Vierzig Jahre Weltladen Konstanz (2): „Vielleicht sind die Jungen ehrlicher“
Am morgigen Samstag feiert der 1981 gegründete Weltladen Konstanz sein Jubiläum mit einem Tag der offenen Tür. Worin unterscheidet sich das kleine Geschäft in der Niederburg von anderen Fairtrade-Läden? Wo bleiben die jungen AktivistInnen? Und was ist so gut am Apfel-Mango-Birnensaft der Stahringer Streuobstmosterei? Dazu führte seemoz ein zweiteiliges Gespräch mit den Gründungsmitgliedern Romy Grimm-Schneider und Tonie Maier. Der erste Teil erschien hier.
seemoz: Bei eurer Gründungsversammlung vor vierzig Jahren gab es eine Idee, aber noch keinen Laden?
Tonie Maier: Doch. Die Gründungsversammlung haben wir schon in der Rheingasse 17 gemacht, im Haus Zur Schmiede. Wir hatten also den Laden schon.
Romy Grimm-Schneider: Vier, fünf Jahre später haben wir den Sprung in die Zollernstraße geschafft, um näher an der Innenstadt zu sein. Wir haben die Räume selber renoviert und waren stolz, dass wir die Miete zahlen konnten.
Tonie Maier: Danach sind wir in die Inselgasse 20 gezogen – und mussten auch dort wieder raus, weil man uns wegen Eigenbedarf gekündigt hat. Und dann kam Klaus Läuger auf uns zu, weil er gehört hat, dass wir in Not sind. Der Laden hier in der Rheingasse 13 sei jetzt frei, hat er gesagt, das afrikanische Kunsthandelsgeschäft gehe raus, und dann ging alles sehr schnell.
seemoz: Wann kommt hier der Eigenbedarf?
Tonie Maier: Der kommt nicht. Weil wir hier ganz gute Kontakte haben, auch zum Sohn Wolfgang Läuger, der gerade ein Netzwerk zur guten Wirtschaft aufbaut, zu dem passen wir gut. Er macht viel für die Solidarische Landwirtschaft (Solawi), und wir sind jetzt – angeregt von einer jungen Wissenschaftlerin – ein Solawi-Verteilpunkt. Dadurch kommen auch junge Leute hier her, laufen durch den Laden zum Innenhof, nehmen Bananen mit oder Kaffee, man kommt ins Gespräch.
seemoz: Worin besteht das Ladenkonzept?
Tonie Maier: Information, Information und noch mal Information. Wir wollen die Leute über die ungerechten Handelsbeziehungen informieren.
seemoz: Damit zahlt man aber noch keine Ladenmiete.
Tonie Maier: Die Preise werden schon so kalkuliert, dass es kostendeckend ist. Die Produkte dienten uns immer als Möglichkeit, über die unfairen Verhältnisse zu informieren. Dabei sind wir nicht immer den Weg der Weltladen-Bewegung mitgegangen, weil wir da manches kritisch sehen: Da geht es stark um Umsatzsteigerung, um Profilierung und damit verbunden um ein einheitliches Konzept. Damit verknüpft war auch ein einheitliches Logo der Weltläden; unseres hingegen ist immer noch individuell. Dazu kamen die Bemühungen von Transfair, der Zertifizierungsorganisation, und das Bestreben, Fairtrade-Produkte auch in Supermärkten anzubieten …
Romy Grimm-Schneider: Was ja so schlecht nicht ist. Das war ja unser Ausgangspunkt gewesen – dass wir überflüssig werden. Ich sehe das schon als Erfolg der Bewegung: Gut, dass fair gehandelter Kaffee auch bei Edeka oder bei Denn’s zu kaufen ist.
seemoz: Aber das ist marginal.
Tonie Maier: Richtig. Und es ist null Information dabei.
Romy Grimm-Schneider: Andererseits hat sich das Kaufbewusstsein verändert. Es gibt viele kritische KäuferInnen. Auch junge Leute.
seemoz: Kommen die auch zu euch?
Tonie Maier: Wenn du Glück hast, kommt pro Ladendienst eine junge Person herein. Aber wir sind auch so was wie ein Quartierladen. Die Nachbarn und Nachbarinnen holen Bananen bei uns, Kaffee und Tee. Darauf kann man sich verlassen. Und so kriegen wir auch die Miete rein.
Romy Grimm-Schneider: Die Vernetzung in der Nachbarschaft ist wichtig, da gibt es eine sehr wohlwollende Unterstützung. Die einen kaufen Orangensaft hier, die anderen immer wieder Schokolade.
seemoz: Seid ihr immer noch fünfzehn Leute wie bei der Gründung?
Tonie Maier: Den Ladendienst machen sechs oder sieben von uns, und im Hintergrund gibt es etwa weitere sieben. Manche kommen nur ins Plenum, aber wir alle haben über Mail regelmäßig Kontakt.
Romy Grimm-Schneider: Aber man kann ruhig von Überalterung sprechen. Schau’s dir an: Ich war die ersten sieben, acht Jahre mit dabei, dann Beruf, Familie und dann ging nichts mehr bis zum Ruhestand, als Roswitha zu mir sagte: Du könntest doch eigentlich wieder. Die übliche Biografie also.
Tonie Maier: Früher kamen viele Studierende vorbei und haben eine Zeit lang mitgearbeitet und sich engagiert – das waren Leute, die internationale Politik studiert haben, die von ihrem Arbeitsaufenthalt zurückgekommen waren und was machen wollten. Da waren wir die Anlaufstelle, das war schon klasse. Manche haben von hier aus auch andere Wege genommen, zur Grünkern-Genossenschaft zum Beispiel.
seemoz: Kommen die StudentInnen nicht mehr?
Tonie Maier: Sehr selten.
seemoz: Weil es die Auslandsaufenthalte nicht mehr gibt?
Romy Grimm-Schneider: Sie haben keine Zeit mehr in ihrem eng getakteten Bachelor-Studium. Das ist ein großer Mist. Die gehen ja nicht mal mehr auf Exkursionen, weil ihnen die Zeit fehlt, weil eine Klausur ansteht, weil sie der eine oder andere Dozent nicht gehen lässt.
seemoz: Das allein erklärt noch nicht, weshalb keine Jüngeren mehr nachkommen.
Tonie Maier: Es gibt noch welche. Derzeit haben wir einen sehr engagierten Chemiestudenten und eine junge Wissenschaftlerin …
seemoz: Könnte es auch daran liegen, dass es den früheren Optimismus nicht mehr gibt?
Romy Grimm-Schneider: Für die Jungen ist das Thema gerechter Welthandel gegessen.
Tonie Maier: Sie hören in den Schulen vielleicht noch was dazu, in Gemeinschaftskunde oder im Religionsunterricht, und haken es dann ab. Außerdem haben sie einen anderen Lebensstil – wobei es viele gibt, die sehr bewusst leben.
Romy Grimm-Schneider: Aber das Thema ist vorbei. Und sie engagieren sich in anderen Formen. Die Solawi zum Beispiel, die bewusst regionale Produzenten unterstützt. Sie blicken nicht mehr in die große weite Welt, sondern schauen, was man hier machen kann, um beispielsweise die Agrarindustrie aufzubrechen. Das Engagement ist also noch da, nur in anderen Bereichen.
seemoz: Es liegt also daran, dass es heute andere Brennpunkte gibt. Vor vierzig Jahren war die industrielle Landwirtschaft noch nicht so dominant …
Tonie Maier: Trotzdem haben wir damals eine Grünkern-Genossenschaft gegründet.
Romy Grimm-Schneider: Aber es stimmt schon, die Biowelle fing erst an.
seemoz: In den achtziger Jahren war die Entkolonialisierung noch nicht so lange her, es gab Optimismus, es gab zuhauf Bewegungen: Die SandinistInnen zum Beispiel machten sich daran, ein besseres Nicaragua zu schaffen – und schau dir an, was daraus geworden ist …
Romy Grimm-Schneider: Da wird einem schlecht.
seemoz: Anderswo ist es auch nicht viel besser, in Afrika nicht und auch in Asien nicht.
Romy Grimm-Schneider: Es ist nichts Wegweisendes mehr da. Aber dafür haben wir jetzt das Lieferkettengesetz. Und das wurde von einem CSU-Entwicklungshilfeminister auf den Weg gebracht. Wer hätte das gedacht? Ansonsten will ich die jungen Leute in Schutz nehmen. Wir waren auch mal ein kleiner Kreis. Außerdem gibt es heute Gruppen wie Fridays for Future. Man darf nicht hängen bleiben an etwas, das damals angesagt war. Jetzt ist Klimawandel angesagt oder Verkehrswende – und vielleicht sind sie ein bisschen ehrlicher, weil sie da anfangen, wo sie stehen.
seemoz: Denkt ihr, dass der Weltladen weitere vierzig Jahre so weitermachen kann?
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Romy Grimm-Schneider: Ich glaube nicht, dass der Laden noch so lange besteht. Andererseits gibt es da das Beispiel Wangen im Allgäu. Dort wäre der Weltladen fast eingegangen, aber dann haben 2001 LehrerInnen von der Berufsschule gesagt: Bei uns gibt es im Lehrplan Projektunterricht: Wir machen das mit dem Weltladen. Seither wird der dortige Weltladen El Sol von einer Juniorenfirma betrieben. Ich habe mit meinen BerufsschülerInnen mal einen Betriebsausflug nach Wangen gemacht, aber die haben nicht angebissen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir Alten schon sehr dominant sind.
Tonie Maier: Die Jungen kommen einfach nicht rein in Strukturen, die vierzig Jahre lang gewachsen sind. Wir machen es denen nicht leicht. Dafür kennen sich die Jungen bei ganz anderen Themen viel besser aus, beim CO2-Ausstoss zum Beispiel, weil sie jetzt ausbaden müssen, was zum Teil auch wir verbockt haben.
seemoz: Wie eng ist eure Kooperation mit dem Dachverband oder den anderen Weltläden?
Tonie Maier: Wenn der Dachverband der Weltläden, der uns ja rausgeworfen hat, weil wir zu lange über die Konvention diskutierten, einen Weltladentag zu einem Thema vorbereitet, das auch uns passt, bestellen wir die Materialien. Zu den anderen Läden wie dem in Dettingen haben wir Kontakt. Das ist eine jüngere Initiative. Den Leuten dort liegt ganz viel an der Vernetzung mit anderen Läden. Aber wir sind einfach zu wenige, um die Kooperation zu intensivieren.
Romy Grimm-Schneider: Die Dettinger haben immer wieder innovative Ideen, machen vor Weihnachten Nikolaus-Päckle, liefern Kaffee an Firmen oder Büros und haben sich einen festen Kundenstamm geschaffen. Sie haben Lust am Vermarkten, setzen also einen anderen Schwerpunkt.
Tonie Maier: Viele haben ein anderes Konzept. Es gibt auch Weltläden von Importeuren wie beispielsweise der Ravensburger Weltpartner-Genossenschaft …
seemoz: Sie verfolgen eher das Ökonomische und ihr das Politische?
Tonie Maier: Das bringt es auf den Punkt. Wobei wir nicht nur diskutieren. Da gibt es etwa das tolle Projekt Apfel-Mango-Birnen-Saft mit der Stahringer Streuobstmosterei, an dem wir beteiligt sind. Dabei wird Fairtrade- Mangopüree von den Philippinen mit Streuobstsaft gemischt.
seemoz: Ihr kauft aber nicht mit anderen Läden direkt ein, oder?
Tonie Maier: Es gibt die Importorganisationen, die Weltpartner-Genossenschaft zum Beispiel. Wichtig ist für uns Mitka, die Mittelamerika-Kaffee-Export-Import-Gesellschaft, El Puente, Banafair natürlich und fürs Kunstgewerbe sind es Globo und andere. Und die GEPA, die wir nach wie vor eher kritisch sehen. Aber vor Corona hatte Roswitha jeweils mittwochs einen Stand an der Uni aufgebaut, der für uns ganz wichtig ist. Und da kamen immer wieder Leute und sagten: Wir wollen diese Schokolade oder jenen Zucker, das gibt es doch bei der GEPA. Und so verkauften wir auch deren Waren.
Romy Grimm-Schneider: Da gab eine richtige Stammkundschaft. Man sieht, was passiert, wenn man zu den Leuten geht. Hier in der Niederburg schrumpfen wir hingegen ein bisschen. Andererseits kommen im Sommer viele TouristInnen vorbei, mit denen wir Gespräche führen und die beispielsweise über unser Buchangebot staunen, weil ihr Weltladen daheim nur verstaubtes Infomaterial hat.
seemoz: Wie wichtig sind für euch die Bücher?
Für uns sind sie sehr wichtig, aber sie verkaufen sich schlecht. Auch die Zeitschriften wie Welt-Sichten, das Lateinamerika-Magazin ila oder Lunapark21 bieten wir vor allem aus politischen Gründen an.
seemoz: Wie hat sich der Umsatz entwickelt?
Tonie Maier: Wir machen kein Defizit und können am Jahresende immer Geld an Projekte überweisen.
seemoz: Sind das noch die zwanzig Familien, die ihr 2019 unterstützt hattet?
Tonie Maier: Das ist schief gelaufen. 2018 waren wir mit der Kaffeekampagne El Salvador unterwegs und haben dabei junge Leute getroffen, die als landlose Saisonarbeiter zum ersten Mal die Möglichkeit sahen, Land zu erwerben. Aber erstens bekamen wir auch durch Crowdfunding die 20.000 Euro nicht zusammen, die wir gebraucht hätten. Und zweitens wollte uns der Landverkäufer über den Tisch ziehen. Aber immerhin konnten wir den Familien das Geld überweisen, das wir gesammelt hatten.
seemoz: Habt ihr jetzt ein anderes Projekt?
Tonie Maier: Im Zusammenhang mit dem Jubiläum empfehlen wir ein Landprojekt in Ecuador, wo indigene Gemeinschaften im Windschatten des Corona-Lockdowns vom Land vertrieben werden. Dabei unterstützen wir das FoodFirst Informations- & Aktionsnetzwerk FIAN, das zu Spenden aufgerufen hat. Wir empfehlen das, weil FIAN sehr gute Arbeit leistet. Aber wir ziehen nicht mit dem Klingelbeutel durch die Gegend.
Interview und Fotos: Pit Wuhrer
Geplant sind zudem Veranstaltungen mit Wolfgang Kessler, früherer Chefredakteur des linkskatholischen Magazins Publik-Forum (am 22. September), und mit dem Südafrika-Spezialisten Henning Melber (Termin noch unbestimmt).