Sag‘ zum Abschied leise Servus. Was träumende Telefone Sammlern nachts in die Ohren wispern (Teil III)
Die größte fernmeldehistorische Sammlung in privater Hand in Deutschland, die Sammlung Schmidt, zieht von Konstanz nach St. Georgen um. Albert Kümmel-Schnur, der die Sammlung und den Sammler Hans-Dieter Schmidt seit vielen Jahren kennt, beschreibt die Magie des Sammelns und die ganz eigene Seele einer Sammlung, wie es kaum eine zweite gibt.
Teil I lesen Sie hier, Teil II hier.
Objekte sind Erzählanlässe und Ereignisse in Erzählungen. Sie sind selbst auch hervorgegangen aus Geschichten. Etwa der von dem Beerdigungsunternehmer, der so sauer war auf die Telefonistinnen, die einen seiner Konkurrenten bei der Durchstellung möglicher Aufträge bevorzugten, dass er die Telefonistinnen elektromechanisch exorzieren wollte und deshalb die erste Selbstschaltung erfand: den Strowgerwähler, benannt nach seinem Erfinder Almon Strowger. Das war 1888-1891. Oder auch der von der Einführung des Tastenwählblocks. Ältere erinnern sich sicher noch, dass Telefonnummern seit Abschaffung der Handvermittlung durch das Drehen einer Wählscheibe eingegeben wurden.
In den 1970er Jahren nun ersetzte die Deutsche Bundespost erstmals die Wählscheibe durch Tasten. Anstatt mit dem Finger durch ein Loch in einer Scheibe zu fahren und diese ziehend weiterzubewegen, musste man nur noch eine Taste herunterdrücken. Scheinbar ein großer Fortschritt in der Mensch-Maschine-Kommunikation.
… zusehen, wie die Nummer durch die Elektromechanik ratterte
Doch das wählende Volk war unzufrieden. Die Beschwerden häuften sich bei der Post. Warum? Der Eingabemodus hatte sich geändert, die Technik dahinter war jedoch gleich geblieben. Während sich beim Drehen der Nummernscheibe klar vermittelte, dass es Zeit brauchte, bis eine Nummer tatsächlich geschaltet war, so war das beim Drücken der Taste nicht mehr so. Der Druck braucht nur einen kaum wahrnehmbaren Moment – doch dann verging eine gefühlte Ewigkeit bis endlich, endlich wunschgemäß ein Frei- oder Besetztzeichen zu hören war. Die Post reagierte sofort und bot das Gerät wieder alternativ mit Wählscheibe an. Da die Apparate in Schmidts Sammlung zum größten Teil noch funktionierten, konnte man das selbst ausprobieren: Nummer wählen – am Schaltschrank zusehen, wie die Nummer durch die Elektromechanik ratterte – das Klingeln hören. Man konnte dem Zeitempfinden einer vergangenen Zeit nachspüren.
… nie als Besitzer, sondern immer nur als Bewahrer, Verwalter auf Zeit
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Auch das war ein Alleinstellungsmerkmal der Sammlung Schmidt. Alles, wirklich ausnahmslos alles, was in der Sammlung herumstand, durfte angefasst werden. „Warum klingelt das Telefon?“ fragt eine Fünfjährige, und Hans-Dieter Schmidt drückt ihr einen Schraubendreher in die Hand mit der freundlichen Aufforderung: „Mach auf und schau nach.“ Hin und wieder ging mal etwas kaputt. Ich erinnere mich, wie ich gemeinsam mit Herrn Schmidt rückgesandte Objekte auspackte und mir aus einem Karton ein gläserner Batteriebehälter entgegenfiel. 120 Jahre alt. Peng! Da lag er in Scherben auf dem Boden. Ein Wutausbruch des Sammlers wäre nur allzu verständlich gewesen, aber Herr Schmidt lächelte nur milde und empathisch, ganz so, als müsse er mich trösten. Was er dann auch völlig selbstverständlich tat. Er beruhigte mich, klopfte mir mit der Hand auf die Schulter und sagte: „Das können wir wieder kleben. Keine Sorge.“ „Ja aber –“ Ich meine, das ist ja jetzt nicht mehr dasselbe Objekt. Schade drum. „Nun, nun,“ tönte Schmidts Stimme beruhigend, „das gehört halt jetzt zur Geschichte dieses Objekts.“ Da war er immer radikaler, dem sonst aller Extremismus fremd war: auch als Sammlungsobjekte sind die Geschichten der Dinge, die er aufbewahrt, nicht beendet.
Und möglicherweise ist es sein tiefer religiöser Glaube gewesen, der ihm half, sich nie als Besitzer, sondern immer nur als Bewahrer, Verwalter auf Zeit zu sehen. Wenngleich er durch die Objekte hindurch immer auch auf die eigene Lebensgeschichte blickte. In dem bereits erwähnten Film „Blackbox Schmidt“ gibt es ein schönes Bild, da spiegelt sich das Gesicht des Sammlers im Glas, das ein Foto seines Elternhauses in Burgbernheim, eines Postamtes, wie könnte es anders sein!, schützt. Unscharf sieht man die Konturen des Hauses mit einem Dachständer für Telefonleitungen, auf dem er als Bub‘ gesessen hat, um, wie er es heute ausdrückt, „einfach mal nicht da zu sein“. Und dann wird das Gesicht unscharf und man sieht das Haus – als weicher Schatten darüber die Konturen des Gesichtes von Hans-Dieter Schmidt.
Perdü! Ausgeträumt der Traum eines anderen Lernens
Aber der Schatten bleibt. Zunächst wird er jedem Objekt seiner Sammlung weiter anhaften. Momentan fährt Lastwagen um Lastwagen vor. Alte Kollegen helfen, die Elemente sachgemäß abzubauen. Fremde Hände greifen kräftig die gepackten Kisten und transportieren sie aus dem Haus, das im kommenden April größtenteils abgerissen werden wird. Hans-Dieter Schmidt möchte seiner Sammlung verbunden bleiben, solange er kann. Ich habe ihn ein wenig unterstützt bei der Konzeption des Neuaufbaus in St. Georgen. Wie macht man’s, dass das, was in Konstanz zu sehen war, auch in St. Georgen sich noch zeigt? Noch einmal kam Hans-Dieter Schmidt gemeinsam mit seiner Frau in eines meiner Seminare, der Veranstaltungsreihe DO IT YOURSELF im Turm zur Katz, und stellte 15 Studierenden Objekte vor. Wie kann man das nun weiterführen? Eifrig wuselnd entwarfen die Studierenden digitale Szenarien und virtuelle Räume. Und Herr Schmidt bedankte sich, höflich lächelnd und wertschätzend: jetzt sei er auf neue Ideen gekommen. Vielleicht ließe sich das eine oder andere ja umsetzen, meint er.
… was hätte werden können aus dieser Sammlung!
Ein schwacher Trost. Denn was hätte werden können aus dieser Sammlung! Mit Fünfjährigen haben wir Dosentelefone gebaut und danach hielten sie Bell’sche Hörer, die ersten funktionstüchtigen Telefone aus den 1870er Jahren, in der Hand und konnten diese ausprobieren. Mit Achtklässler:innen haben wir überlegt: wie funktioniert eigentlich ein Netz? Alle reden vom Internet, aber das kann man ja nicht greifen, das ist so wolkig wie die Cloud, in der sich alle Daten angeblich sammeln, nur um letztlich doch auf irgendeinem Server in Kalifornien oder sonst wo zu liegen. Also haben wir mit dem technischen Netz begonnen, das nach wie vor eine Grundlage unserer Fernkommunikation ist: dem Telefonnetz. Mit Schnüren haben wir Netze gebaut. Botschaften als Bälle einander zugeworfen. Solange, bis man tatsächlich die Zeichnungen und Diagramme, die sich in mehr oder weniger alten Büchern und auf Schautafeln der Sammlung fanden, verstand, weil man sie sich ganz motorisch erarbeitet hatte. Und dann, ja, dann erst kamen die Kabelmodelle und Kabelreste.
Endlich habe ich das verstanden!
So dünn ist ein Glasfaserkabel …!! Was?! 5000 Gespräche gleichzeitig über das dünne Ding?! So konnte man in der Sammlung handgreiflich lehren, Schritt für Schritt. Mal mit einer Erfahrung beginnend, mal mit einem Objekt und manchmal auch mit einer Idee. Für Studierende der Medienwissenschaft, die zwar viel Theorie erlernen, aber nur in sehr seltenen Fällen die zugrunde liegende Technik begreifen, haben wir Schaltpläne aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ausgeplottet, sodass sie wie Teppiche auf dem Boden lagen. Der Vorteil der frühen Schaltpläne liegt darin, dass die Schaltelemente noch ganz realistisch dargestellt werden. Man kann sie erkennen. Und dann folgte die Aufforderung „Sucht die auf diesem Plan abgebildeten Objekte und legt sie an die richtigen Stellen.“ Und mitlaufend bei dieser Suche konnte man zugucken, wie die Groschen pfennigsweise fielen oder, ach, pardon, die Euromünzen centweise … „Endlich habe ich das verstanden!“ So endeten diese Sitzungen, die eher Laufungen, Suchungen, Stehungen waren, immer.
Das ist jetzt vorbei. Perdü! Ausgeträumt der Traum eines anderen Lernens direkt am Objekt und quer durch die ganze Bildungskette. Es macht bitter, über all die Jahre die vielen, vielen Versprechungen gehört zu haben, aus denen dann nichts folgte. Mein persönlicher Wunsch wäre gewesen, aus der Sammlung Schmidt eine Landesinstitution zu machen, aus der sich Erzieher:innen, Lehrer:innen, Dozent:innen je nach Bedarf und Projekt hätten bedienen können. Aber auch Kurator:innen, die einen Apparat für eine Ausstellung benötigt hätten oder Film- und Theaterprojekte, die historische Requisiten brauchten. Das wäre gar nicht allzu teuer gewesen.
Es ist gut zu wissen, dass die Geschichte der Sammlung Schmidt nicht zuende ist. Es ist dennoch eine Schande, dass es nicht gelang, sie zukünftigen Generationen als lebendigen Bildungsort zu erhalten. Aber, wer weiß, vielleicht entwickeln sich ja am neuen Standort auch neue Nutzungsideen.
Text: Albert Kümmel-Schnur, Bilder: Tobias Baader, André Beckersjürgen, Hans-Dieter Schmidt, Michael Schrodt, Studierende der HTWG