Max sorgt für Streit um Straßennamen auch in Radolfzell
Max Uhlemann ist 16 und schon Historiker. Der Gymnasiast hat geforscht, eine Geschichtsarbeit verfasst, einen Preis gewonnen und in Radolfzell eine Diskussion angeschoben. Ganz schön erfolgreich, der Junge. Dass er auch politisch etwas auf dem Kasten hat, zeigt sein Thema: „Weiße Schrift auf blauem Grund – wie Radolfzeller Straßennamen die Zeit überdauern“. Es geht einmal mehr um „Kriegshelden“, es geht aber auch um das Geschichtsbewusstsein von uns Zeitgenossen.
Max (ich darf ihn so nennen) wunderte sich auf dem Weg zum Bahnhof stets über die eigentümlichen Straßennamen: „Immelmann“, „Boelke“, „Lettow-Vorbeck“. Und er wunderte sich, dass sich außer ihm niemand wunderte, was und wer hinter diesen Namen steckt. Als dann in seiner Schule, dem Friedrich-Hecker-Gymnasium, ein Geschichtswettbewerb ausgeschrieben wurde – Titel: „Ärgernis, Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte“ – machte er sich an die Recherche, interviewte Bewohner und Zeitzeugen, schrieb eine 45seitige Arbeit, suchte die Diskussion mit Kommunalpolitikern – und gewann einen Preis für seine erste Forschungsarbeit von der Körber-Stiftung.
Kann der „Löwe von Afrika“ ein Vorbild sein?
Ein Beispiel nur aus „Weiße Schrift auf blauem Grund“. In der Biografie des Paul von Lettow- Vorbeck beschreibt Uhlemann die Greueltaten der deutschen „Schutztruppe“ in ihrer Kolonie Deutsch-Südwestafrika, in der Lettow-Vorbeck später auch als Kommandeur fungierte: “Nachdem im Januar 1904 die Befreiungskriege der Volksstämme Herero und Nama in Deutsch – Südwestafrika ausgebrochen waren, meldete sich Lettow-Vorbeck … freiwillig als Adjudant zur „Schutztruppe“. Während dieser Zeit zeigte sich erstmals sein angebliches „ritterliches Verhalten“. Die aufständischen Herero und Nama, größtenteils mit Speeren bewaffnet, wurden von einer vergleichsweise verschwindend geringen Zahl deutscher Soldaten und Söldner mit Maschinengewehren regelrecht nieder gemäht. So überlebten bei den Hereros von 80.000 Menschen nur 15.000, von 20.000 Namas blieben nur 9.000 am Leben“.
Und Max spart auch die zweifelhafte Rolle des „Löwen von Afrika“ in der Nachkriegszeit nicht aus: „Der 01.07.1919 markierte ein weiteres düsteres Datum. Im Auftrag der Reichswehr marschierte er in Hamburg ein, um die dort ausgebrochenen „Sülzeunruhen“ (wegen Lebensmittelteuerungen) zu beenden. Doch während dieses Einsatzes in der Hansestadt verhielt sich das Korps „Lettow“ wie in einer Stadt im Feindesland. Lettow-Vorbeck schränkte die Meinungsfreiheit ein, ließ Gewerkschaftshäuser schließen, Reden von Kommunisten durch Waffengewalt verhindern, setzte Kriegsgerichte ein und verhängte Todesstrafen.“ Nur am Rande übrigens: Noch bis in die 1970iger Jahre hinein thronte Paul von Lettow-Vorbeck als eisernes Denkmal vor der Hamburger Universität.
Immelmann? Nie gehört
Kann so jemand mit einem Straßennamen geehrt werden, fragte Max Uhlemann nicht nur in seiner Arbeit. Er fragte anhand eines selbst entwickelten Fragebogens auch die Bewohner der betreffenden Straßen – auch „Immelmann“ und „Boelke“ sind sogenannte Kriegshelden des 1. Weltkrieges – und stieß auf eine, ihn erschreckende Unkenntnis. Kaum ein Bewohner wusste um die Geschichte der Namensgeber, niemand wusste, dass die Straßennennungen in der NS-Zeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt waren, und nur ganz wenige sprachen sich, nachdem sie von Uhlemann informiert worden waren, für eine Umbenennung aus. Die meisten waren „nicht interessiert“.
Anders Oberbürgermeister Dr. Jörg Schmidt. Der fand nach einem langen Gespräch mit dem Schüler dessen Initiative „unterstützungswürdig“. In jedem Fall will er für die Mittel sorgen, die durch eine Umbenennung entstehen würden. Auch ein Ausschuss des Gemeinderates hat sich mit Uhlemanns Recherchen beschäftigt und signalisiert, er wolle „die Reform der Straßennamen“ unterstützen.
Und der 16jährige Historiker aus Radolfzell wird wohl nicht locker lassen: In der Schlussbemerkung zu seiner Arbeit fragt er: „Wo ist das Unrechtsbewusstsein, die Informationsverpflichtung bei vielen, die mich an der Haustür wieder weggeschickt haben – ein Skandal“.
Und ich möchte wetten: Von Max Uhlemann wird man noch einiges hören und etliches lesen. Bravo.
Autor: hpk
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Mit großem Interesse habe ich Ihre Veröffentlichung gelesen. Ich sage Ihnen Danke für die Unterstützung und die Stärkung, braucht es doch in Radolfzell einen langen Atem für eine Veränderung. Sie sind es jetzt auch, der als Erster über meine Arbeit umfassend berichtet!
Radolfzell gerät immer mehr in Bewegung, ebenso Südkurier und Wochenblatt, und die gestrigen Fernsehaufnahmen, die heute Abend um 18.45 Uhr in der SWR Landesschau BW zur Ausstrahlung kommen, werden die Sache weiter befeuern.
Herzliche Grüße sendet
Max
Manche Dinge scheinen für die Ewigkeit zementiert. Über den „ollen“ Lettow-Vorbeck haben sich schon meine Lehrer vor fast 50 Jahren lustig gemacht: Vorbild? Nein, Danke! Rätselhaft ist für mich, wie man in den 70er Jahren im Neubaugebiet eine Straße Otto Blesch widmen konnte. Er war bis 1934 Bürgermeister in Radolfzell und gleich nach dem Krieg wieder. Aus der NSDAP war er nie ausgetreten. Das war schon eine besondere Art der Entnazifizierung. Darüber zu reden, tut man sich in Radolfzell schwer. Ein Durchforsten aller Straßennamen ist wohl angebracht. Nicht nur wegen Lettow-Vorbeck.