Der Klimacamp-Blog (5): Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
Die kommende Wahl entscheidet darüber, ob die EU doch noch auf einen 1,5-Grad-Kurs umschwenkt und sich damit womöglich für das Leben statt den Tod unserer und der kommenden Generationen entscheidet. Damit diese Erkenntnis in die Wahl durchdringt, müssen wir alle, ob jung oder alt, uns am Freitag zum weltweiten Klimastreik auf der Straße versammeln: Alle fürs Klima, denn es geht um alles! Hier eine Geschichte voller Hoffnung am Rande der Verzweiflung – und eine kurze Wahlübersicht.
In nicht einmal einer Woche entscheidet die ältere Generation, ob ihre Kinder und Enkel eine Zukunft auf diesem Planeten haben dürfen. Allein die über 70-Jährigen haben mit 21 Prozent der Wahlstimmen mehr als sechsmal soviel Stimmrecht wie die unter 20-Jährigen, die die Folgen unserer heutigen Entscheidungen werden ausbaden müssen. Für einen jungen Menschen erscheint dies abstrus. Und noch abstruser ist, dass nach momentanen Umfragen 47 Prozent der Wahlberechtigten die Parteien der GroKo wieder wählen würden, also jene bisherigen Regierungsparteien, die nach allen Regeln der Kunst den Klimaschutz ausgebremst haben und letzten Endes sogar vom Bundesverfassungsgericht gerügt werden mussten.
Abstrus ist auch, dass Bundesverfassungsrichter:innen offensichtlich mehr Mitgefühl haben als Eltern und Großeltern, die mit ihrer Entscheidung bereitwillig die Leben ihrer Kinder opfern. Oder um es mit den Worten des Klimawissenschaftlers Hans Schellnhuber zu sagen:
„Ich sage Ihnen, dass wir unsere Kinder in einen globalen Schulbus hineinschieben, der mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt.“
In diesem Wahlkampf, in dem es im wahrsten Sinne des Wortes um das Überleben der Menschheit geht, wird man als junger Mensch häufig in die Verzweiflung getrieben.
Die letzte Alarmglocke
Um die Bedeutung dieser Wahl zu verstehen, lohnt ein kurzer Blick auf die Erkenntnisse der Klimawissenschaft: James Hansen, der ehemalige Direktor des NASA Goddard Instituts for Space Studies und Ikone der Klimaforschung, meinte einst, dass, um langfristig auf diesem Planeten zu überleben, die CO2-Konzentration 350 ppm auf diesem Planeten nicht übersteigen dürfte (ppm, „parts per million“, ist eine Maßeinheit zur Berechnung der Konzentration von Kohlendioxid, d. Red.). Johan Rockström, der heutige Direktor des renommierten Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), fügt in seinem berühmten Konzept der planetaren Leitplanken eine Unsicherheit hinzu, die von 350 ppm bis 450 ppm reichte. Dieses Jahr betrug die Konzentration 420 ppm, also schon bereits eher am oberen Ende dieses Unsicherheitsbereichs und bereits weit oberhalb der Bedingungen, die als sicher gelten. Oberhalb dieses Bereichs befinden wir uns außerhalb der planetaren Leitplanke; damit können menschliche Zivilsationen wahrscheinlich nicht dauerhaft auf diesem Planeten bestehen.
Vor wenigen Wochen veröffentlichte nun die Climate Crisis Advisory Group um eben jenen PIK-Leiter Johan Rockström eine Zusammenfassung unserer Lage. Titel des Berichts: „The final warning bell“, die letzte Alarmglocke. Das Ergebnis: Selbst wenn die Welt 2050 klimaneutral wäre und selbst wenn die Industrieländer ihre Verantwortung wahrnehmen und deutlich früher klimaneutral würden, selbst unter all diesen momentan unrealistischen Bedingungen, würde die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf 540 ppm ansteigen.
Trotzdem weichen die Expert:innen um Rockström nicht von der magischen Grenze von 1,5 Grad ab und sagen, wir müssen nun eben einerseits noch schneller reduzieren und andererseits beginnen, im großen Stil CO2wieder aus der Atmosphäre zu holen. Wohlgemerkt mit Techniken, die noch nicht existieren und die so risikoreich sind, dass man sich noch vor wenigen Jahren weigerte, überhaupt darüber zu diskutieren. Trotzdem ist es keine Option, die 1,5-Grad-Grenze zu reißen. Nach eingänger Meinung der Wissenschaftler:innen ist die Lage zwar sehr sehr ernst, aber es ist noch nicht unmöglich, 1,5 Grad einzuhalten.
Was dieser Exkurs zeigt: Noch ist nicht alles verloren, aber wir brauchen uns nicht der Illusion hinzugeben, dass wir mit weiteren vier Jahren Klimaschutzbremserei noch ernsthaft über 1,5 Grad reden können. Und damit werden Millionen Menschen dem Tod geweiht sein und mit etwas Pech sogar die gesamte Menschheit, in jedem Fall aber die heutige Zivilisation.
Eine Demonstration für alle!
Und damit sind wir bei Teil 2 dieses Artikels angelangt, einer Geschichte der Hoffnung.
Denn noch ist die Wahl nicht entschieden. Noch ist es nicht zu spät, Mitgefühl in den Herzen der Wähler:innen zu wecken und begreiflich zu machen, dass es für sie vielleicht nur eine Wahl sein mag, für uns diese Wahl aber den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten kann. Wie kann uns das gelingen?
Einerseits, indem wir mit den Menschen reden, die uns nahe stehen. Und andereseits, indem wir uns alle am Freitag auf den Straßen versammeln und gemeinsam und weltweit effektiven Klimaschutz einfordern. Indem wir dafür sorgen, dass der Freitag zur größten Klimademo des Jahres wird – und diese Wahl doch noch zur Klimawahl. Die Chancen, dass die Wahl doch noch zur Klimawahl werden kann, stehen gut. Vierzig Prozent aller Wähler:innen sind laut Umfragen noch unentschlossen. Aber damit Klimaschutz für sie das entscheidende Wahlthema wird, braucht es alle.
Daher geht dieser Appell nun an dich, liebe Leser:in: Egal, wie sehr du dich bisher für Klimaschutz eingesetzt hast, egal wie alt, wie beschäftigt du bist, wie groß du oder dein Schild ist, dass du am Freitag mitbringst: Komm zur Demo am Freitag und bring all deine Bekannten mit, denn es geht um alles. Die Demo in Konstanz beginnt am Freitag, den 24. September, um 11.30Uhr im Herosé Park. Und die Demo in Singen um die gleiche Uhrzeit bei Karstadt!
Parteienanalyse
Doch der große Moment findet zwei Tage später statt: am Wahlsonntag mit zwei Kreuzchen, die alles entscheiden.
Im Folgenden werden nur jene Parteien analysiert, die eine realistische Chance haben, in den Bundestag gewählt zu werden, da es aus unserer Sicht (leider) keinen Sinn ergibt, Kleinstparteien zu wählen.
Aber weshalb ist es so wichtig, welche Parteien deine zwei Kreuze bekommen? Alle großen Parteien – mit Ausnahme der AfD – schreiben in ihren Wahlprogrammen, dass sie die Pariser Klimaziele und somit die 1,5-Grad-Grenze einhalten wollen. Somit sind doch alle, zumindest für ihre Klimapolitik wählbar, oder? Das ist leider ein Trugschluss! Zwar schreiben alle von der Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze, aber keine Partei plant einen Klimaschutz, der ambitioniert genug ist, um Deutschland rechtzeitig klimaneutral zu bekommen.
– CDU und SPD wollen beide bis 2045 klimaneutral werden. Schaut man sich aber ihren geplanten Absenkpfad an, wird ersichtlich, dass Deutschland noch doppelt so viel CO2ausstoßen soll, als für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze aushaltbar wäre. In den konkreten Maßnahmen unterscheiden sich die zwei Parteien jedoch. Welche Partei dabei in der tatsächlichen Umsetzung mehr schwächeln würde als die andere, darüber streiten sich Wissenschaftler:innen noch. Klar ist jedoch, dass bei der CDU die einkommensschwächeren Menschen, wie soll es anders sein, die Leidtragenden sein würden.
– Wie bereits erwähnt, hält sich die AfD nicht an das Pariser Klimaabkommen. Sie geht sogar noch weiter – und leugnet den menschengemachten Klimawandel.
– Die FDP plant, bis 2050 klimaneutral zu werden und setzt dabei auf absolut unzureichende, teils lächerliche und definitiv nicht sozialverträgliche Maßnahmen, dies auch zu erreichen. Sie setzt vor allem auf Technologien, die erst erfunden werden müssten und natürlich, wie kann es anders sein: auf den Markt. Dazu schreibt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in seiner Studie über die Klimaschutzwirksamkeit der Parteien:
„Mit Blick auf die knappe verbleibende Zeit zum Erreichen der Klimaschutzziele und die Vielzahl verschiedener Hemmnisse in den unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen mit negativen Auswirkungen auf das Klima, müssen diese Marktmechanismen allein als nicht ausreichend angesehen werden, um die Ziele zu erreichen.“
– Die Linke hat als einzige Partei das Ziel, bis 2035 klimaneutral zu werden und hat somit auch als einzige große Partei den Ansporn, Paris-konforme Politik zu betreiben. Leider sind die Maßnahmen, die die Linkedafürplant nicht ausreichend.
– Die Grünen setzen sich das Jahr 2041, um spätestens klimaneutral zu werden. Ihr könnt es schon ahnen: Auch das ist zu spät. Immerhin können die Grünen bei den Maßnahmen etwas aufholen, da sie für den Klimaschutz die detailreichsten Maßnahmen im Parteiprogramm niedergeschrieben hat.
Und um zum Abschluss noch die berüchtigte K-Frage zu klären: Zwischen Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock ist die Antwort einfach. Sowohl Olaf Scholz als auch Armin Laschet haben in der Vergangenheit keine Gelegenheit ausgelassen, um zu zeigen, dass man mit ihnen Vollgas in die Katastrophe fährt. Hier ist also die Antwort ganz klar: Baerbock.
Fazit der Parteienbetrachtung ist also: Es gibt keine Partei, die der Klimakrise genug Wichtigkeit und Inhalt zuspricht. Aber es gibt Bessere und Schlechtere. Daher ist es umso wichtiger, dass du bei deiner Wahl daran denkst, dass die Menschen, deren Leben am meisten von dieser Wahl abhängig sind, gar nicht wählen dürfen.
Also wähle Pest oder Cholera, aber bitte nicht Klimakrise.
Text: Manu und Mau vom Klimacamp Konstanz
Fotos von der Podiumsdiskussion des Klimacamps mit den örtlichen Bundestagskandidat:innen (am 8. September): pw
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Zuletzt erschienen auf seemoz:
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht