Die Akte Gössner wird zur Schlappe für die Schlapphüte

Fast 40 Jahre lang bespitzelte der Verfassungschutz den Anwalt Rolf Gössner. Jetzt machte das Verwaltungsgericht Köln dem Spuk ein Ende. Die Internationale Liga für Menschenrechte zieht daraus den Schluss: „Dieser Verfassungsschutz schützt nicht die Verfassung, sondern ist offenbar selbst eine Gefahr für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat.“ Gössner, auch schon auf seemoz-Einladung zu Gast in Konstanz: „Dieses Urteil ist eine herbe Niederlage für den Inlandsgeheimdienst“. Der Ruf nach Konsequenzen wird deshalb lauter.

Rolf Gössner (s. Foto) stand seit 1970 ununterbrochen unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) – schon als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar und seitdem ein Arbeitsleben lang in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechtsanwalt und parlamentarischer Berater, später auch als Präsident/Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, seit 2007 als gewähltes (parteiloses) Mitglied der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft und selbst noch als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen.

Erst am 13.11.2008, unmittelbar vor der 1. mündlichen Verhandlung des von Gössner angestrengten Verfahrens, wurde die Beobachtung überraschend eingestellt. Es dürfte die längste Dauerbeobachtung einer unabhängigen Einzelperson durch den Geheimdienst sein, die bislang dokumentiert werden konnte – ohne dass Gössner jemals selbst als „Extremist“ oder „Verfassungsfeind“ eingestuft wurde.

Keine Deutungshoheit für den Verfassungsschutz

Der Urteilsspruch ist eindeutig: „Es wird festgestellt, dass die Beobachtung des Klägers bis zum 13.11.2008 einschließlich der während dieses Zeitraumes erfolgten Erhebung und Speicherung von Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.“ Immerhin wurde während des Überwachungszeitraums ein Dossier von 2000 Seiten über Gössner angelegt. Dazu Gössners Anwalt Dr. Udo Kauß, selber Sprecher der Internationalen Liga für Menschenrechte in Baden-Württemberg: „Diese Entscheidung ist wirklich ein Meilenstein. Dem Schutz der BürgerInnen vor staatlicher Überwachung wurde nach fünfjährigem Rechtsstreit zumindest rückwirkend Geltung verschafft. Die im Prozess vom Bundesamt für Verfassungsschutz für sich in Anspruch genommene Deutungshoheit über das, was in diesem Staat zulässiger Weise gesagt und geschrieben werden darf, ist diesem Geheimdienst entzogen worden. Eine schallende Ohrfeige mit hoffentlich nachhaltiger Wirkung für die Erfassungspraxis nicht nur des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sondern aller bundesdeutschen Geheimdienste“.

Und nochmals die deutsche Sektion der Internationalen Liga für Menschenrechte in einer Presseerklärung zu dem Fall: „Diese skandalöse und rechtswidrige Langzeitüberwachung darf nicht ohne drastische politische Konsequenzen bleiben – zumal wenn man bedenkt, dass es sich hier um keinen Einzelfall handeln dürfte. Diese aufwändige Überwachungsgeschichte ist auch ein ganz dringlicher Fall für den Bundesrechnungshof – wegen Verschwendung öffentlicher Gelder.“

Neue Grenzen für die Geheimdienste

Dieses Urteil hat nach Auffassung der Liga über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um ein brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft: Welche Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und ihren geheimen Aktivitäten gezogen – gerade im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und im Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen?

Rolf Gössner drückte bereits vor Gericht „sein Bedauern darüber aus, dass durch diese unsinnige, geradezu absurde Überwachungsgeschichte so viel Lebenszeit und -kraft vergeudet wurde und dass zwei Gerichte – das Verwaltungsgericht Köln und das Bundesverwaltungsgericht – mit aufwändigen Verfahren belästigt werden mussten. Aber dieser mühsame Kampf war nun mal notwendig, um wenigstens zu versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel geheimdienstlicher Machenschaften zu bringen und solch ausufernde Geheimdiensttätigkeit künftig zu bändigen.

Mir war immer klar, dass mit mir gewissermaßen eine ganze Generation von engagierten Menschen mitklagte, die sich seit den späten 60er Jahren in unterschiedlichen Aktivitäten und Berufen linkspolitisch betätigten oder weiter betätigen, und dabei möglicherweise ebenfalls mehr oder weniger lang ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind. Vielleicht habe ich deshalb so viel Zuspruch und Solidarität empfangen, für die ich mich herzlich bedanken möchte, weil ich mich in gewisser Weise auch stellvertretend zur Wehr gesetzt und geklagt habe.“

Autor: PM/hpk

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