Ein neuer Initiativentreff in Konstanz

Für Initiativen und basisnahe Gruppen wird es immer schwieriger, in Konstanz einen Raum für Sitzungen, Workshops und Debatten zu finden: Es gibt kaum noch Kneipen, die über Hinterzimmer verfügen, schon gar nicht mitten in der Stadt. Doch jetzt bietet sich allen, die Treffpunktmöglichkeiten suchen, eine Chance – an einem historischen Ort.

Man sieht nicht allen Gebäuden in Konstanz an, welche Geschichte in ihnen steckt. Und bei vielen käme man gar nicht erst auf die Idee, sich Gedanken darüber zu machen – so unscheinbar sind sie. Oder so gänzlich anders werden sie inzwischen genutzt. Das gilt beispielsweise auch für den einst miteinander verbundenen Gebäudekomplex Markstätte 7, Markstätte 9 und, nach hinten hinaus, die Dammgasse 8.

Denn wo heute vorne ein Tabakladen und ein Optikergeschäft zu sehen sind (und hinten bloß noch eine Haustür), wurde früher getrunken, gegessen und übernachtet. An der Marktstätte, Hausnummer 7, befand sich im vorletzten Jahrhundert die Wirtschaft der Bierbrauerei von Fidel Kees, später auch „Vorderer Kees“ genannt. Das Geschäft lief so gut, dass um 1900 die Stallung und die Scheuer auf der Rückseite zur Schankwirtschaft „Zum Hinteren Kees“ umgebaut wurde. Nach einem Pächterwechsel Anfang der 1930er Jahre entstand aus dem „Kees“ zuerst das „Restaurant Post“ und nach einem weiteren Umbau das „Hotel Post“ mit Fremdenzimmern. Und einem Frühstücksraum mit Blick auf die Dammgasse.

Das war bis Anfang der 1960er Jahre so. Dann änderte sich alles. Das Hotel stellte den Betrieb ein, die Eigentümer wechselten, aus dem zusammenhängenden Komplex wurden drei Häuser (die noch über eine gemeinsame Heizung verbunden sind). Und im hinteren Gebäude, der heutigen Dammgasse 8, zog um 1980 eine WG ins erste Obergeschoss ein, deren Mitglieder auch politisch aktiv waren.

Büro der Drittwelt-Solidarität

Einige von ihnen, so erinnern sich Ingrid und Johannes Augenstein, „engagierten sich im Weltladen, der Ende Juli 1981 entstanden war“. Sie nutzten den großen Raum im Erdgeschoss, wo früher den Übernachtungsgästen das Frühstück serviert worden war: „Dort fand einmal in der Woche das Weltladen-Plenum statt“, sagt Johannes, der – wie Ingrid – heute noch für das solidarische Drittwelt-Projekt tätig ist. Etwa zur gleichen Zeit probte an anderen Abenden eine Band in der Nische des Raums, den tagsüber der (auch für amnesty international aktive) Wirtschaftsjournalist Wolfgang Kessler als Pressebüro nutzte.

Als zu Kemnik-Zeiten die Regale enger standen

Die Vielfachnutzung des Raums intensivierte sich in den 1990er Jahren. Auf Kessler, der 1991 als Chefredakteur zur Zeitschrift Publik-Forum wechselte, folgte die linke Anwältin Eva Grau. Kurz danach begann ein unternehmerisches Projekt für den Import und Vertrieb von fair produzierten und gehandelten, handwerklich angefertigten Waren den großen Raum zu nutzen: die Kemnik GmbH. Der Begriff Kemnik (aus der guatemaltekischen Sprache Quiché für „Fäden spinnen“, „vernetzen“) stand über viele Jahre sinnbildlich für den Büroalltag– beispielsweise in Form eines Software-Entwicklungsprojekts für gemeinnützige Vereine, als Seminarraum und als (organisatorischer) Solidaritäts-Treffpunkt. So entstand in der Dammgasse 8 das Regionalbüro für fair gehandelte Bananen aus Zentralamerika, Banafair, dessen Angestellte die Früchte im Südwesten auslieferten. Später kam das Netzwerk IKS für den Vertrieb von sozial produziertem Kaffee wie „El Rojito“ dazu.

Und dann gehörte zur Kemnik Informations-, Entwicklungs- und Vertriebs-GmbH, die zwei Jahrzehnte lang das Großraumbüro gemietet hatte, das von Ingrid Augenstein gegründete Kemnik-Archiv. Als Teil des Archivverbunds Archiv3 bot es mit den Schwerpunkten Internationalismus, Entwicklungspolitik und Feminismus zu vordigitalen Zeiten allen, die mehr über den globalen Süden wissen wollten, jede Menge Material. Zum Bestand gehörten 2000 Bücher und eine Vielzahl von Zeitschriften, die von Agencia Nueva Nicaragua und Frauensolidarität über iz3w bis zu den Informationsbriefen Weltwirtschaft & Entwicklung reichten. 2013 gab Ingrid Augenstein ihre Archivarbeit auf (das bundesweite Archivnetz besteht in – digitalisierter Form – aber noch heute).

Ein Treffpunkt für alle?

In der Folge übernahm Stefan Frommherz den Raum. Der umtriebige Linke, der früher Bananen ausfuhr, gründete hier seine Libero-Umzugsfirma, nutzte die Dammgasse als Büro, als Lagerstätte – und bot sie immer dann, wenn Bedarf war, als Treffpunkt oder Postadresse an. Hier hatte das Wahlkampfbüro von Luigi Pantisano bei der Oberbürgermeisterwahl 2020 seinen Sitz, hier trafen sich die Mitglieder des ver.di-Ortsvereins Medien+Kunst zur Vorbereitung ihres 150-Jahr-Jubiläums, hier tagten die Mitglieder des Konstanzer Bündnisses für gerechten Welthandel, als sie keinen Sitzungsraum mehr fanden.

Ein Treffpunkt für alle – diese Idee hätte Stefan Frommherz gerne weiterverfolgt und ausgeweitet. Leider starb er, für alle überraschend, im letzten Sommer. Aber seine Idee blieb haften: Was tun mit dem rund fünfzig Quadratmeter großen Raum mitten in der Stadt, nur ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt? Wäre er nicht zivilgesellschaftlich nutzbar für alle Initiativen, die in der Stadt mit ihren exorbitant hohen Mietpreisen keine Bleibe mehr finden?

Und so setzten sich Engagierte aus Frommherz’ Umfeld zusammen, entrümpelten seine Hinterlassenschaft, sprachen mit der überaus kooperativen Vermieterin Irmgard Isele und entwickelten ein (vorläufig bis Ende 2023 befristetes) Konzept.

Wer braucht so was?

Dieses Konzept, federführend ist der Verein seemoz e.v., ist simpel: Wenn sich genügend Gruppen, Vereinigungen und Initiativen finden, die den Raum nutzen und dafür einen bescheidenen finanziellen Beitrag leisten, könnte das Erdgeschoss der Dammgasse 8 auf Dauer als Zentrum zivilgesellschaftlichen Engagements erhalten bleiben. Es bietet (neben der innerstädtischen Lage) zahlreiche Annehmlichkeiten: WLAN-Zugang, Tische und Sitzgelegenheiten für rund zwanzig Sitzungs- und Workshop-Teilnehmer*innen, Bücher und Infomaterial, sanitäre Anlagen (Toilette und Waschbecken), Kaffeemaschine und Geschirr, Kühlschrank, ein digitales Buchungssystem, Regale und so weiter.

Auch dieses Foto zeigt nur einen Teil des Raums

Derzeit wird der Raum, in dem Mitte der 1990er Jahre übrigens auch die Redaktion des linken Konstanzer Zeitungsprojekts Alle 2 Wochen arbeitete, genutzt von

– seemoz e.v., Verein zur Förderung des Bildungs- und Medienangebots
Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel
– Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Konstanz (VVN-BdA)
seebrücke Konstanz
Stadtplan Zukunft Konstanz
KLAR! e.V.
Ortsverein Medien+Kunst Konstanz

Es ist jedoch Platz für noch viel mehr Vereine, Gruppen und Initiativen vorhanden. Wer das Angebot nutzen mag: Eine Mail an dammgasse8@seemoz.de genügt.

Text: Pit Wuhrer
Fotos © Anna Blank, Ingrid Augenstein, Pit Wuhrer