Pünktlich zum 1. August – der vergessene Schweizer
Johann August Sutter (1803-1880) sah keinen anderen Ausweg mehr, als Frau und Kinder zu verlassen und seiner Heimat den Rücken zu kehren. Der bei Basel lebende Sutter war Kaufmann, allerdings ein nicht sehr erfolgreicher. Er wurde des schweren Betrugs bezichtigt, Gläubiger standen Tag und Nacht vor seiner Türe und schließlich wollten ihn die Schweizer Behörden hinter Schloss und Riegel setzen. Dennoch gelang ihm der Aufstieg zum „Kaiser von Kalifornien“
In dieser hoffnungslosen Lage flüchtete Sutter 1834 mit einem Amerikadampfer über Le Havre nach New York, und dort, in der Neuen Welt, begann ein Abenteuer, das seinesgleichen sucht und das der grandiose Schriftsteller Stefan Zweig in seinen „Sternstunden der Menschheit“ eindrucksvoll beschrieben hat.
1839 erreichte Sutter das Sacramento-Tal im heutigen Kalifornien. Der Bankrotteur aus Europa war begeistert von dieser Gegend und träumte davon, an Ort und Stelle ein kleines Reich zu gründen und völlig neu anzufangen. „Neu-Helvetien“ sollte es heißen, in Erinnerung an seine Herkunft. Der fruchtbare Landstrich gehörte damals noch zu Mexiko. Sutter wurde beim zuständigen Gouverneur Juan Bautista Alvarado vorstellig, legte diesem seine Pläne für eine landwirtschaftliche Nutzung der Region vor, die in etwa so groß war wie der Kanton Basel-Land und bekam umgehend eine Konzession über zehn Jahre.
Nachdem Sutter mit Hilfe der Mexikaner die ansässigen Indianer vertrieben hatte und dabei auch nicht zimperlich vorging, fing er an, das Land zu bewirtschaften. Und das mit höchst erstaunlichem Erfolg: Er ließ Häuser und Mühlen bauen, Wege anlegen, Brunnen graben, pflanzte Getreide und Obst an und seine Viehherden wurden immer größer. Bald schon stand sein Neu-Helvetien auf festen Füßen und Johann August Sutter galt als einer der reichsten Männer weit und breit. Als Kalifornien den USA zufiel, fühlte sich der Einwanderer aus der Alten Welt sicher und glaubte, seine Ansprüche auf das von ihm Geschaffene seien auf Ewigkeiten gewahrt. Aber dann, im Januar 1848, kam alles anders.
Auf Sutters Land wurde Gold gefunden und innerhalb kürzester Zeit wälzte sich ein Tross von gierigen Hasardeuren und Abenteurern durch Neu-Helvetien. Machtlos muss Sutter erleben, wie ihm die Arbeiter davon laufen, weil auch sie vom Goldrausch befallen sind. Seine Felder verfaulen, seine Kühe werden von marodierenden Goldsuchern geschlachtet, seine Häuser und Farmen geplündert – unendliche Menschenkolonnen, auch aus Europa, überrennen das kleine Königreich Sutters, das über Nacht der totalen Verwüstung zum Opfer fällt. Gesetze und Verordnungen zählen nicht mehr, nur noch das Recht der Stärkeren und Rücksichtsloseren bestimmt den Lauf der Dinge.
Sutter aber will nicht aufgeben und organisiert, nachdem sich der Goldtaumel zwei Jahre später gelegt hat, einen bewundernswerten Neuanfang. Er lässt Frau und Kinder aus der Schweiz nachkommen und arbeitet sich ein zweites Mal zäh und verbissen nach oben. Zudem will er für den erlittenen Verlust Schadensersatz vom Staat Kalifornien und klagt auf 25 Millionen Dollar – für damalige Verhältnisse eine ungeheure Summe. 1855 entscheidet das Gericht in seinem Sinne, aber daraufhin bricht ein Sturm los, der Sutter endgültig in die Knie zwingt. Nach dem Urteil brennt der Pöbel den Justizpalast nieder, versucht den Richter zu lynchen und der völlig losgelöste Mob verwüstet Sutters Land erneut. Seine Söhne werden ermordet, der König von Neu-Helvetien ist am Ende.
Doch es soll noch rund 25 Jahre dauern, bis die Akte Sutter endgültig geschlossen werden kann. Verwirrt begibt er sich nach Washington und bezieht vor dem Justizpalast Stellung. Er will den Senat und den Kongress dazu bewegen, sich nochmal seiner Sache anzunehmen, einen neuen Prozess zu führen und ihm sein Land zurück zu geben. Man vertröstet ihn Jahr für Jahr und schiebt die Entscheidung immer wieder hinaus. Völlig verarmt und heruntergekommen stirbt Johann August Sutter 1880 in Washington an Herzversagen.
Autor: hr/Archiv
Wirklich denkwürdige Geschichte von Stefan Zweig. Den Bankrotteur, der auf Kosten anderer ein Imperium aufgebaut und dies (und viel mehr) wieder verloren hat, kann man getrost vergessen. Aber die Lehre daraus, dass Maßlosigkeit nicht zwangsläufig zum Erfolg führt, ist wirklich eine Sternstunde der Menschheit.