Der Klimablog (121): Asphaltgeschichten. „Nicht ganz so allein, wie man sich manchmal fühlt“
Während in Konstanz und anderswo autofahrende Ferienreisende ihre Staus mit schöner Regelmäßigkeit selber produzieren, gibt es weiterhin Aktionen, bei denen die Letzte Generation ein bisschen nachhilft. Aber was geht eigentlich bei den Protesten ab? Wie bereiten sich Aktivist:innen vor, was erleben sie? Darüber berichtet Eileen Blum in ihrem Aktionstagebuch.
Was bisher geschah: Die Aktivistin reist nach Berlin, landet zuerst bei der falschen Aktion, beschreibt im dritten Teil Reaktionen der blockierten Autofahrer:innen – und begibt sich nun zur nächsten Demo …
Nach der Aktion muss ich mich ein bisschen beeilen, dass ich rechtzeitig zum Alexanderplatz komme. Dort habe ich mich mit einer Bekannten verabredet, die ich bisher nur von einer Onlinekampagne zur letzten Bundestagswahl kannte. Jetzt ist sie aus beruflichen Gründen zufällig auch in Berlin. Da sie schon länger die Letzte Generation mit Interesse verfolgt und mir ab und zu ein paar nette Nachrichten schickte, wenn ich in meiner WhatsApp-Story von meinen Erlebnissen mit der Letzten Generation erzählte, hatte ich vor gut einer Woche vorgeschlagen, dass wir uns heute treffen und ich sie zum Protestmarsch am Nachmittag mitnehme. Sie war ziemlich begeistert, aber auch sehr aufgeregt. Ich tatsächlich auch ein bisschen, was vielleicht normal ist, wenn man zum ersten Mal Internetfreund:innen trifft, die man vorher nur in Zoommeetings und in YouTube-Videos von Vorträgen gegen Lebensmittelverschwendung gesehen hat.
Tamara ist zu meiner Überraschung sehr zierlich und fast einen Kopf kleiner als ich. Ich hatte sie mir immer einen Kopf größer vorgestellt. Während sich langsam immer mehr Leute für den Protestzug auf dem Platz sammeln, reden wir ein bisschen über Privates und darüber, dass Tamara zur Zeit sehr deprimiert darüber ist, wie es in Deutschland und auf der Welt in Sachen Klimaschutz läuft. Darüber, dass die Grünen nicht mehr Klimaschutz machen, die FDP ihr Möglichstes tut, um alle sinnvollen Vorschläge im Keim zu ersticken. Dass in der Presse immer die wichtigen Sachen schlecht geredet und eigentlich Unwichtiges viel zu lange und heiß diskutiert wird.
Sie hat ursprünglich einmal Umwelttechnik studiert und kennt sich sehr gut in Sachen Klimawandel und fast noch besser mit technischen Machbarkeiten aus. „Was mich so frustriert ist die Tatsache, dass die Lösungen da sind, aber einfach nichts gemacht wird.“ Lösungen gäbe es schon lange und sie würden immer besser, sagt sie, „aber wenn sie halt nicht umgesetzt werden, nützten einem auch die besten Vorschläge nichts“. Damit spricht sie aus, was wir alle denken.
Mindestzahl 49
Ein paar andere Aktivist:innen haben sich zu uns gesetzt, wir tauschen Erfahrungen aus. „Neunundvierzig!“ ruft plötzlich jemand.„Mike-Check: Neunundvierzig!“. „Neunundvierzig,“ wiederholen alle, die sich bisher hier versammelt haben. Verwirrt schauen Tamara und ich uns an. „So stellen wir sicher, dass alle wichtige Infos mitbekommen“, klärt Aron uns auf. „Wir müssen für die Berliner Polizei mindestens fünfzig Menschen sein, damit wir als Protestmarsch auf der Straße laufen dürfen. In anderen Orten reichen weniger, aber Berlin will fünfzig.“
Es vergehen einige angespannte Minuten, in denen die einen nach und nach all ihre Kontakte anrufen und versuchen, sie zum Protestmarsch zu überreden, und die anderen fleißig Passenten ansprechen, ob sie nicht mitmachen möchten. Diese haben schließlich Erfolg: Unter lautem Jubel und vereinzeltem Klatschen gesellt sich ein junges Pärchen zu uns. „Mike-Check: Fünfzig! Wir gehen jetzt auf die Straße!“. Dann setzen wir uns langsam in Bewegung.
Wir laufen geradewegs auf eine vielbefahrene mehrspurige Straße zu. Die ersten halten an einer Ampel, die Fußgänger:innen einen sicheren Weg Richtung Alexanderplatz gewähren soll. Sobald die Ampel für die Autofahrer auf Rot springt, betreten die ersten Aktivist:innen die Straße und beginnen, in Fahrtrichtung vor den Autos herzulaufen. Ich reihe mich mit Tamara ganz hinten ein. Es dauert nicht lange, bis ich, wenn ich zurückblicke, das Ende der Autoschlange nicht mehr sehen kann. Viele Autofahrer:innen hupen und brüllen vereinzelt ihren Frust über die Schrittgeschwindigkeit lautstark hinaus.
Der Energieaufwand der Untätigkeit
Unterwegs treffe ich Erwin, den ich von meinem letzten Berlinaufenthalt her kenne. Ich bin überrascht, dass er sich noch an mich zu erinnern scheint, als ich ihn frage, ob bei der Aktion auf der Autobahn heute Morgen alles geklappt hat. Hat es, auch wenn die Polizei schneller vor Ort war als erwartet. Kurz danach spricht mich plötzlich Marius von der Seite an. Ob ich mit ihm ein Banner halten wolle, fragt er. Bislang haben auch wir uns nur online gekannt. Morgen werden wir zusammen auf die Straße gehen.
Marius arbeitet wie ich im Gesundheitswesen und war einer der ersten, die sofort Feuer und Flamme waren, als vor ein paar Monaten rumgefragt wurde, wer von der Letzten Generation im Gesundheitswesen arbeitet und Lust auf Soli-Blockaden hat. Tamara unterhält sich derweil sichtlich angeregt mit mehreren Aktivist:innen. Später erzählt sie mir, dass sie sich mit uns sehr wohlgefühlt habe und es gut war, mal was zu machen und zu spüren, dass man mit seinen Ansichten und Ängsten nicht so alleine ist, wie man sich manchmal fühlt. Ein Gefühl, das vermutlich viele von uns nur zu gut kennen. Es ist das Gefühl, dass einem die Welt unter den Händen wegstirbt und man nichts tun kann, um sie zu retten.
Inzwischen ist Tamara auch Mitglied der Letzten Generation und hat es noch keinen Tag bereut.
Obwohl wir oft unseren unbeschriebenen Führungszeugnissen ade sagen, einen großen Teil unserer Freizeit opfern und viel Hass ausgesetzt sind, will kaum eine:r dieses Ohnmachtsgefühl zurück. Es war, glaube ich, Luisa Neubauer oder vielleicht auch Henning Jeschke, die einmal in einem Podcast gesagt haben, dass dieses ganze Wegschieben und Ignorieren der Klimakatastrophe und das permanente Ausredenfinden, warum man jetzt nicht Klimaaktivist:in werden kann, ebenfalls unheimlich viel Energie zieht. Wie viel, merkt man häufig erst, wenn man selbst aktiv wird.
„Die Straßen denen, die drauf radeln!“
Als wir eine große Kreuzung passieren, beginnt ein wahres Hupkonzert. Einige Autofahrer:innen lassen die Fensterscheiben runter und rufen unfreundliche Dinge, die in der Regel aber sehr schwer zu verstehen sind. Ich verstehe mehrfach irgendwas mit „Scheiße“ und „verrecken“.
Eine junge Frau in der ersten Reihe kurbelt ebenfalls das Fenster runter und ruft, dass wir die anderen ignorieren sollen und unbedingt weitermachen. Sie findet das ganz toll und würde auch mitlaufen, wenn sie mit ihrem Kind jetzt nicht zum Arzt müsste. Eine Gruppe Radfahrer klatscht daraufhin für uns und die Frau Beifall. „Die Straßen denen, die drauf radeln!“, ruft einer von ihnen, wofür er wiederum Beifall von einigen Aktivist:innen und lautes Hupen von den Autofahrern kassiert.
Ein paar Minuten später spricht mich einer an, ob ich nicht zufällig Lust hätte, nachher eine Rede zu halten. Ich frage, wann in etwa „nachher“ sei und ob es ein bestimmtes Thema gebe. „Äh ja… Nachher ist in etwa fünf Minuten und Thema gibt es keines.“
Ich überlege. Ich bin müde, fertig vom Tag und es ist ziemlich heiß hier auf der Straße. Eigentlich würde ich mir am liebsten einen möglichst entspannten Abend machen. Andererseits wäre es auch dumm, keine Rede zu haben und die Gelegenheit verstreichen zu lassen. Außerdem wäre es nicht meine erste spontane Rede und ein bisschen in Übung bleiben schadet nie.
Fortsetzung folgt.
PS: Bei der Letzten Generation stehen wir mit Namen und Gesicht für unseren Protest. Da diese Geschichte allerdings zum Teil Bezug auf persönlichere Themen nimmt und ich nicht von allen erwähnten Leuten ein Einverständnis einholen kann, habe ich mich entschieden, die Namen zu ändern.
Alles andere stimmt jedoch mit den tatsächlichen Gegebenheiten (beziehungsweise meiner Erinnerung) daran überein.
Text: Eileen Blum von der Konstanzer Klimablog-Redaktion / Fotos (Blockade der Konstanzer Rheinbrücke am 11. Juli 2023) © Letzte Generation.
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