Zwischen allen Stühlen … Zumzumzum. Eine Verneigung

Am Samstag, 10. Dezember 2022, um 14 Uhr verabschiedete sich Carlo Karrenbauer als Auktionator. Unser Autor hat ihn beim gemeinsamen Unterrichten an der Universität kennengelernt.

„Seit wann stottern Sie?“, fragte ebenso lauthals wie unverschämt eine Stimme am Samstagnachmittag im Auktionshaus Karrenbauer. Vor vollem Saal gab Carlo Karrenbauer seine Abschiedsvorstellung als Auktionator des nach ihm benannten Auktionshauses, das er 1980 eröffnete und gemeinsam mit seiner Frau Heidrun Karrenbauer führte. Und souverän, wie man ihn kannte, parierte er auch diese, vielleicht witzig gemeinte Anspielung auf den kleinen rhetorischen Tick, den er sich während dieser Auktion erlaubte, nämlich immer mal wieder das Herabsinken des finalen, einen Kauf besiegelnden Hammerschlag durch einen künstlichen Stotterer „Zumzumzum …“ zu verzögern. „Naja“, meinte er, ohne die Miene zu verziehen, „man wird halt älter“. Eine kleine Untertreibung des 1939 Geborenen. Schmunzeln im Publikum.

„Nachhaltigkeit“ eines Berufes

Ich habe Herrn Karrenbauer im Rahmen eines von ihm angeregten Seminars, das wir gemeinsam an der Universität durchgeführt haben, kennengelernt. „Berührbare Welt“ haben wir es genannt, um uns unter diesem gleichermaßen haptisch wie psychologisch gemeinten Titel dem Phänomen des Sammelns zu widmen: Was berühren wir? Was berührt uns? Wovon lassen wir uns so berühren, dass wir das Berührte nicht mehr loslassen wollen, es hegen, pflegen und wertschätzen? Dass das bei Wertsachen oder für im ökonomischen Sinn wertvoll gehaltenen Objekten – Gemälden etwa, oder, Karrenbauer musste schmunzeln, als wir darüber sprachen, dem chronisch überschätzten Familiensilber – so ist, wundert wenig. Doch so sehr Carlo Karrenbauer spektakuläre Auktionen nicht zuletzt wegen ihres theatralischen Charakters – er ist auch ein Mann der Bühne – durchaus zu schätzen weiß, geht es ihm im Kern um etwas anderes. Er selbst spricht immer wieder von der „Nachhaltigkeit“ seines Berufes und hat damit natürlich völlig recht.

Phallische Objekte eines außer Rand und Band geratenen Kapitalismus

Wenn wir von ‚Auktionen‘ sprechen, dann haben wir für gewöhnlich Häuser wie Sothebys oder Christies im Sinn und denken an Van-Gogh’sche Sonnenblumen, die für vielen Millionen den Besitzer wechseln, nur, um in Offshorecontainern jedem bewundernden Blick entzogen zu werden. Phallische Objekte eines außer Rand und Band geratenen Kapitalismus, dem es nur noch darum geht, die ebenso absurden wie virtuellen Börsengewinne rückzubinden an reale Objekte – gar nicht so einfach, wenn man bereits zwölfmal so viel Geld erfunden hat wie es ausbeutbare Ressourcen auf der Erde gibt.

Es gibt aber eben auch ganz andere Auktionen: etwa die Verauktionierung von Nachlässen, die vor allem in Frankreich, einem Land, dessen Kultur und Sprache sich Herr Karrenbauer besonders nahe fühlt, Tradition hat. Da geht es dann nicht um große Gewinne, sondern um die Weiternutzung von Übriggebliebenem. Und das ist ein ebenso schlichtes wie zukunftsweisendes Konzept: wahrscheinlich gibt es längst mehr Tische, Messer, Schränke und Weingläser auf der Welt, als die Menschheit jemals braucht (und da sind die Möbel der 58 Schlafzimmer Donald Trumps nicht einmal mitgerechnet).

In ausgewählter Weise bewahrenswerte Stücke

Statt also die Nachlässe Verstorbener wegzuwerfen, könnte man sie einfach weiternutzen. Möglicherweise sieht dann alles etwas zusammengewürfelter aus, aber wäre das so schlimm bei uns, die wir ohnehin nur maximal 100 Jahre Gast auf Erden sind? Karrenbauer selbst hat einen Text über die Nachhaltigkeit der Weiternutzung von Objekten geschrieben. Darin heißt es: „Fast jedes Stück, das wir weitergeben und das man seit Jahr und Tag bei uns ansehen und ersteigern kann, ist mehr als 100 Jahre alt, hat also in dieser Zeit praktisch kein CO2 mehr ausgestoßen. Es benötigt zudem keine neu zu beschaffenden Bauteile, also weder Basismaterial irgendwelcher Art noch elektrische oder andere Energien zur Herstellung des Objektes.“ (Den Text finden Sie hier.)

Freilich hat das Ehepaar Karrenbauer diese Art der alltäglichen Nachlassauktionen nicht durchgeführt – es waren schon besondere, in ausgewählter Weise bewahrenswerte Stücke, die unter den Hammer kamen. Aber: es waren auch immer alle möglichen Dinge. Kunst gehörte dazu, stand aber nicht im Zentrum der Arbeit: Spielzeug, Musikinstrumente, Uhren, Wein, Möbel, Schmuck, Bücher – ein ganzes Objektuniversum, eine Staunen machende Wunderkammer.

Auktionen waren schon immer auch internationale Ereignisse

Und manchmal Skurilles wie jene 400 Käseetiketten, die, wie mir Herr Karrenbauer erzählte, ihm einmal angeboten worden waren. In solchen Fällen wurde zunächst geprüft, ob es für solche Objekte einen Markt gibt. Es gab. Also bot man an – und versteigerte alle Etiketten zusammen an einen Sammler in den USA, denn Karrenbauers Auktionen waren schon immer – erst per Telefon und später übers Internet – auch internationale Ereignisse. Manchmal überstiegen die Transportkosten den Wert des ersteigerten Objekts – wie etwa jenes Schaukelpferds, das nach Australien verschifft wurde.

Immer war die Arbeit des Ehepaars Karrenbauer eine an der Erinnerung. Unzählige Nachlässe haben die beiden gesichtet und beurteilt. Das waren immer berührende Momente, denn es geht ja nicht nur um den Erhalt von Objekten, sondern auch um Geschichten, die mit diesen Dingen verknüpft waren. Personen enden ja nicht an der Hülle ihrer Haut, sondern ‚verteilen‘ sich, wie die Anthropologie sagt, über die Gegenstände, die von ihnen genutzt werden. Wenn die Mode heutzutage löchrige Jeans als ‚Vintage‘ verkauft, dann will sie genau an diesem Wert partizipieren – ebenso wie die Käufer:innen solch mutwillig beschädigter oder, sagen wir, patinierter Objekte. Aber Geschichte lässt sich nun einmal nicht abkürzen. Das Loch in der Vintage-Jeans führt nirgends anders hin als in Fabriken in Bangladesh oder der Türkei. Erzählen können diese Löcher allenfalls vom Alltag der Sklaverei auch in heutigen Wirtschaftskreisläufen und von einem Wegwerfkapitalismus, der gerade das Gegenteil jener Werte verkörpert, für die Carlo Karrenbauers Leben und Arbeiten steht.

Arbeit an der Erinnerung

Am Ende unserer gemeinsamen Arbeit stand der Plan ihrer Fortsetzung. Dazu ist es nur ein einziges Mal gekommen, als der Grandseigneur, der Carlo Karrenbauer auf eine ganz selbstverständliche Weise in Kleidung, Höflichkeit und Auftreten ist, in meinem Seminar „Es ist angerichtet. Museum à la carte“ lebendig und mitreißend von der Geschichte der Tischmanieren und die in ihrem Verlauf entstandene Objektvielfalt erzählte. Besonders die Messerbänkchen hatten es ihm angetan, Objekte, die ganze Benimmbücher verkörpern und von den sozialen Distinktionsbedürfnissen derjenigen, die sie nutzen, erzählen. Es geht ja nicht einfach darum, das Tischtuch nicht zu beschmutzen, sondern vielmehr darum, das Messer an eine vorgeschriebene Stelle des Tisches zurücklegen zu können, ohne Spuren auf dem Tischtuch zu hinterlassen. Und es geht natürlich um die Formenvielfalt, die sich in einem winzigen Objekt ausprägt. Das gilt auch für die Krawattennadeln, die Carlo Karrenbauer als einzige Objekte zu sammeln sich selbst gestattet.

Für mich war es faszinierend, wie Carlo Karrenbauer es mit minimalistischem Aufwand verstand, einen ganzen Raum voller Studierender so in den Bann zu ziehen, dass man sich alle didaktischen Spielchen sparen konnte. Am Ende des gemeinsamen Seminars bewies er seinen Humor mit einer Flasche Wein, die er mir schenkte: „Chateau migraine“ stand auf dem Etikett zu lesen, hergestellt auf der „Domaine Scharlatan“. „Appellation souterraine pas controllée“.

Alles Gute für viele weitere, möglichst gesunde Jahre! Und Ihnen, geschätzte Leserschaft, sei das kleine Video anempfohlen, das ich mit Carlo Karrenbauer drehen durfte: https://youtu.be/6BEoAUpnJys

Text: Albert Kümmel-Schnur; Bilder: Stills aus einem Film, Kamera: André Beckersjürgen ()