Hanf-Gandhi oder Krimineller?

Wer ist Bernard Rappaz ? Der Walliser Staatsanwalt beschrieb ihn während des Prozesses als geldgierigen Hanfproduzenten und grössten Drogenhändler der Schweiz. Für seine Fans und Freunde ist er ein idealistischer Hanf-Gandhi, den sie mit Solidaritätsfasten unterstützen.

Ist Rappaz ein gewöhnlicher Krimineller, wie die SVP schreibt, oder ein Märtyrer für die Cannabislegalisierung, gar ein politischer Gefangener, wie er sich selbst darstellt?

Vor vier Jahren ist Bernard Rappaz von einem Walliser Gericht zu fünf Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt worden. Vorgeworfen wurde ihm die Produktion von fünfzig Tonnen Hanf in den Jahren 1996 bis 2001, als eine Cannabislegalisierung in Reichweite war und selbst die bürgerlichen Parteien bereit schienen, die Gesetze den Realitäten anzupassen. Die Strafe angetreten hat Rappaz im März dieses Jahres. Er trat sofort in den Hungerstreik.

Anfang Mai, nach fünfzig Tagen Hungerstreik, setzte die zuständige SP-Regierungsrätin Esther Waeber-Kalbermatten die Strafe vorübergehend aus, damit der geschwächte Rappaz sich zuHause erholen könne. Rappaz nutzte die Freiheit für Kontakte mit den Medien, die Bürgerlichen fielen über die Regierungsrätin her, und sie schwor entnervt, wenn Rappaz wirklich sterben wolle, werde man seinen Willen respektieren. Die Polizei holte Rappaz früher als geplant ab und verlegte ihn in ein anderes Gefängnis, wo er seinen zweiten Hungerstreik begann. Mitte Juni wurde er ins Genfer Kantonsspital überführt, wo er weiterhungert.

Schon immer aktiv

Der 57-jährige Bernard Rappaz mit seiner langen weissen Mähne ist ein rotes Tuch für das konservative Wallis. In einem Begnadigungsgesuch an den Grossen Rat beschreibt er, wie er die Behörden schon in den siebziger Jahren gegen sich aufgebracht habe, als er das erste Windrad und die ersten Sonnenkollektoren des Kantons bei sich installierte. Als Aktivist engagierte er sich gegen die Ausdehnung der Militärzone im französischen Larzac, gegen den Schnellen Brüter von Creys-Malville bei Genf, gegen Stauwerke und Autobahnen im Wallis, für die Sache der Walliser Bauern, für Bioproduktion und die Produktion von Hanf, dessen Potenzial für zahlreiche Produkte und im medizinischen Bereich völlig unterschätzt werde.

Allein gegen alle

Rappaz sieht sich als modernen Farinet, der wie der legendäre Walliser Falschmünzer und Freiheitsheld allein gegen alle kämpft, weil «ihre Gerechtigkeit nichts taugt», wie der Schriftsteller Charles Ferdinand Ramuz in seinem Roman über Farinet schrieb. Rappaz ist der Ansicht, das Urteil sei viel zu hart, man habe ihm einen Denkzettel verabreichen wollen. Eine Ansicht, die sein Rechtsanwalt Aba Neeman teilt: «Oft müssen selbst Mörder weniger lang ins Gefängnis.» Ein Gesuch für eine Revision des Prozesses wurde abgelehnt, zur Zeit liegt Rappaz ’ Begnadigungsgesuch auf dem Tisch des Walliser Parlaments. Doch wurde es nicht wie vorgesehen im Juni, sondern soll erst im Herbst behandelt werden.

Den Hungerstreik respektieren?

Anwalt Neeman, der Rappaz kürzlich im Spital besuchte, ist äusserst besorgt über den Gesundheitszustand seines Klienten. Er hat ihm geraten, den Hungerstreik abzubrechen. Der Anwalt verlangt mit aller Dringlichkeit eine erneute Aussetzung der Strafe. Auch die Ärzte seien besorgt und wüssten nicht, ob sie Rappaz ’ Hungerstreik respektieren oder ihn zwangsernähren müssten. Laut Neeman dürfe man diesen schwierigen Entscheid nicht den Ärzten überlassen. «Die Ärzte können den freien Willen eines Patienten respektieren, aber Rappaz ist im Moment kein freier Mensch.» Deshalb liege die Verantwortung bei der Walliser Regierung. «Mein Klient will nicht sterben, ist aber wenn nötig dazu bereit. Das ist ein grosser Unterschied.»

AutorIn: Helen Brügger

Foto: chris