Das wahre Ostermärchen (II)

Was ist Ostern eigentlich tatsächlich geschehen? Ist Jesus nach seinem Tod am Kreuz wirklich wieder auferstanden? Was berichten die Augenzeugen? Ein Essay über die Macht des Faktischen und des Glaubens sowie die Kunst des Glauben-Machens und Glauben-Wollens.

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Der Tod des vermeintlichen Messias (wie ihn die Judenchristen sahen) oder des Sohnes Gottes (als den ihn bald die Heidenchristen verehrten) reichte freilich als Grundlegung dieser neu entstehenden Weltreligion nicht aus. Der Symphonie fehlte noch der Paukenschlag, damit sie sich nachdrücklich im Gedächtnis festsetzen konnte. Richtig interessant wurde Jesus erst nach seinem Tod, als seine Anhänger ihn als Auferstandenen verkündigten. Solange er nur ein Getöteter war, haftete der Makel des Verlierers an ihm; als man ihn aber als Auferstandenen verkündete, wurde er zu einem Sieger. Und Sieger haben zu allen Zeiten die Menschen magisch angezogen. Auch wenn die Kirchen später aus theologischen Gründen das Kreuz als die entscheidende Heilstatt bezeichneten und die Auferstehung eher nachordneten, wurde die behauptete Auferstehung Jesu zum archimedischen Punkt des Christentums.

Im Auferstehungsglauben mischt sich auf prickelnde Weise das Geheimnisvolle mit dem Bedeutsamen, das religiöse Faszinosum eines göttlichen Eingreifens mit der Aussicht auf eine Überwindung des Todes auch für die Gläubigen. Denn darum geht es: Was wäre die Auferstehung Jesu wert, wenn die Gläubigen nicht aus ihr auch die Hoffnung auf eigene Unsterblichkeit ableiten könnten? Und genau dies verkündeten ja die ersten Christen und hatten gewaltigen Erfolg damit. Die Auferstehung ist das Urmirakel des Christentums, das Zentralwunder, das alle vorherigen Mirakel, all das Austreiben böser Geister, alle Heilungen von Gelähmten, von Gicht Geplagten, von blutflüssigen Frauen in den Schatten stellt. Gegenüber diesem Wunder wirken alle vorherigen wie Kinderkram. Die Verkündigung der Auferstehung Jesu wurde deshalb zum Urbekenntnis der Gemeinde. Das Christentum ist auf einem Mirakel gegründet, auch wenn moderne Theologen dies wortreicher und euphemistischer ausdrücken. Ein naiver Wunderglaube wird von ihnen heute natürlich abgelehnt. Doch in Wirklichkeit gründet die christliche Kirche nach wie vor in diesem Zauberwald religiöser Fantasie.

Die Auferstehung Jesu spiegelt sich vielfach in den Schriften des Neuen Testaments und bietet so der historischen Kritik eine Fülle von Ansatzpunkten. Eine ganze Sammlung von Bekenntnissen, Auferstehungslegenden und Überlieferungslinien finden sich in den bald als heilig erachteten Schriften. Und die erste wesentliche Erkenntnis ist die, dass sich besonders in den Auferstehungslegenden Widersprüche wie sonst nirgends in der Überlieferung finden lassen, dass hier noch viel mehr als in anderen Jesusgeschichten die Evangelisten und ihre Vorgänger ohne Rücksicht auf die historische Wirklichkeit oder nur Wahrhaftigkeit sich ausgetobt haben. Die Widersprüche weisen dabei auf eine lange Traditionsgeschichte der Auferstehungslegenden hin. „Unter allen erhaltenen Berichten stimmen nicht zwei miteinander überein“, stellt der Theologe Hans von Campenhausen fest (Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab, S. 19). Und auch hier erweist es sich als ein Glück, dass wir die Arbeitsweise der Evangelisten und ihre theologischen Absichten einigermaßen verfolgen können. Denn Matthäus und Lukas haben auch hier den Markustext gekannt, verwendet und umgebaut.

Auch Johannes, der erfindungsreichste aller Evangelisten, hat seine Vorgänger an dieser Stelle offenbar gekannt. Zudem finden sich auch in apokryphen Evangelien Auferstehungs-erzählungen, aus denen sich zumindest Überlieferungstendenzen ablesen lassen. Bereits im Neuen Testament spiegelt sich der Vorwurf wider, die Jünger hätten Jesu Leichnam gestohlen (Mt 28,11–15). Offenbar sind die ersten Christen bei ihrer Auferstehungspredigt damit immer wieder konfrontiert worden. Reimarus hat die Leichenraubthese, in der jüdischen Literatur weit verbreitet, als Erster im christlichen Kulturkreis (noch anonym) vertreten. Indem die Jünger Jesu Leichnam stahlen, wollten sie sich Vorteile verschaffen, denn nun erschienen auch sie nicht mehr als Nachfolger eines Verlierers, sondern konnten im Lichte der Auferstehung selbst wieder Kontur und Autorität gewinnen. Sie waren nun nicht mehr nur Verführte, sondern bestätigten so vor der Welt die Richtigkeit ihres Weges. Die Jünger hätten, so Reimarus, sich aber nur schlecht darauf einigen können, welche Geschichte sie erzählen wollten, weshalb es zu den vielen unterschiedlichen Geschichten in den Evangelien gekommen sei. Das Christentum würde, träfe diese These zu, auf einem Betrug beruhen, oder etwas freundlicher formuliert auf einem Schelmenstück, wie Goethe es in seinem venetianischen Epigramm formuliert hat:

„Offen steht das Grab! Welch herrlich Wunder! Der Herr ist
auferstanden! – Wer’s glaubt! Schelmen, ihr trugt ihn ja weg“.

Text: Heinz-Werner Kubitza, Bilder: Bild von Jeff Jacobs auf Pixabay; Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Auszüge aus: Heinz-Werner Kubitza, Der Jesuswahn. Wie die Christen sich ihren Gott erschufen. Die Entzauberung einer Weltreligion durch die wissenschaftliche Forschung, 380 Seiten, Hardcover 19,90 Euro, Tectum Verlag, ISBN 978-3-8288-2435-5.