Prozess gegen Antifaschisten: Verfahren eingestellt, Note sechs an Stadt Radolfzell vergeben
Nach nicht einmal einer halben Stunde war alles vorbei. Im Prozess gegen einen Antifaschisten vor dem Amtsgericht Radolfzell stellte der Richter das Verfahren unter Auflagen ein. Der Strafbefehl, in dem die Staatsanwaltschaft dem heute 20-Jährigen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zur Last legte, ist damit vom Tisch. Hintergrund des Verfahrens war eine von der Stadt Radolfzell am Volkstrauertag 2017 auf den letzten Drücker verbotene Demonstration gegen Naziumtriebe in der Region und die jährliche Gedenkfeier der Stadt an einem NS-Kriegerdenkmal. Gar nicht gut weg bei der Verhandlung kam einmal mehr die Stadt Radolfzell.
Trotz der Verbotsverfügung, die damals der Anmelderin nur einen Tag vor der schon genehmigten Demo zugestellt wurde, hatte sich an diesem 19. November eine Schar überwiegend jugendlicher AntifaschistInnen auf dem Seetorplatz eingefunden. Die Gruppe entschloss sich, trotz des Verbots spontan zu demonstrieren, nun nicht nur gegen Rechts, sondern auch gegen Behördenwillkür. Nach stundenlanger Einkesselung durch das angerückte martialische Polizeiaufgebot und schon auf dem Rückweg zum Bahnhof ordnete die Einsatzleitung an, offenbar als „Rädelsführer“ wahrgenommene DemoteilnehmerInnen zur Personalienfeststellung herauszugreifen. Die Folge war ein brachialer Einsatz der OrdnungshüterInnen, verbunden mit entsprechendem Gerangel und mehreren Festnahmen, was der Staatsanwaltschaft ausreichte, um fünf Ermittlungsverfahren einzuleiten. Vier davon hat man inzwischen klammheimlich fallen lassen, nicht so indes das Verfahren gegen Marius P. (Name von der Redaktion gerändert), den die Staatsanwaltschaft nun wegen Verstoß gegen Paragraf 113 des Strafgesetzbuchs: „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“, verurteilt sehen wollte.
In den Augen der Anklagebehörde, beim Prozess vertreten durch Oberamtsanwältin Weishaupt, machte sich der junge Antifaschist schuldig, weil er sich in zwei Fällen zwischen Beamte und Personen gestellt hatte, die, so die Ausführungen Weishaupts, „mittels unmittelbaren Zwangs von den übrigen Versammlungsteilnehmer separiert werden“ sollten. Beim „Wegziehen“ durch Polizeibeamte habe er zudem Oberkörper und Arme „versteift“, und sich, schließlich von drei wackeren Einsatzkräften niedergerungen, noch auf der Straße liegend „hin und her“ gewunden und versucht, „sich vom Boden hochzudrücken“. So geht also Widerstand gegen die Staatsgewalt. Für die Anklägerin ist die Sache jedenfalls klar: „Sie werden daher beschuldigt …, in zwei Fällen einen Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohen mit Gewalt Widerstand geleistet zu haben, strafbar als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte …“. Bis zu drei Jahre gibt‘s dafür oder Geldstrafe.
Rechtsanwalt Gerd Zahner, der den Beschuldigten vertrat, drehte den Spieß um. Die Schuld an den Vorfällen am 19.11. 2017 sieht er nicht bei den Protestierenden, er macht die örtlichen EntscheidungsträgerInnen verantwortlich. Ersichtlich fahre die Stadt gegen linke DemonstrantInnen die Taktik, einen Tag vor der Veranstaltung „das Verbot zu erlassen, damit man nicht darauf reagieren kann“. Zahner weiß, wovon er spricht, hat er es doch in einem ähnlich gelagerten Fall knapp ein halbes Jahr später mit der Radolfzeller Ordnungsbehörde zu tun gehabt. Im April 2018 versuchten die Amtsgewaltigen nämlich neuerlich eine Antifa-Demo mit ähnlich hanebüchenen Auflagen zu verhindern, wie am Volkstrauertag. Fast genüsslich paraphrasiert der Anwalt aus dem städtischen Schriftsatz, der ihm damals vorgelegt wurde. „Man darf nicht in der Innenstadt demonstrieren, weil das die Touristen und Einkaufenden abschrecken würde. Man darf nicht auf den Luisenplatz (dort steht das Nazi-Denkmal, Red.), den Gegenstand der Demonstration, weil das eine Provokation wäre, von wem auch immer.“
Das Volkstrauertag-Verbot sei zudem auch deshalb absurd gewesen, weil die Behörde es lediglich mit einem kurz zuvor aufgetauchten Plakat begründet habe. „Da wurde eine Demo verboten, die einen Monat vorher ordnungsgemäß angemeldet worden ist, weil – keiner hat‘s nachprüfen können – irgendwo, irgendjemand ein Plakat aufgehängt hat.“ All das sei „evident rechtswidrig, ja verfassungswidrig“, so Zahner, der das nicht nur mit dem Erfolg seiner damaligen Intervention beim Verwaltungsgericht Freiburg untermauern kann. Anfang August hat dieses Gericht der Stadt gleich auch noch die Rechtswidrigkeit des Verbots der Volkstrauertag-Demo um die Ohren gehauen, nachdem die Radolfzeller selbst – wieder mal nur einen Tag vorher – kleinlaut zu Kreuze gekrochen waren.
Auch die Polizei selbst habe zudem am 19.11. „objektiv rechtswidrig“ gehandelt, setzt der Singener Anwalt noch eins drauf. Sehr wohl nämlich hätten die damals Versammelten das Recht auf eine Spontandemonstration gehabt, was das Bundesverfassungsgericht seit 30 Jahren immer wieder bescheinige. Ob angesichts dieser Faktenlage die Einkesselung rechtmäßig war, sei mehr als fraglich. Unverständlich ist für den Juristen zudem, dass der polizeiliche Zugriff erfolgte, nachdem sich Protestierende und Einsatzleitung über den geordneten Abzug schon geeinigt hatten. Die Hauptschuld weist Zahner aber den Hardlinern im Rathaus zu: „Meine Wut richtet sich gegen die Stadt, weil sie genau so handelt, dass es zu Konflikten kommt zwischen Polizisten, die überfordert sind, und Demonstranten, die auf ihrem Recht beharren“.
Eigentlich müsste das Urteil bei dieser Sachlage auf Freispruch für Zahners Mandanten lauten. Hält doch der „Widerstands“-Paragraf 113 des Strafgesetzbuchs in Absatz 3 fest: „Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.“ Im Interesse seines Mandanten aber stimmte der Anwalt nach knapp halbstündiger Verhandlung dem Vorschlag des Gerichts zu, das Verfahren unter Auflagen einzustellen. Der ersichtlich gut vorbereitete Richter Georg Dold hatte zuvor zur Ehrenrettung der Ordnungsmacht zwar darüber referiert, warum es sich über Spontandemonstrationen „immer trefflich streiten“ lasse, zugleich aber kaum einen Hehl daraus gemacht, was er von den Radolfzeller Verbotsübungen hält. Die „Note sechs“ vergibt er für die Versammlungsbehörde. Staatsanwältin Weishaupt schloss sich dem Vorschlag des Richters schließlich ebenfalls an.
Nach Zahlung von 400 Euro an Amnesty International ist der Fall für Marius P. damit erledigt, der sich darüber freuen kann, dass ihm ein Eintrag ins Strafregister erspart bleibt. Nicht erledigt hat sich die Sache indes für die Verantwortlichen bei der Stadt, denen dringend eine Kurskorrektur in Sachen Demokratieverständnis und Verfassungstreue angeraten sei, sollen öffentliche Watschen künftig vermieden werden. Nicht wenige der zahlreich erschienen BesucherInnen fragten sich jedenfalls anschließend kopfschüttelnd, ob hier nicht die falsche Partei auf der Anklagebank saß.
J. Geiger (Text & Foto)