Land dringend, arbeitswillige junge Menschen auch, das sollte jedem – vor allem dem Staat – inzwischen klar geworden sein.
Was aber ist mit den introvertierten, vielleicht traumatisierten Menschen, die es nicht schaffen, sich innerhalb kürzester Zeit in zig Vereinen zu organisieren. Die einfach nur arbeiten möchten und ein menschenwürdiges Dasein für sich selbst und vielleicht auch die Familie im Herkunftsland zu sichern? Die vielleicht nicht in wenigen Monaten ohne Hilfe Deutsch lernen, mit etwas mehr Unterstützung aber willig wären es zu versuchen? Ich befürchte, die vergessen wir oft, und es gibt viele von ihnen.
Ich bin dafür, dass jeder, der bereit ist, in Deutschland friedlich ein Leben zu führen UND all die Jobs zu machen, die wir kaum mehr besetzen können, das einfach tun soll. Und nebenher noch unsere Sozialkassen füllen mit ihren Lohnnebenkosten.
Deutschland braucht Zuwanderung, nicht nur von „Fachkräften“. Ich hoffe, wir verstehen das irgendwann und passen unsere Gesetze auch dementsprechend an.