#Druck.Machen. Wozu noch Gewerkschaften?

Als die Gewerkschaften Zulauf hatten: 1.-Mai-Kundgebung 1919 auf der Konstanzer Marktstätte

Spielen Gewerkschaften – die traditionell-solidarische Organisationsform der lohnabhängig Beschäftigten – noch eine Rolle? In der Region sind sie außerhalb der Großbetriebe kaum noch wahrzunehmen. Was müsste sich tun (und wie müssten sie sich ändern), damit aus ihnen wieder eine nennenswerte Kraft wird? Oder braucht es sie gar nicht mehr? Diese Fragen stellen sich auch die Konstanzer Mediengewerkschafter:innen anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums des ver.di-Ortsvereins Medien+Kunst – und laden zu einer Debatte ein.

Schon lange nicht mehr waren so wenige Beschäftigte in einer Gewerkschaft organisiert wie heute: Derzeit sind es nur noch 17 Prozent aller Lohnabhängigen; bei den Jüngeren ist es nur jede:r Zehnte. Und die Zahlen sinken weiter. In Großbetrieben mit Betriebsrat und im öffentlichen Dienst haben Organisationen wie die IG Metall, ver.di oder die Gewerkschaft Nahrung-Gaststätten-Genussmittel (NGG) noch Kraft. Aber die schwindet: Ihr Bemühen um höhere Löhne hat trotz etlicher Lohnkämpfe lediglich Schlimmeres verhindern können – und in vielen Branchen gar zu Reallohnkürzungen geführt.

Doch wer kümmert sich um das neue Prekariat der Solo-Selbständigen, um die einsamen Arbeitskräfte der digitalen Ökonomie, um die Ausgegrenzten und Marginalisierten? Heute ähneln die Arbeits- und Lebensbedingungen von Millionen Beschäftigter im neoliberalen Kapitalismus mit seinem deregulierten Arbeitsmärkten den Zuständen wie vor 150 Jahren. Damals (1870) gründeten ein paar Drucker und Schriftsetzer den Konstanzer Ortsverein der Buchdruckergewerkschaft und begannen, sich gegen miserable Löhne, katastrophal lange Arbeitszeiten und verheerende Arbeitsbedingungen zu wehren, an denen sie früh starben.

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Und heute? Heute geht es vielen Schein- und Solo-Selbstständigen, Minijobber:innen, Teilzeit- und befristet Beschäftigten, Clickworkern, Paketbot:innen, Fahrradkurieren, Sicherheits- und Reinigungskräfte wieder ähnlich. Auch das Pflegepersonal in Privateinrichtungen, Verkäufer:innen oder die Busfahrer privatisierter Transportunternehmen leiden unter Zuständen, die denen des Frühkapitalismus ähneln: Sie sind isoliert, leben von der Hand in den Mund, finden wenig Unterstützung und schaffen es nur in Ausnahmefällen, Tarifverträge, bessere Bedingungen oder ein höheres Entgelt durchzusetzen.

Wer mobilisiert sie? Wo finden sie Raum und Unterstützung für ein solidarisches Miteinander? Wenn es die Gewerkschaften nicht schaffen, diese wachsende Schar zu gewinnen, marschieren sie in die Bedeutungslosigkeit.

Was also läuft da falsch?  Sind die Organisationen zu verkrustet, zu institutionell, zu unpolitisch? Die Gewerkschaften, sagte einmal der französische Soziologe Pierre Bourdieu, „müssen sich ständig wandeln, um bestehen zu können“. Aber in welche Richtung? Oder müssen sie sich angesichts der großen Herausforderungen jetzt neu erfinden? Wie verteilen wir angesichts der großen Produktivitätsfortschritte die Arbeit? Braucht es keine Arbeitszeitverkürzungen mehr? Und müssten die Gewerkschaften nicht auch endlich zum Klimawandel Stellung beziehen – und für eine ökologisch-soziale Transformation der Industrie kämpfen?

Darüber diskutieren am Mittwoch, 25. Mai, ab 20 Uhr junge, aktive Gewerkschafter:innen aus Konstanzer Einrichtungen und Betrieben, ein Delegierter des Klimacamps von Fridays for Future Konstanz, ein:e Vertreter:in der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU und ein Mitglied des ver.di-Ortsvereins Medien+Kunst Konstanz. Ort: Bürgersaal, Stephansplatz 17, Konstanz. Der Eintritt ist frei. Die Veranstaltung wird unterstützt vom Bildungsverein seemoz e.v.

Text: Pit Wuhrer
Bild oben: Stadtarchiv Konstanz.

Übrigens hat diese Woche noch die 150-Jahr-Ausstellung „Druck.Machen. Am See“ geöffnet. Mo–Fr 16–19 Uhr, Sa 11–15 Uhr, dienstags und freitags 11–13 Uhr.

Die nächsten Veranstaltungen des Festivals der Solidarität:
Fr., 27. Mai, 20.30 Uhr: „Working Class Heroes“. Das Duo Mat Callahan und Yvonne Moore singt alte und neue Lieder der US-amerikanischen und irischen Arbeiter:innen-Bewegung. Im Kulturladen (Kula), Joseph-Belli-Weg 5, Konstanz. Vorverkauf 8 Euro.
So., 29. Mai, 11 Uhr: „Mit roten Nelken auf steinigen Wegen“. Lesung aus Büchern von Vera Hemm, Max Porzig und Erwin Reisacher. Mit Sabine Martin und Thomas Fritz Jung. Bürgersaal. Der Eintritt ist frei.

 

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