La Jolie et la bête oder die Schönheit und das Biest

Stets sieht sich die Schönheit durch das Häßliche gefährdet. Ebenso wie die Freiheit durch die Beschränktheit, oder die Ruhe durch den Aufruhr, die Gesundheit durch Krankheit. Der Frieden durch den Krieg. Die Gewissheit durch die Ungewissheit. Genauso wie das Leben durch den Tod. Anlässlich des Medienhypes über die Brustamputation von Angelina Jolie hat sich unser Autor Siegfried Galter grundsätzliche Gedanken zum Thema gemacht

Keine Existenz ist denkbar ohne ihre elementare Gefährdung oder Infragestellung. Und wir leben in unsicheren Zeiten, das ist gewiss. So gewiss wie die Statistiken, mit deren Hilfe wir uns wenigstens dieser Tatsache zahlenmäßig verbrieft versichern können. Rauchen gefährdet unsere Gesundheit. Ebenso wie falscher oder übermäßiger Konsum nahezu aller anderen körpergängigen Substanzen und Verfahren, sei es Fleisch, Fett, Alkohol, Zucker, Medikamente und Drogen oder auch nur natürliches Sonnenlicht. Von allen anderen Schadfaktoren, über die wir keine Kenntnis oder noch keine gesicherte Erkenntnis haben, einmal abgesehen.

Hält die statistisch belegte Schädlichkeit oder Gefährdung irgendeinen Nikotin-, Drogen-, Alkohol-, UV-, oder Fressjunkie davon ab, weiter an dieser selbstzerstörerischen Verhaltensweise festzuhalten? Selten genug. Wir verbrüdern uns mit unseren Todfeinden, umarmen sie innig und nehmen fatalistisch ihre statistisch signifikante und millionenfach erprobte Letalität in Kauf. Gleichzeitig kämpfen wir verzweifelt gegen den sichtbaren Verfall, sei es mit Hilfe von Kleidung, Kosmetik oder Körperoptimierung bis aufs Messer – mit Selbstkasteiung, Chirurgie und und Alchemie.

Depression sei die Krankheit zum Tode, heißt es. Ich glaube, die Krankheit zum Tode heißt Todesangst. Sie lässt uns die aberwitzigsten Dinge tun, um dem Unvermeidlichen nicht ins Auge blicken zu müssen. Der Gegner hat uns längst umzingelt, der Sensenmann ist allgegenwärtig. Der Mensch ist des Menschen erbittertster Feind. Und am gefährlichsten ist der Feind in uns selbst. Ein heimtückischer Schläfer lauert in uns auf die Gelegenheit, uns mit körpereigenen Waffen hinterrücks niederzuringen. Krebs, die beängstigende Fratze jeder Horrorvision vom eigenen Ableben. Und jetzt also auch die eigenen Gene. Heute haben wir endlich die Erkenntnismöglichkeiten, den Beweis, und damit auch die Gewissheit: unsere eigenen Gene arbeiten gegen uns!

Der bayrische Kabarettist Gerhard Polt brachte es einmal so trefflich auf den Punkt: „Wenn die Gene erstmal versaut sind, helfen auch keine Prügel mehr!“
Aber in der modernen Chirurgie haben wir einen mächtigen Verbündeten! Wenn die statistische Wahrscheinlichkeit, an einer bestimmten Krebsart zu erkranken, genetisch quasi vorprogrammiert ist, dann operieren wir das hinterfotzige Teil einfach heraus, bevor eine entartete Zelle auch nur „Piep!“ sagen kann, und ersetzen es notfalls durch eine optimierte und harmlose Nachbildung.

So eine über 80-prozentige, statistisch abgesicherte Erkrankungswahrscheinlichkeit kann einem natürlich eine Scheißangst einjagen, gar keine Frage. Oh unglückselige Angelina, Dein Engelsgesicht soll den grausen Tod nicht schauen. Da heißt es knallhart kalkuliert handeln. Der Krebs oder ich. Den Feind vernichten, bevor er noch aus den Schützengräben ‘rauskommt. Das Biest muss sterben! Die Schönheit soll leben! Silikon statt Karzinom. Unsere Todeswahrscheinlichkeit beträgt exakt 100 %. Massenhafte Präventiv-Selbstentleibung wäre angesichts dieser überwältigenden und statistisch unleugbaren Gewissheit das aktuelle Gebot der Stunde.

Wem das zu radikal ist, der kann ja, sozusagen als sorgsam abgestimmte „flexible response“ auf die statistisch vorliegende individuelle Gefährdungslage, nach und nach die Gefahrenherde eliminieren, indem er sich peu à peu von den in Frage kommenden Organen und Körperteilen trennt. Auf chirurgischem Wege, versteht sich, und unter begleitender Obhut von Spezialisten des Vertrauens. Heute die Prostata, morgen die Leber, dann später vielleicht noch Teile des Magens, suspekte Brüste, ein Fötus mit einer minderwertigen Gen-Disposition – alles muss ‘raus! Je nachdem könnte auch das Gehirn dran glauben müssen. Prävention tut Not – nichts wie weg damit, bevor es zu spät ist! Bei der Mehrheit sollte der Gewinn an potenzieller Lebensqualität den Verlust an Denkvermögen mehr als wettmachen. Bei nicht Wenigen wird sich dieser finale Eingriff mangels Masse ohnehin erübrigen. Und für unser marodes Gesundheitswesen tun sich langfristig völlig neue Perspektiven auf. Radikalprävention auf höchstem Level. Entledigt Euch!

© Mai 2013 Siegfried Galter