Ausstellung: Verfolgung der Ravensburger Sinti im Nationalsozialismus

Ravensburg Sinti Ausstellung ©Sabine BadeBis Ende Januar 2022 ist im Ravensburger Museum Humpis-Quartier eine beeindruckende Ausstellung zu sehen, die die Geschichte und das Schicksal der Ravensburger Sinti in den Mittelpunkt stellt. Sie thematisiert dabei nicht nur die sich kontinuierlich steigernde Ausgrenzung und Kriminalisierung dieser Menschen, ihre erzwungene Festsetzung im Zigeunerlager Ummenwinkel und spätere Deportation in Vernichtungslager. Sie veranschaulicht auch die Auswirkungen von unterbliebener Entnazifizierung und lange verweigerter Entschädigung.

Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung

Nach eigenem Verständnis richtet diese erste Ausstellung des Museums über die Zeit des Nationalsozialismus in Ravensburg den Fokus nicht nur auf die Geschichte und das Schicksal der Sinti, sondern soll auch aufzeigen, wie der Großteil der Bevölkerung, der zur nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ zählte, in relativer Normalität weiterleben und von der Verfolgung anderer profitieren konnte. Ein ambitionierter Ansatz, der hervorragend umgesetzt wurde, wie auch Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, befand, der die Ausstellung Ende Juli besuchte und sich im Interview mit Regio-TV tief beeindruckt zeigte.

Ravensburg Sinti Ausstellung ©Sabine Bade

Ausstellungsräume auf zwei Etagen …

Die wissenschaftliche Grundlage der Ausstellung ist die Dissertation von Esther Sattig, die die Geschichte der Ravensburger Sinti und des Zigeunerlager Ummenwinkel erforschte.

Wie bereits im Artikel über nach Auschwitz deportierte Sinti aus dem Ravensburger Ummenwinkel dargestellt, errichtete Ravensburg – um „der Zigeunerplage Herr zu werden“ – auf eigene Initiative 1937 im Ummenwinkel ein „Zigeunerlager“. Seit Jahrzehnten in Ravensburg ansässige Sinti-Familien wurden dorthin zwangsumgesiedelt. Die Maßnahme markierte den vorläufigen Höhepunkt einer Politik der rigorosen Abschreckung, die sich nach dem ersten Weltkrieg zunehmend verschärft hatte und auf die Vertreibung der Ravensburger Sinti zielte. Jahrhundertelang stigmatisiert, diskriminiert und kriminalisiert, waren sie – wie Jüdinnen und Juden – als Mitglieder einer „artfremden Rasse“ von der Rassengesetzgebung der Nazis ab 1935 aus der „arischen Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen worden. Im November 1937 – noch bevor im Oktober 1939 per Erlass die „Festsetzung“ aller Sinti und Roma an Ort und Stelle ihres jeweiligen Aufenthalts verfügt wurde – entstand an dem der Stadt gegenüberliegenden Ufer des Flüsschens Schussen auf einem Flurstück mit Namen Ummenwinkel das Zwangslager. Etwa hundert Sinti wurden dorthin umgesiedelt und interniert, darunter rund sechzig Kinder und Jugendliche.

Das Barackenlager war von Stacheldraht umzäunt; die Männer mussten Zwangsarbeit verrichten, vorwiegend im städtischen Tiefbau, in der Landwirtschaft der Region und auch in Friedrichshafener Rüstungsbetrieben. Nur wer zur Arbeit oder zur Schule ging, durfte das Lager verlassen. An den fast täglich stattfindenden schikanösen Kontrollen soll der von 1932 bis 1945 amtierende Bürgermeister Rudolf Walzer, auf dessen Veranlassung das Lager errichtet wurde, manchmal persönlich teilgenommen haben.

Ravensburg Sinti Ausstellung ©Sabine Bade

… informieren detailliert über die Ausgrenzung und Verfolgung der Sinti …

Am frühen Morgen des 13. März 1943 umstellten Männer der Kriminal- und Schutzpolizei und der Gendarmerie Ravensburg das Lager. Das Reichssicherheitshauptamt hatte die familienweise Einweisung sämtlicher „Zigeunermischlinge und Rom-Zigeuner und nicht deutschblütiger Angehörigen zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft“ in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau angeordnet. Aus den Reihen der vor den Baracken im Ummenwinkel zusammengetriebenen Ravensburger Männern, Frauen und Kindern wurden 34 Menschen vom Stuttgarter Nordbahnhof aus nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Innerhalb von nur wenigen Wochen starben alle Kinder aus Ravensburg. Nur fünf der Erwachsenen überlebten.

Unterbliebene Entnazifizierung und lange verweigerte Entschädigung

Die Ausstellung zeigt unter anderem viele Exponate und Dokumente, darunter auch Fotografien der Mappe „Fahrendes Volk“ des Ravensburger Verlegers Josef Anton Zitrell und die von ihrer Schwiegertochter aufgezeichneten Erinnerungen der Auschwitz-Überlebenden Marta Guttenberg. Sie endet aber nicht mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes. Sie setzt sich auch mit den TäterInnen und deren Leben nach 1945 auseinander: Dem des von 1932 bis 1945 amtierenden Ravensburger Bürgermeisters Rudolf Walzer, NSDAP-Mitglied und seit 1935 förderndes Mitglied der SS. Oder dem weiteren Werdegang der MitarbeiterInnen der im Jahre 1936 gegründeten Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF), die die im Ummenwinkel festgesetzten Menschen „rassenbiologisch“ erfasst hatten und deren pseudowissenschaftliche Gutachten nicht nur die Grundlage für Zwangsumsiedlung, Heiratsverbote und Zwangssterilisationen lieferten – sondern auch Selektionskriterien für die spätere Deportation in das „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau waren.

Ravensburg Sinti Ausstellung ©Sabine Bade

… über unterbliebene Entnazifizierung und das Leben im Ummenwinkel.

Wie wenig sich an der Entrechtung und Stigmatisierung der Sinti auch in Nachkriegsdeutschland änderte, zeigt die Dokumentation der Entschädigungsfrage: Weil das Ravensburger „Zigeunerlager“ nicht als anerkannte Haftstätte galt, wurden Anträge auf Wiedergutmachung der Sinti, die sieben Jahre und länger im Ummenwinkel zwangsinterniert waren, ausnahmslos abgelehnt. Entschädigungen für die Opfer der Deportation im März 1943 waren – wenn sie überhaupt erreicht werden konnten – marginal. Sinti, die bereits vorher deportiert worden waren, erhielten keinerlei Entschädigung. Denn am 7. Januar 1956 befand der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, dass die Kette der in Himmlers „Runderlass zur Bekämpfung der Zigeunerplage“ vom 8. Dezember 1938 erlassenen Maßnahmen ihrem Wesen nach nicht spezifisch rassenverfolgend waren. Sie seien vielmehr aufgrund der „asozialen Eigenschaften der Zigeuner“ erfolgt.

Es ist zu wünschen, dass in Ravensburg Mittel und Wege gefunden werden, diese Ausstellung auch über den Januar 2022 hinaus der Öffentlichkeit zu erhalten.

Sabine Bade (Text und Fotos)

„Ausgrenzung und Verfolgung. Ravensburger Sinti im Nationalsozialismus“
Museum Humpis-Quartier
Marktstraße 45
88212 Ravensburg

Bis 30. Januar 2022; Di.–So., 11–18 Uhr
Am 24., 25. und 31. Dezember bleibt das Museum geschlossen.
Telefon: +49-751-82820
Telefax: +49-751-82822
E-Mail: museum-humpis-quartier(at)ravensburg.de

Der Katalog zur Ausstellung mit Beiträgen von Dr. Esther Sattig, Dr. Frank Reuter, Dr. Tim Müller und Daniel Strauß ist im Museumsshop erhältlich.

Weitere Informationen:
www.museum-humpis-quartier.de