Vor 30 Jahren…

Die Heimatzeitung schreibt sich die Finger wund über Fasnachtsveranstaltungen allerorten und übt sich in inflationärem Frohsinn. Da täte, dachten wir uns, ein nachdenklicher Rückblick gut – auf das „Nebelhorn“, in dem schon vor mehr als 30 Jahren manch‘ Erhellendes, auch über Fasnacht in Konstanz, zu lesen war. Einige der Autoren von damals sind noch heute seemoz-Autoren, viele der Themen von damals sind noch heute aktuell. Und wenn es Euch gefällt, machen wir eine Serie draus: Vor 30 Jahren…

 

Fasnacht im Faschismus

Die Konstanzer Fasnacht zwischen 1933 und 1939 gehört (wie so vieles andere, das in den Jahren des deutschen Faschismus geschah) mit zu einer unbewältigten und tabuisierten Vergangenheit. Wenn man heute historische Abhandlungen über das närrische Treiben liest, wird man nur wenig über die 30er Jahre erfahren: entweder blendet der Autor diese Periode völlig aus, oder er tut so, als sei nichts gewesen, als hätte es die Machtergreifung der NSDAP im Januar’33 (und mit ihr eine tiefgreifende Umwandlung der politischen Verhältnisse in diesem Land) nie gegeben.

In der Geschichte der Fasnacht wird der Faschismus kaum erwähnt. Zur Geschichte, auch zu ihrer eigenen, haben die Narren ohnehin ein unhistorisches Verhältnis: man wird nicht zum Narr, sondern ist als solcher geboren oder es liegt einem im Blut. Aufgrund dieser Art von Vergangenheitsbewältigung (die Narren waren schon immer Narren und hatten mit Politik nichts zu tun) ist es nicht einfach, Zeugnisse über den faschistischen Einfluß auf die Konstanzer Fasnacht zu gewinnen. Was eine Interpretation zusätzlich erschwert, ist die Tatsache, daß das Phänomen Fasnacht äußerst vielschichtige Formen und Inhalte annehmen kann und sich im Laufe der Zeit auch beträchtlich wandelte.

Fasnacht ist ein alter Brauch, der auf vorchristliche Frühlingsriten zurückgeht (Brockhaus-Lexikon) und durch die christliche Mythologie eine Bedeutungsänderung erfuhr. Diese Fasnacht mit ihren mythisch-magischen Wurzeln enthielt in späteren Zeiten auch oppositionelle Momente (in der 1848er Revolution wurde z.B. die Maskierung für konspirative Treffen benutzt) und bot darüber hinaus dem Einzelnen die Möglichkeit, für kurze Zeit aus der herrschenden sozialen Ordnung herauszutreten.

Eine geradlinige Erklärung für das Verhalten der Narren im III. Reich kann es nicht geben – schon deshalb nicht, weil auch politische Gegner in die Narrenmaske schlüpften. Uns geht es nicht darum, anhand einzelner linientreuer NS-Narren die ganze Fasnacht in den 30er Jahren zu diskreditieren (d.h. wir sahen unsere Aufgabe nicht darin, einzelnen Aktivisten in der Bütt ihre Nazi-Betätigung nächzuweisen) – uns liegt mehr daran, aufzuzeigen, wie überraschend einfach es der Diktatur gelang, einen umfassenden Einfluß auf das soziale Gebilde zu nehmen, das man so die Konstanzer Fasnacht nennt. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Allianz der Konstanzer Zünfte mit den faschistischen Organisationen für viele Narren sicher nur den Zweck hatte, die Fasnacht im Sinne einer Tradition zu erhalten und weiter zu betreiben. Daß sie dabei vor den Karren der faschistischen Ideologie gespannt wurden (die Nazis konnten ihre Idee von der „Volksgemeinschaft“ mühelos in der närrischen Egalité unterbringen), war für sie eher nebensächlich.

Wie heute wurden auch damals die Zünfte von Bürgern beherrscht, die einem deutschen Bürgertum angehörten, das Hitler zu seinem Wahlerfolg verholfen hatte. Für die gab es keinen Grund, sich dem Faschismus entgegenzustellen, sonst nicht und in der Fasnacht erst recht nicht. Verhaltene oppositionelle Regungen gegen die Obrigkeit (wie sie z.B. im Schnurren zum Ausdruck kamen) waren auch unter Hitlers Regime gestattet – sofern sie nicht außer Kontrolle gerieten. Die Parole lautet: jeder muß einen Spaß verstehen, übertriebene Zimperlichkeit ist nicht am Platz. Im folgenden versuchen wir, die Stationen der Konstanzer Fasnacht im Faschismus aufzuzeigen: es sind Stationen einer zunehmenden Anpassung der Fasnacht an die neuen politischen Machtverhältnisse und einer wachsenden Kontrolle der Faschisten auch über die Narren.

1. Je weniger erlaubt ist, desto wichtiger wird die Maske

In den Jahren vor 1933 befand sich die Fasnacht in einer Krise: die wirtschaftliche Depression drückte auch auf die Narrenpsyche und protestantische Organisationen strebten in Baden und Württemberg ein Fasnachtsverbot an, das in manchen Städten auch durchgesetzt wurde. 1933 konnte man dagegen wieder feiern (nicht unbedingt die neue Regierung, aber die wirtschaftliche Situation hatte sich wieder leicht gebessert) und die Konstanzer blieben in den Tagen vor dem Aschermittwoch dieses Jahres noch weitgehend vom faschistischen Zugriff verschont. Das Regime hatte sich noch nicht so etabliert, als daß es sich in diesem unwegsamen Gelände hätte sicher bewegen können.

Dafür war die Opposition zum letzten Male in der Fasnacht aktiv. Sie verteilte (wie im Jahr zuvor) den „Hemdglonker“, eine „humoristisch-satyrische Faschingszeitung für den pudelnärrischen Kreis Konstanz, einschließlich Petershausen, Laugelegumbien und dem irdischen Paradies“, die im SPD-nahen Volksblatt-Verlag gedruckt wurde. Im „Hemdglonker“ vom ‚Hornung 1932‘ war das „Geheimnis vom Dritten Reich“ gelüftet worden: das Wesentliche am Dritten Reich sei „das Sensationelle, das das geistig so begabte Bürgertum so verhängnisvoll anzieht, wie das Licht die Motte. Fragt die Motte, warum sie ins Licht fliegt? Nein! Sie fliegt.“ „Das Denken, auch eine jüdische Einrichtung, ist vollkommen ausgeschaltet. Es wird nicht geredet, nicht geschwatzt, nicht spintisiert, nicht diskutiert – es wird marschiert. Ideen sind durch stramme Haltung ersetzt!“ Doch lange konnte sich auch diese maskierte und anonyme Opposition nicht halten. Zum letzten Mal lesen die Konstanzer, immer noch unter dem Motto „und keiner nehme etwas krumm“ eine Satyre auf das „große Ankurbelungsprogramm“ (sprich Arbeitsbeschaffungsprogramm) der NSDAP.

Hier ein paar stachelige Zitate aus dem letzten Dokument der Konstanzer Narren-Freiheit : „Die Reichsregierung setzt sich für die Ankurbelung der Wirtschaft ein. … Was vor allem ins Gewicht fällt, das ist der Umstand, daß die ca. 3 Millionen Kurbeln“ die bei der Industrie in Auftrag gegeben wurden, „mit denen die Wirtschaft nun im Handumdrehen angekurbelt sein wird, von der gleich großen Zahl von Arbeitern bedient werden müssen. … da die Produktivität der Kurbelei ausschlaggebend ist für das Tempo, mit dem die gesamte Wirtschaft angekurbelt werden wird, soll in Doppelschicht und, falls das nicht genügen sollte, in dreifacher Schicht gekurbelt werden. Hierdurch eröffnen sich ganz ungeahnte Perspektiven für den Arbeitsmarkt.“

In einem gezielten Seitenhieb auf die ‚jedem das seine-Politik‘ des Nationalsozialismus wird auch ein anderer Aspekt des Arbeitsbeschaffungsprogramms beleuchtet: „Um aber sicher zu gehen, daß gerade auch dem selbständigen Handwerk mehr Arbeit zukommt, hat der Oberosaf der nationalsozialistischen Arbeiterpartei, Herr von und zu Zitzerwitz auf Itzenblitz, angeordnet, daß die SA und SS hinfort wöchentlich 300 Kilometer in Reih und Glied zu marschieren haben. Dadurch können einige zehntausend Schuhsohlereien aufgemacht werden. An Leder fehlt es uns nicht, da bei uns in Deutschland bekanntlich ein gewaltiger Überschuß an Rindviechern vorhanden ist. … Sollte für die Lederproduktion der Bestand an Rindvieh nicht ausreichen, so wird zweifellos auch an die Esel gedacht werden, von denen wir hierzulande Kapitalexemplare in großer Zahl zur Verfügung haben“.

2. Die Narren im Gleichschritt

Bereits im Oktober 1934 zerbricht man sich in den Amtsstellen den Kopf, wie man die 34er Narren unter der NS-Flagge zähmen will. An die Herren Bürgermeister geht die Aufforderung aus Karlsruhe, eine Fasnachtsausstellung zusammenzustellen, zur „Wiedererweckung und Erforschung altvolkstümlicher, meist örtlicher Fastnachtssitten und -bräuche im Sinne der kulturellen Förderungen unseres neuen Volksstaates, an deren Erhaltung auch unser Deutschtum im Ausland lebhaften Anteil nimmt.“ (Brief des Badischen Bezirksamts Konstanz, 26.10.1933) Im Januar 1934 will man dann unter demselben Motto diese Konstanzer Narrengesellschaften an einen Tisch bringen. Ob dies ohne diese Einschwörung auf  ‚die gute alte Zeit‘ gelungen wäre, wissen wir nicht. Das Konstsnzer Bürgertum war jedoch offenbar davon angetan, vom Regime wenigstens an Fasnacht mit einer Renaissance verlorener Potenz für die Staatstreue belohnt zu werden. „Es sollen wieder die alten Trachten stolzer Patrizierfrauen und eines gesunden Bürgertums getragen … werden, um die Fastnacht in die wünschenswerten Bahnen zu lenken.“ (Brief des Konstanzer OB an das Landesgewerbeamt Karlsruhe, 3.1.1934).

So scheint es den Nationalsozialisten gelungen zu sein, die Narrengesellschaften auf ihre Seite zu ziehen und sie für die ‚gemeinsame‘ Sache zu begeistern. Damit war die wichtigste Voraussetzung geschaffen, um das Konstanzer Volk zu dieser vereinheitlichten Fasnacht zusammenzutrommeln. Ein anderer Zugriffsort für die Nazis waren die Schulen, die man als Institution leicht kontrollieren konnte: ihnen kam die Aufgabe zu, dafür zu sorgen, daß der Hemdglonkerumzug nach alter Überlieferung wieder aufgezogen wird.

Am 1.3.1935 berichtete dann auch die „Deutsche Bondensee-Zeitung“: „Was noch nie geschehen, dieses Jahr war es zur Tat geworden. Alle Konstanzer Schulen waren sich einig, den Zug der Hemdglonker am schmutzigen Donnerstag zu einem Ereignis zu gestalten. Dies ist den Schülern und ihren Lehrern auch voll und ganz gelungen.“ (Man erinnere sich: früher war der Hemdglonkerumzug eine Art Demonstration gegen ungeliebte Lehrer; 1935 wurde er von den Lehrern mitorganisiert.) Der Fasnachtsumzug 1934 marschierte unter dem Motto: FASNACHT WIE FRÜHER – und damit war das Ablenkungsmanöver vom aktuellen politischen Geschehen gelungen; für die Narren bedeutete es einen Verzicht auf die eigene selbsterfahrene Geschichte. (Eine Parodie auf die Gegenwart wäre auch kaum erlaubt worden – man stelle sich ein Adolf-Hitler-Meschggerle vor!).

Den Narrengesellschaften blieb der Vollzug der Fasnacht überlassen, allerdings nur unter der Verpflichtung zur NS-Ideologie der „Volkstumserhaltung“ wobei die Zünfte als Propagandisten für die Erziehung „der breitesten Schichten unseres Volkes zur Liebe zur Heimat“ (OB-Schreiben, s.o.) eingesetzt waren. Im Februar 1934 wurde der Konstanzer Fasnacht in der „Bodensee-Rundschau“ die Bedeutung ihres Zwecks erklärt: „Ein Volk das Größe hat, hat immer auch Humor, ein Volkf das Geschichte hat und Geschichte macht, dem geht auch der natürliche Witz nicht ab. Humor ist immer ein Zeichen innerer Überlegenheit, Witz zeugt von geistiger Gewachsenheit gegenüber den Dingen und Wechselfällen des Daseins, beide sind Ausdruck eines schöpferischen Lebensgefühls, und wenn sie ihren Niederschlag finden in Brauch und Sitte des Volkes, so stellen sie damit unter Beweis, daß dieses Volk als Ganzes den Quellen seines Lebens nicht entfremdet ist, daß es Zukunft hat. So hat also die Konstanzer Fasnacht in diesem Jahre mehr als früher einen tieferen Sinn, als es äußerlich vielleicht manchem scheinen mag. Sie ist einfach ein kleiner, aber nicht bedeutungsloser Teil der großen Erneuerungsbewegung, die das deutsche Volk ergriffen hat, einer Bewegung, die es sich ganz bewußt zur Pflicht gemacht hat, das Erbe der Ahnen in sich selbst wieder fruchtbar zu machen.“ (Ernst Hoell in der Bodensee-Rundschau, dem „Nationalsozialistischen Kampfblatt für das deutsche Bodenseegebiet“, 3.2.1934. Am gleichen Tag erschien derselbe Artikel in der „Deutschen Bodensee Zeitung“.)

Wie viele „stolze Patrizier-Frauen“ sich am Umzug beteiligten, wissen wir nicht. Ein weiteres wesentlichens Moment der faschistischen Fasnacht war jedoch der Druck zum Mitmachen, der Zwang zur Fröhlichkeit: keiner darf nicht fröhlich sein. Wer ausschert, ist nicht nur ein Miesmacher, sondern hatte in diesen Tagen vielleicht sogar einen politischen Grund, dem bunten Treiben fernzubleiben.

Die Aufforderung zur Teilnahme erging an alle bewußte Deutsche: „Soviel steht fest: diesmal wird es eine Fastnacht von altem Schrot und Korn. Alle tun mit; die Jugend voll Begeisterung und die Narrenräte haben sich verschworen, alles wieder in Szene zu setzen, was an närrischer Überlieferung im Verborgenen weiterlebte durch all die Jahre, während denen die Konstanzer Fasnacht in die Lokale verbannt war. Die Altkonstanzer Fastnacht gehört auf die Straße, wie jedes echte Volksfest. Und die Straße wird ihr nun zum ersten Mal wieder freigegeben.“ („Deutsche Bodensee Zeitung, 25.2.1935)

3. Nazi-Verbände organisieren die Fasnacht

Ab Mitte der 30er Jahre nahmen faschistische Organisationen die offiziellen Fasnachtsveranstaltungen selbst in die Hand, wobei sie sich auf die Zusammenarbeit mit den Zünften stützten. Das inhaltliche Kern-Thema der Fasnacht blieb dagegen gleich: die alte Tradition des deutschen Volkstums. So veranstaltete die NS-Frauenschaft „einen freudeschenkenden Abend“ unter dem Motto: „Als Urgroßmutter jung war“. („Bodensee-Rundschau“,24.2.38) An Größe und Stärke sollten die NS-Veranstaltungen dabei alles bisherige in den Schatten stellen: die Gigantomanie des Faschismus wurde zunehmend deutlich. „100 Mitwirkende bei einer Fasnachts-Veranstaltung, das gibt’s nur einmal und zwar am kommenden Samstagabend im Konzil. Das Kreisamt „Kraft druch Freude“ hat sich mit den Elefanten und den Niederbürglern zusammengetan und wird nun an diesem Abend etwas Außergewöhnliches bieten. … Zwei Kapellen sorgen für Unterhaltung und spielen nachher zum Tanze auf, nämlich das Musikkorps des Inf.Regt. 14 und der Musikzug III der SS-Standarte „Germania“ Radolfzell.“ (DBZ, 26.2.1938) Fasnachtstanz zu Militärmusik.

4. Keine Fasnacht im Krieg

Am 15. Dezember 1939 schrieb der Landrat des Landkreises Konstanz:  „An die Herren Bürgermeister des Landkreises! Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda hat bestimmt, daß im Winter 1939/40 von Karnevalsveranstaltungen in Anbetracht der Kriegszeit Abstand zu nehmen ist. Auch interne bunte Abende sollen nicht abgehalten werden.“

Die Konstanzer Fasnacht wurde 1948 wieder auf die Straßen getragen. Daß die Konstanzer Narrengesellschaften so bereitwillig mit den Nazis zusammengearbeitet haben, muß nicht heißen, daß sie selbst PGs waren – vielleicht haben sie auch nur versucht, in der Mitarbeit zu überwintern. Andererseits kam von ihrer Seite auch kein nennenswerter Widerstand gegen ihre Instrumentalisierung durch die Faschisten. Aber vielleicht konnte man das auch nicht erwarten: schließlich waren die meisten Vorstandsmitglieder der Narrenzünfte wohlbetuchte Bürger.

Autoren: U.L./P.W.

(Ein Großteil des Materials stellten uns R. Wehrle und A. Hofmann zur Verfügung. Die Schlußfolgerungen sind jedoch unsere. UL/PW)