Reichsbürger*innen gibt es nicht erst seit Mittwoch

Seit der Groß-Razzia letzten Mittwoch gegen vermeintliche Mitglieder und Unterstützende einer rechten, terroristischen Vereinigung, ist die Reichsbürger*innen-Szene und die Neue Rechte in aller Munde. Die 25 Festgenommenen sollen einen gewaltvollen Staatsstreich geplant haben. Politiker*innen wie verschiedenste Organisationen zeigen sich entsetzt über das Ausmaß an Gewaltbereitschaft und fordern stärkere Maßnahmen gegen gewaltbereite Rechte. Da fragt sich doch: Wieso erst jetzt? Dazu ein Kommentar.

Die Razzia wird in den Medien und seitens der Polizei als einer der größten Antiterroreinsätze seit Jahrzehnten bezeichnet. Dass gegen die Reichsbürger*innen vorgegangen wird, ist richtig und wichtig! Aber diese Festnahmen greifen das Problem nicht an der Wurzel. Deutlich wird dies, wenn an die zahlreichen Hausdurchsuchungen bei 50 Anhänger*innen der neuen Rechten im vergangenen Frühjahr erinnert wird: Auch diese wurden von Politiker*innen als entscheidender Einsatz und Wende im Kampf gegen Rechte dargestellt. Es wurden Empörungen deutlich gemacht und Veränderungen versprochen. Und danach? Danach lief alles weiter wie gewohnt.

Es muss endlich eine Veränderung im Umgang mit rechten Ideologien und deren Anhänger*innen geben. Bei beiden Razzien wurde deutlich: Rechtsradikale tragen nicht mehr länger Springerstiefel oder haben eine Glatze. Sie stammen aus der vermeintlichen „Mitte der Gesellschaft“, sind unsere Nachbar*innen, Ärzt*innen, Richter*innen und Politiker*innen. Und auch das altbekannte Polizei- wie Bundeswehrproblem darf endlich nicht mehr ignoriert werden, denn beide Institutionen sind teilweise durchsetzt von Rechten.

Ein altbekanntes Muster

Die vorherrschende Ignoranz gegenüber der Gefahr dieser Menschen wird insbesondere am Beispiel der Corona-Proteste und Querdenker*innen in den letzten Monaten deutlich: Mit Beginn dieser im Frühjahr 2020 dienten sie als Nährboden für rechte Ideologien. Es folgten zahlreiche Fälle von menschenfeindlichen und verschwörungsideologischen Aussagen auf Demonstrationen. Verschiedenste Personen, die in der Neonazi-Szene bekannt sind, wurden gesichtet und explizit auch auf Bühnen eingeladen. Und trotzdem werden die Proteste nach wie vor von der Politik, Institutionen wie der Polizei, und der Gesellschaft als bürgerlich und harmlos mit vereinzelten Ausreißer*innen dargestellt.

Dieses Muster ist im Umgang mit menschenfeindlichen wie rechten Ideologien nichts Neues. Häufig werden diese als Einzelfälle oder als Hirngespinste dargestellt. Das muss aufhören. Gewaltbereite Reichsbürger*innen mit Umsturzphantasien gibt es nicht erst seit Mittwoch. Rechte durchsetzen seit Jahren die vermeintliche Mitte der Gesellschaft und verbreiten ihre Ideologien täglich in den sozialen Medien, auf den Straßen, im Bundestag und im Alltag. Deren menschenfeindliches Gedankengut als Spinnereien oder als psychische Krankheit darzustellen, ist nicht nur massiv problematisch gegenüber Menschen mit tatsächlichen psychischen Krankheiten, sondern spielt die bewusste Entscheidung der Rechten und Reichsbürger*innen für diese Ideologien auch deutlich herunter. Indem sie als „psychisch krank“ konnotiert werden, wird versucht, sie zu verharmlosen und als wehrlos darzustellen. Ein Narrativ, das unsere Gesellschaft durchzieht und nicht nur ein falsches Bild von psychischen Krankheiten darstellt, sondern auch hochgefährlich ist.

Wie stark rechtes Gedankengut in unserer Gesellschaft normalisiert ist, wird aktuell auch an den Reaktionen der AfD auf die Razzia deutlich. Zum einen gab es keinerlei Äußerungen zur Festnahme der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten und Richterin Birgit Malsack-Winkemann, zum anderen wird der Polizeieinsatz in Chatgruppen vielfach als gezieltes Ablenkungsmanöver von einem Angriff auf zwei Schüler*innen bei Illerkirchberg am 05. Dezember betitelt. Diesen instrumentalisiert die AfD derzeit, um ihre rassistische Hetze Seite an Seite mit Organisationen der extremen Rechten und Querdenken-Ablegern zu verbreiten, da der Täter einen Migrationshintergrund hatte. Genaueres dazu hier. Mit der Darstellung der Razzia als Ablenkungsmanöver von diesem Vorfall wird deutlich, dass die AfD keine Chance versäumt, um rechte Ideologien zu propagieren. Und auch der Umgang mit dieser Partei ist ein perfektes Beispiel für die Ignoranz in Politik und Gesellschaft gegenüber alltäglichem, menschenfeindlichen Gedankengut.

Rechte Gewalt im Bodenseeraum

Auch im Bodenseeraum gab es in den letzten Monaten wie Jahren zahlreiche Fälle von rechtsradikaler Gewalt. So wurden erst vor etwa einer Woche verfassungswidrige Zeichen an eine Gemeinschaftsschule in Friedrichshafen geschmiert. Außerdem gab es dort kürzlich auf dem Weihnachtsmarkt antisemitische Übergriffe. Die Neonazi-Gruppe „Der Dritte Weg“ kündigte für die Region hier vergangenen Herbst zudem zahlreiche Veranstaltungen an und forderte „soziale Gerechtigkeit“, allerdings nur für „Deutsche“. Auch Querdenken war um den Bodensee herum mehrfach in den Schlagzeilen mit Hitlergrüßen, rassistischen Parolen und mehrfachen Sichtungen von offen auftretenden Neonazis. Diese erschreckenden Vorfälle sind nur ein Bruchteil an rechten Aktivitäten im Bodenseeraum. Bei Interesse lässt sich genaueres zu den genannten und weiteren Vorfällen hier nachlesen.

Kein Raum für Rechte!

Rechte Personen sind misogyn (frauenfeindlich), queerfeindlich, rassistisch, antisemitisch und ableistisch (behindertenfeindlich), um nur einige Beispiele für deren menschenfeindliche Einstellungen zu nennen. Dieses Problem ist alleine nicht gelöst mit einem verschärften Waffengesetz. Es braucht dafür in erster Linie eine konsequente Ablehnung gegenüber derartigen Haltungen. Sie stellen eine akute Gefahr dar und ihnen darf kein Raum gegeben werden.

Autor*in: Connie Lutz; Bild: S. Lipp