Für eine klimagerechte Verkehrswende – gegen Greenwashing

Auf ihrer Klimaprotesttour per Fahrrad von Tübingen nach München zur Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) legten die Aktivist:innen von „Ohne Kerosin nach Bayern“ (OKNB) Zwischenstopp in Singen ein. Am Rathausplatz war der Start für die Tagesetappe via Radolfzell nach Konstanz. Zwei bemerkenswerte Redebeiträge sind nachfolgend wiedergegeben, denn – wie so oft in Singen – galt: Es gab mal wieder eine Demo (für eine gute und wichtige Sache) und kaum jemand hat es mitgekriegt!

Knapp einen Monat ist es her, da war Singen Startort für die Demonstrationsroute der Tour de Natur 2023 entlang des Bodensees durchs Allgäu. Ihr Ziel München hat diese Protestbewegung am 13. August erreicht. Die vielbeschworene, real aber nur als Kaskade von immer ambitionierter klingenden technokratischen Modellen existierende Verkehrswende in eine wirklich stattfindende klima- und menschengerechte Mobilitätswende zu verwandeln, war eines der Anliegen ihres Protests. Am vergangenen Samstag war Singen Zwischenstopp der in Tübingen gestarteten Aktivist:innen-Gruppe der „Südtour“ von OKNB. OKNB steht ursprünglich für „Ohne Kerosin nach Berlin“.

Ziel dieses bundesweiten Fahrradprotests – seit vier Jahren initiiert und organisiert von Students for Future – war in den letzten Jahren immer die Bundeshauptstadt Berlin. 2023 führt sie zum ersten Mal als „Südtour“ in die bayerische Landeshauptstadt (deshalb jetzt: OKNB = Ohne Kerosin nach Bayern). Verkehrs- und Energiewende sowie Klimagerechtigkeit ist auch das Anliegen dieser Aktivist:innen. In München wollen sie sich in die Proteste gegen die „Internationale Automobil-Ausstellung“ (IAA) einreihen und Flagge gegen den ungebrochenen Autowahn und die Autozentriertheit der FDP-dominierten Bundespolitik zeigen.

[the_ad id=“94028″]Und ähnlich wie bei der Tour de Natur waren auch am vergangenen Samstag bei der Kundgebung zwar die Aktivist:innen am Rathausplatz, aber was die Öffentlichkeit, Zuhörer- oder Unterstützer:innen angeht, so fehlten diese (außer einer zufällig vorbeikommenden älteren Dame, die mit ihrem Hund spazieren ging – und von dem Engagement der jungen Leute ehrlich beeindruckt war). Zuhörer:innen waren zur selben Zeit dagegen zahlreich in der Hegaustraße zu finden, gruppiert um eine Band mit – für unser Hörempfinden unerträglich laut – verstärkten dröhnenden Bässen.

Damit die engagierten Statements der beiden Aktivisten Daniel Winter und Theo Döllmann nicht nur auf dem leeren Singener Platz vor dem Rathaus mit seinen vielen hitzeschützend verschlossenen Fenstern gehalten wurden, seien sie hier nochmals schriftlich und leicht gekürzt wiedergegeben.

Sind autofahrende Menschen gleicher als fahrradfahrende Menschen?

Lange sei der Radverkehr sehr stark auf Freizeit ausgerichtet gewesen. Was müsse passieren, damit noch mehr Menschen das Fahrrad im Alltag nutzen würden, fragte Daniel Winter und konnte gleich etliche Beispiele aufzählen, die vor einer Nutzung im Alltag eher abschrecken:

„Wenn ich bei mir im Ort mit dem Fahrrad unterwegs bin, stehe ich immer wieder an einer Ampel, rechts von allen Autospuren, und darf an dieser Ampel dreimal so lange auf die Grünphase warten wie die Autos neben mir, die geradeaus fahren. Da frage ich mich schon, ob die Person, die im Auto unterwegs ist, dreimal so viel Wert ist, wie ich als Radfahrer. Kann das sein?“

Dasselbe Problem, teils noch schlimmer, gäbe es auch, wenn Schulkinder unterwegs seien. Noch immer würde innerorts mit so geringen Abständen überholt, dass gerade die Sicherheit von radfahrenden Kindern gefährdet sei. „Hier brauchen wir Aufklärungsarbeit unter Autofahrer:innen, was den Mindestabstand von 1,50 Metern innerorts und 2 Metern außerorts angeht, damit Radfahren so angenehm wie möglich ist. Und wir brauchen vor allem einen Ausbau der Radwegeinfrastruktur.“

Auch Radschutzstreifen, die es allerorts gibt, genügten nicht, denn diese ließen „Autofahrende denken, sie können direkt am Rad vorbeifahren, sondern es braucht baulich getrennte Radwege, damit Kinder sicher sind, und weniger Kreuzungen mit dem motorisierten Straßenverkehr. Denn es kann doch nicht sein, dass das Radfahren für Kinder zur Mutprobe wird!“

Protest gegen die Werbeveranstaltung IAA

Autozentrierte Verkehrspolitik und die alljährlich stattfindende Megawerbeveranstaltung IAA waren Themen des Redebeitrags von Theo Döllmann, Pressesprecher der Gruppe. Die IAA sei eine Werbeveranstaltung von Autokonzernen. Bei genau solch einem Autokonzern habe er neulich einen Nachhaltigkeitsworkshop besucht und die Frage gestellt, warum gerade so ein Autokonzern einen Nachhaltigkeitsworkshop anbiete. Als Antwort erhielt er vom Nachhaltigkeitsmanager des Unternehmens, dass das Auto im Vergleich mit anderen Verkehrsmitteln tatsächlich nichts mit Nachhaltigkeit zu tun habe.

„Denn Autos sind nicht nachhaltig. Sie sind Blechlawinen, die neunzig Prozent der Zeit nur herumstehen in der Stadt“, so der Student aus Augsburg weiter. „Für mein elf Quadratmeter großes Wohnheimzimmer im Randgebiet der Stadt Augsburg zahle ich eine Monatsmiete von 300 Euro. Ein Anwohner:innen-Parkplatz hat die gleiche Größe – kostet im Jahr allerdings nur 30 Euro! […] Wir sind allerdings nicht unterwegs wegen Parkplätzen und der Größe meines Zimmers. Wir sind unterwegs wegen der strukturellen Benachteiligung von klimafreundlichen Verkehrsmitteln. Denn Autos sind weder nachhaltig noch zukunftsfähig, werden im Verkehr aber massiv bevorzugt.

Uns geht es um Menschen, die sich auf zu schmalen Gehwegen drängeln müssen. Uns geht es um ländliche Regionen, die noch nie einen Zug gesehen haben, und wo der Bus werktags nur zwischen 7 und 16 Uhr ein paar Mal vorbeischaut, und das auch nur, wenn man sich eine Stunde vorher angemeldet hat. Und uns geht es um Radfahrende, die bei Unfällen mit Autos besonders häufig tödlich verunglücken. Am tödlichsten sind Unfälle mit großen, schweren Autos, also SUVs. SUVs sind größer, schwerer, unpraktischer und klimaschädlicher, als sie sein müssten. Dafür verleihen sie Status! Solche Autos verhindern, dass Menschen sich selber bewegen. Autos spalten Innenstädte. Autos machen das Klima kaputt.“

Dennoch, fügte der Umweltaktivist an, solle man ihn nicht falsch verstehen. Er wolle nicht alle Autos verbieten, denn das Auto sei nach wie vor auch ein technisches Meisterwerk, und ob man es möge oder nicht, es sei zum größten Teil dafür verantwortlich, wie wir heute leben – im positiven und im negativen Sinne.

Aber „in einer klimagerechten Verkehrswende habe das Auto keinen dominanten Platz mehr und nur Porsche-Minister Christian Lindner hat das noch nicht verstanden. Was ist das für eine Gesellschaft, in der Vielen ein dickes Auto wichtiger ist als Klimaschutz? Es sind Werbeveranstaltungen wie die IAA, die die Werte unserer Gesellschaft verschieben. Es ist keine rationale Entscheidung, sich einen SUV zu kaufen. Durch Werbung wird uns eingepflanzt: dicke Karre – geil!“

Für eine klimagerechte Verkehrswende, mehr Bus- und Bahnverbindungen fürs Land, dafür setze sich OKNB mit seiner Protestfahrt ein. Gegen Greenwashing und manipulative Werbung von Großkonzernen wollen die Umweltaktivist:innen Widerstand leisten. Die aktuellen Unwetterkatastrophen wundern sie nicht, sondern sehen sie als Beweise, dass der Klimawandel außer Kontrolle geraten sei, wie auch UN-Generalsekretär António Guterres warnt.

„Deshalb haben wir keine Zeit mehr, um uns über Protestformen zu zerstreiten. Jetzt ist auch nicht die Zeit, um der Autoindustrie in München eine weitere Werbefläche für klimaschädliche SUVs zu geben. Es ist die Zeit, in der sich Zehntausende gegen die gewaltvolle Zerstörung Lützeraths stellen, und die Zeit, in der wir die IAA blockieren. Jetzt ist die Zeit, in der wir zeigen, Greenwashing auf Kosten unserer Lebensgrundlage, das lassen wir nicht zu. Denn Autos sind nicht nachhaltig.“ Mit diesem dringlichen Appell schloss Theo Döllmann seinen Redebeitrag.

Danach ging es für die Gruppe als angemeldete Demo, begleitet von Polizeifahrzeugen, weiter nach Radolfzell und anschließend nach Konstanz. Die Route der nächsten Tage führt über Biberach – Ulm – Augsburg nach München, wo die IAA am 5. September eröffnet wird. Unterwegs bzw. in München werden weitere Aktive – u.a. gestartet in Lübeck, Frankfurt, Freiburg und Leipzig – hinzukommen, sodass sich etwa 100 OKNB-Mitstreiter:innen zusammenfinden werden.

Grün gewaschene Automobil-Ausstellung

Übrigens: „IAA MOBILITY“ heißt diese Messe seit ihrer Standortverlegung 2021 von Frankfurt nach München. Als „wichtigste und weltweit führende Mobilitätsveranstaltung“ vermarktet sie sich selbst. Ihr neues Konzept: Mobilität auch jenseits von Automobilen sei ein Schwerpunkt – auch Fahrradhersteller seien unter den Ausstellern. Marketing- und Nachhaltigkeitsmanager kennen sich halt aus mit Greenwashing!

Text: Uta Preimesser
Fotos: Dieter Heise