Von der Tochter Taiga bis zu Nazi-Köchen (I)
Wie braun ist grün? Vollkommen ungeachtet der gängigen Lehren von Skalen, Spektren und Mischverhältnissen stand im Zentrum einer Informationsveranstaltung der Infokneipe im „Contrast“ die Frage, ob es Gemeinsamkeiten, Übergänge und Verbindungslinien zwischen Themen, Akteuren und Organisationsstrukturen der grundsätzlich disparaten Bewegungen des Umwelt-, Natur- und Tierschutzes und solcher rechter, völkischer und autoritärer Gesinnung gibt.
Teil 1/2
Zum Einstieg eine Beobachtung: Die Klaviatur, die Robert Habeck für seine Begründung der neuen Energiepolitik anschlug, um auf die Autonomie und Autarkie der deutschen Energieversorgung abzustellen, machte stutzig. Es las sich wie eine Nachricht aus einer längst vergangenen, präglobalisierten Welt: Um unsere Versorgung zu sichern und unsere Souveränität zu wahren, müssen wir auf eigene Ressourcen und Energiequellen zurückgreifen, um uns vor den Ernstfall serviler Abhängigkeit von fernen, bedrohlichen Mächten zu schützen.1 Nur der heimische Grund und Boden vermag es, uns zu beschirmen und unsere Freiheit zu wahren… Hierbei verknüpft sich ein progressives Plädoyer für die intensive Nutzung erneuerbarer Energien mit einem regressiven Impetus nationaler Sicherheit und einem spezifischen Vokabular, das vormals eher konservativen Akteur:innen zu eigen war.2 Somit können sich also ökologische und nationale Perspektiven durchaus überlappen, auch wenn die Extremsituation und Polarität dieses Beispiels gewiss Verallgemeinerungen verbietet. Leichter fällt die Verknüpfung, wenn sich die Begründungen von Natur- und Artenschutz auf Heimaten, auf Lebensräume und natürliche Genesen beziehen: Just im Fall weg-gebaggerter Dörfer in den Kohlerevieren wird die eigentlich konservative Diskursfigur der Heimat, der menschlichen Eingelassenheit in gewachsene Mit- und Umwelten, ein zumindest möglicher positiver Bezugspunkt linker Positionen. Selbstredend ist dies Verständnis von Heimat ein anderes als jenes völkischer Romantizismen, dennoch bleibt eine oberflächliche Verbindung, mit der sich die Aufgabe der Auseinandersetzung stellt. Anlass genug für einen Besuch im „Contrast“.
Schnittpunkte
Um der titelgebenden Frage des Abends vorwegzugreifen: Auch wenn im Grünen durchaus manches Braun steckt, sind keineswegs die Umweltbewegungen „eigentlich“ völkisch. Zu klären ist, wo und warum diese Kreuzungen entstehen und wie sie zu vermeiden sind: Der Veranstaltung ging es in der Folge um just jene Überlappungen und Grenzfälle, an denen sich ökologische Milieus und rechte Ideologien berühren oder zu nahe kommen, mit dem Ziel, hierfür ein Bewusstsein auszubilden und über dieses eine kritische Distanz zu rechten Einflüssen und Anschauungen wahren zu können. Die Referentin, eigens aus dem fernen Norden angereist, widmete dabei sich nicht fokussiert einem spezifischen Phänomen des Übergangs, sondern fächerte schlaglichtartig verschiedene Einzelfälle auf, um so letztlich die Pluralität und Varianz des Spektrums vorzuführen. Am Ende des Abends hatten die Zuhörer ein facettenreiches Tableau vor Augen, in dem sich neben der Ferne eben auch manch Nähe der Felder präsentierte.
Von Vögeln, Vereinen und Verbindungen
Den Beginn machte der Ursprung der Naturschutzbewegungen im Kaiserreich: Wandervögel, Pfadfinderei, Naturfreunde und verschiedene Bünde des Natur- und Tierschutzes traten als Jugendorganisationen in Erscheinung. Gegenüber der zunehmenden Urbanisierung bildeten diese Bewegungen einen Kontrapunkt, der sich durch eine gewisse Verklärung und Romantisierung der Natur und der Heimat hervortat, gleichwohl noch ohne den politischen Impetus der folgenden Jahre. Ihre Anziehungskraft bezogen diese Gruppen aus ihrem Angebot der Freizeitgestaltung fernab der urbanen und industriell-überformten Metropolen. Es mag hinzukommen, dass die Modernisierung auch vor traditionellen familiären Strukturen nicht Halt machte und die Bünde für die Adoleszenten einen attraktiven Ersatz in Form einer Gemeinschaft boten.3
Die Politisierung und Polarisierung hielt mit dem 1. Weltkrieg und der individuellen Fronterfahrung Einzug: Radikalem Pazifismus stand in der Folge extremer Patriotismus gegenüber, die beide nach Einfluss in den Jugendorganisationen rangen. Auch wenn sich längst nicht alle Gruppen rechten Kreisen zugehörig fühlten und es insgesamt noch ein diverses Spektrum blieb, nahm der Anteil der rechten und völkischen Gruppierungen in der Weimarer Republik mehr und mehr zu. Glorreiche Zeiten des Bellizismus und Militarismus, die dem Heute näherstehen als dem Gestern… Schon früh erkannten die Nationalsozialist:innen im Natur- und Heimatschutz Potenziale: Nicht nur als barrierefreie, jugendnahe und erlebnisorientierte Vorfeldorganisation, sondern auch als propagandistisch anschlussfähiges Themenfeld im Sinne ihrer Ideologie (Volk, Heimat, Boden, Natur, Natürlichkeit …).
Durch die Gleichschaltung im Dritten Reich wurde dann die Pluralität aufgehoben und die unpolitischen Gruppen ins Abseits gedrängt. Zwar gab es auch widerständige Gruppierungen wie die Edelweißpiraten, aus nachvollziehbaren Gründen verschob sich deren Fokus jedoch von der Ökologie auf politische Themen. Die Inkorporation der ökologischen Verbandsstrukturen des Kaiserreichs wurde im Gesamten organisatorisch eher hingenommen und verwaltet. Spannend sind indes die institutionellen und personellen Kontinuitäten zwischen den verschiedenen Regimen: Der Bund für Vogelschutz wurde 1934 zum Reichsbund für Vogelschutz, aus dem dann in der Bundesrepublik der NABU hervorging. Zwar setzt sich dieser mittlerweile mit seiner Geschichte auch öffentlich kritisch auseinander4, prominenten Säulenheiligen wie Lina Hähnle5 werden indes ihre Verfehlungen verziehen, ihre biografische Distanz zum System propagiert und ihre Verdienste gewürdigt. Auch wenn uns hier kein Urteil über Personen und ihre Verantwortung zustehen mag, so können und müssen wir doch als Öffentlichkeit auf eine transparente und kritische Aufklärung drängen.
Die Ideologie der Nationalsozialisten hatte zwar keinen eigenen ökologischen Schwerpunkt, in Bezug auf die simultane Romantisierung und dem nativen Dezisionismus (im Rahmen der natürlichen Auslese des Sozialdarwinismus u.a.) sowie dem Schutz und der Wahrung der Heimat ergaben sich aber Verbindungslinien. Daneben ist noch der landschaftsplanerische Impetus der Blut- und Bodenpolitik anzusprechen, der sich zum Beispiel bis heute in der Kurvigkeit der Autobahnen zeigt: Just diese Anpassung an die Umwelt bilde eine „deutsche“ Qualität. Auch beim Bau der Verteidigungslinie des Westwalls wurde auf die spezifisch „deutsche“ Qualität der Bäume geachtet, wodurch sich der Naturschutz von seiner protektionistischen Ausrichtung hin zu einer aggressiven Variante wandelte. In der Gegenwart ist rund um den Wall und die Frage der Abwägung zwischen Naturschutz, Verkehrssicherheit und Denk- und Mahnmalpflege wieder ein Streit entfacht.
Text: Tobias Braun, Bild von ejaugsburg auf Pixabay
Anmerkungen
[1] Im aktuellen Diskurs führt diese geschürte Angst und die kaum aufgefangenen Lasten der Verteuerung wiederum zu Forderungen, nach denen es zum Zwecke der Autarkie weiterer Kohleverstromung, günstigen und öko-neutralen Atomstroms und der Freiheitsenergie des Frackings bedürfe. Kurz: Wenn die Priorität in der Versorgungssicherheit liegt, dann sind die ökologischen Folgen zweitrangig. Letztlich stellt sich die Frage, welchen Preis die Autonomie hat.
[2] https://twitter.com/gruenebundestag/status/1497914501169037317, https://www.tagesspiegel.de/politik/schnell-weg-von-putins-gas-oel-und-kohle-so-will-habeck-deutschland-unabhaengiger-machen-von-russland/28102964.html, https://politik.watson.de/nachhaltigkeit/politik/383091602-osterpaket-fuer-den-klimawandel-robert-habeck-will-erneuerbare-massiv-ausbauen.
[3] Für ein weiteres Verständnis wäre hier die Unterscheidung Plessners zwischen Bluts- und Sachgemeinschaften wichtig, also ob das Gemeinsame in einer Substanz oder einem Ziel vorliegt.
[4] https://www.nabu.de/wir-ueber-uns/organisation/geschichte/00345.html
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Lina_H%C3%A4hnle, https://taz.de/NS-Geschichte-des-Nabu/!5281904/