Im weißen Kittel gegen Hitler & Co.

Mit dem Arzt Elio Canevascini (1913-2009) starb der wohl bekannteste Tessiner Antifaschist. Er hatte am Spanischen Bürgerkrieg sowie am Befreiungskampf in Jugoslawien teilgenommen. Seine Reputation im Tessin war legendär.

Schon sein Vater, der Sozialist Guglielmo Canevascini (1886-1965), war im Tessin eine allseits bekannte Figur, hatte er doch 1918 den  Generalstreik in Lugano geleitet und es nachher zum ersten sozialistischen Staatsrat der Südschweiz gebracht.

Der  engagierte Antifaschismus des Vaters übertrug sich nahtlos auf den Sohn. Elio, 1914 in Tenero geboren, studierte  in Paris Medizin und verkehrte dort im Kreis italienischer EmigrantInnen, die vor  Mussolini hatten flüchten müssen. Ständig saß ihnen der Geheimdienst Ovra im Nacken, einige fielen ihm zum Opfer. Klingende Namen der italienischen Nachkriegspolitik waren in dem Kreis zu finden, etwa der Sozialist und spätere Außenminister Pietro Nenni oder Carlo Rosselli und seine Widerstandsgruppe „Giustizia e Libertà“, der Canevascini angehörte.

Als General Franco im Juli 1936 gegen die gewählte Regierung Spaniens putschte, war Elio als einer der ersten Schweizer zur Stelle. Er reiste mit Randolfo Pacciardi, dem späteren Verteidigungsminister Italiens, nach Barcelona und schloss sich dort der anarchistischen Miliz «Columna Ascaso» an, die zusammen mit der berühmten Durruti-Kolonne den Vormarsch der franquistischen  Truppen in Aragón blockierte.

Am Monte Pelato bei Huesca, wo er als  Frontsanitäter tätig war – operieren konnte er damals noch nicht –, lernte der junge Mediziner die Realität des modernen Kriegs kennen. Das war für ihn ein schreckliches  Erlebnis. Einen politischen Schock erlitt er durch den aufflammenden Machtkampf im republikanischen Lager zwischen den kommunistischen und anarchistischen Fraktionen. Den Ausschlag für seinen Rückzug aus Spanien gab der stalinistische Mord am italienischen Philosophen und Anarchisten Camillo Berneri. Er verließ das Land «mit einem Gefühl des Schreckens und der Bitterkeit», wie er sagte. In Paris setzte er dann das Studium fort. Da er nicht in die Schweiz zurückkehrte, blieb er vor dem Zugriff der Schweizer Militärjustiz verschont.

Canevascini war auch Mitglied der in Paris gegründeten Ärztehilfe Central Sanitaire International (CSI) und deren Schweizer Sektion CSS. Diese organisierte zwischen 1944 und 1948 mehrere ‚chirurgische Missionen‘ nach Jugoslawien, wo Tito den Partisanenkrieg gegen die Nazi-Besatzer anführte. Neben Canevascini gehörten dem Team unter anderen der im Mai dieses Jahres verstorbene Ethnopsychoanalytiker Paul Parin sowie seine Frau Goldy an. Sie arbeiteten in einem Spital bei Belgrad. Die Operationen mussten teils ohne Betäubungsmittel durchgeführt werden.

Während des Zweiten Weltkriegs hatte Canevascini italienische Widerstandskämpfer in die Schweiz gelotst und ihnen das Leben  gerettet, wofür er Arrest erhielt. Später ließ er sich in Mendrisio nieder, arbeitete im dortigen Spital als Orthopäde und führte eine eigene Praxis in Lugano. 1975 wurde sein Wirken im Dokumentarfilm „No Pasarán!“ von Werner Weick über die Tessiner Spanienfreiwilligen gewürdigt, und in seiner 2006 erschienenen Arbeit „Mission chez Tito“ hat der Genfer Dokumentarfilmer Daniel Künzi den Schweizer Partisanenhelfern im weißen Kittel ein filmisches Denkmal gesetzt.

Im vergangenen Jahr ehrte seine Wohngemeinde Mendrisio den inzwischen 96 Jahre alt gewordenen, in breiten Kreisen geachteten Kämpfer für Humanität und Freiheit mit einer Auszeichnung. Elio Canevascini wäre am 11. Januar 2010 97 Jahre alt geworden. Er starb am vergangenen 14. Dezember.

Bild: Elio Canevascini (rechts) mit einem Mitstreiter im spanischen Bürgerkrieg 1936

Autor: Ralph Hug