Sozialist, Buddhist, Stoiker
Ende des Jahres war Schluss: Verdi-Urgestein Gerhard Manthey (65) hörte auf. Den Verlust wird die Gewerkschaft spüren, aber noch mehr das Volk der Journalisten, dem er Antreiber, Gewissen und Kummerkasten war. Mit ihm ging eine Institution der baden-württembergischen Presselandschaft
Warum schafft einer, obwohl er es nicht mehr müsste? Zehn Jahre mehr. Die Rentenjahre hätte er bereits mit 55 beieinander gehabt. Wenn’s das Geld nicht ist, muss es wohl eine Mission sein. Oder zumindest die Lust an einer Tätigkeit, die einem sinnvoll erscheint. Nicht jedem ist es schließlich vergönnt, nächtens mit dem Schriftsteller Peter O. Chotjewitz, kurz vor dessen Tod, über Engel zu diskutieren. Und nicht jeder kann weinende KollegInnen trösten, die in den Zeitungshäusern weggespart werden und nun rätseln, wie sie Familie, Haus und Automobil über die Runden bringen. Früher haben sie von ihren Verlegern noch zinslose Kredite fürs Eigenheim gekriegt, heute einen Tritt in den Hintern.
Mit ziemlicher Sicherheit landen sie im Büro von Gerd Manthey, dem letzten Zimmer im zweiten Stock des Verdi-Hauses an der Stuttgarter Theodor-Heuss-Straße. Anna Hunger hat das einst in Kontext schön beschrieben: Neben Chaos und Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ liegen zwanzig Quadratzentimeter grüne Plastikwiese mit rosa Blümchen – Kurzzeiturlaub zum Anschauen für einen, der nie welchen macht. Vielleicht auch ein kleiner Lichtblick für seine Besucher, die nur noch schwarzsehen.
Der Kummerkasten steht – mit 150 oder 84 Kilo
Gerhard Alfred Manthey, kurz Gerd, darf das alles. Mal mit 150 Kilo auf den Rippen (Stand heute), mal mit 84 (Stand 2010). Der Kummerkasten steht. Das Höchstgewicht erreicht er während der Streiks, wenn er zusammenhalten will, was kaum noch zusammenzuhalten ist: die Solidarität. Wenn die Zartbitterschokolade sofort ansetzt, das Trimmrad zu Hause ruht und er fünf Bälle gleichzeitig in der Luft halten soll. Als da sind: die Finsterlinge aus den Verlagen, die Ängstlichen in den Redaktionen, die Zauderer des Deutschen Journalistenverbands (DJV), der Kogewerkschaft, der eigene Laden Verdi, der Journalisten für kampfinkompatibel hält, und er selbst, der am nächsten Morgen noch in den Spiegel schauen können will. Am Ende gibt’s dann ein oder zwei Prozent mehr Geld, Prügel von den Geknechteten und die Frage, wofür das alles gut war.
Um sie zu beantworten, mit einem halbwegs befriedigenden Ergebnis, muss man wahrscheinlich sein wie Manthey. Sozialist, Buddhist, Stoiker und Lebenskünstler, der auch grünen Tee noch für einen Zaubertrank hält. Man muss Freude daran haben, Lenin über die Presse oder Friedrich Engels („Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“) zu lesen, Mozart zu hören, FAZ-Redakteure anzurufen und sie in den Senkel zu stellen und dröhnend über sich selbst zu lachen. „Das Einzige, was mein Rückgrat beugt“, sagt er, „ist mein Bauch.“ So weit käme es noch, dass er sich vor irgendjemandem bücken würde.
Womöglich wird man so, wenn schon der Eintritt in die Welt ein Kampf ist. Neunter September 1949: Siebenmonatskind, 1020 Gramm, ein Jahr Krankenhaus bei den Diakonissen in Mannheim. Danach Banklehre, Filmvorführer (mehrere hundert Mal „Dschungelbuch“), Redakteur bei der SPD-Zeitung AZ Mannheim, „Heilbronner Stimme“, Sprecher von DGB-Chef Heinz Oskar Vetter und ab 1978 Bundesgeschaftsführer der Deutschen Journalistenunion (dju). Das war damals, als Journalisten noch für Redaktionsstatute stritten und Andreas Richter in lila Latzhosen im Möhringer Pressehaus herumsprang.
Der BNN-Patriarch bescheißt wenigstens seine Leute nicht
Richter wurde später Hauptgeschäftsführer der Stuttgarter Industrie- und Handelskammer, Manthey Verdi-Sekretär, womit nur unzureichend beschrieben ist, was er eigentlich war: eine Institution im baden-württembergischen Medienwesen. Er kennt alle Verleger in diesem Land, schätzt sogar den einen oder anderen, wie den BNN-Patriarchen Hans W. Baur in Karlsruhe, der seine Millionen nicht aus dem Laden zieht, sondern in eine Stiftung steckt. Wie gut oder schlecht seine „Badischen Neuesten Nachrichten“ sind, Schwamm drüber, Baur bescheißt wenigstens seine Leute nicht.
Er kennt aber auch die gierigen wie geistig begrenzten Nachkommen beziehungsweise Geschäftsführer in den Verlagen, die besser Smarties, Seifen oder Suppen verkaufen würden. Ihnen müsste, sagt Manthey, die Lizenz entzogen oder zumindest die Inschrift am Hauptportal zur Pflicht gemacht werden: „Dieses Haus wurde gestiftet von meinen Mitarbeitern.“ Von denen, die immer Opfer bringen mussten. Da kann er ganz zornig werden und lautstark dafür plädieren, endlich andere Geschäftsmodelle umzusetzen. Nicht die der profitgetriebenen Medienwirtschaft, sondern Stiftungs-, Spenden- und öffentlich geförderten Journalismus.
Öffentlich-rechtliche Zeitungen – warum nicht? Auch die kann er sich vorstellen, wenn sie nicht so sind wie die ARD-Anstalten. Wenn nicht par ordre du mufti durchregiert wird, die Politik die Klappe hält und die Journalisten mutig sind. Gestützt durch klare Statute, die Mut nicht bestrafen, sondern befördern. Manthey kennt die Intendanten und Direktoren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die alle auf Quote sind, aber Qualität predigen. Doch weil ein Gewerkschafter nun mal ein „Dienender, aber kein Diener“ ist, hockt er für seine Mitglieder beim SWR am Tisch und sagt, was sie sich nicht zu sagen trauen. Besonders gern gegenüber Personalchef Thomas Schelberg, der früher mal Geschäftsführer des Südwestdeutschen Journalistenverbands war und eifrig dabei ist, Honorare zu kürzen. Schelberg hat 2007 die Seiten gewechselt. Ihn daran zu erinnern, wie er einst für die „gute Sache“ eingetreten war, bereitet Manthey ein diebisches Vergnügen.
Riexinger hätte Manthey gerne schärfer gehabt
Er sagt das gern mit einem Lächeln im Gesicht. Buddhamäßig eben, aber beharrlich in seiner Sache. Anderen, die anders drauf sind, ist das nicht scharf genug. Bernd Riexinger zum Beispiel, der frühere Stuttgarter Verdi-Geschäftsführer und heutige Chef der Linken, hätte es lieber gesehen, wenn „der Gerd“ mehr Rambazamba gemacht hätte. Rauf ins Möhringer Pressezentrum, die Manager Spießruten laufen lassen, und schon stehen die Rotationen still, wenn dein starker Arm es will.
Wer weiß, vielleicht hätte „der Gerd“, der Freund der Französischen Revolution, das gerne gemacht? Bei den Demos ist er immer vorneweg gelaufen, mit dem roten Schal und dem Megafon in der Hand. Er konnte sich zumindest zugutehalten, dass seine Baden-Württemberger noch die aufmüpfigsten waren. Aber Journalisten sind keine Feuerwehr, mit der man, lalülalü, vor die Werkstore brausen und dicke Schläuche ausfahren kann. „Dort, wo Menschen schlecht behandelt werden und die Angst zu groß wird“, meint Manthey, „sinkt der Widerstand wie ein fauler Kaktus in sich zusammen.“ Eine bittere wie wahre Erkenntnis, die ihm ratsam erscheinen ließ, Kompromisse zu suchen. Wissend, dass seine Freiheit nicht die Freiheit jener ist, die bei ihm um Hilfe nachgesucht haben. Im Stuhl vor der grünen Plastikwiese mit den rosa Blümchen.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: Josef-Otto Freudenreich (http://www.kontextwochenzeitung.de)
Einfach ein guter Text! Die neuen Jungverleger und Manager sind treffend charakterisiert. Es gibt eben zudem merkwürdige Grenzgänger, Thomas Schelberg ist so einer. Was ist dann noch Rechtsbeistandschaft in einem Journalistenverband wert? Ich bin in den 90er Jahren ausgetreten, nachdem ich praktizierten Beistand bei Kollegen erlebt hatte. Dass die Schließung des „Schwarzwälder Boten“ in Singen sozialplanpflichtig war, hatte der eigene freigestellte Betriebsrat glatt unterschlagen. Dafür stand der damalige Singener Leiter des Arbeitsamtes, Lorenz Gebendorfer, in der Redaktionstür, um nach dem Ausmaß der Schließung zu fragen. Dass die Zahl der Austräger entscheidend wurde, habe ich übersehen gehabt, bis eine Austrägerin bei meinem Anwaltsfreund anklopfte. Danach hatte ich meine Sprache wiedergefunden! Ja, Schelberg! Das sind eben die Laufbahnen im Mediengeschäft. Da hatten wir es plötzlich im eigenen Laden mit Consultern zu tun. Und der neue Verleger lief plötzlich mit einer bunten Fliege herum und ging auf Einkaufstour. Die Änderung der Medienlandschaft zeichnete sich schon länger ab. Das Portrait zu Gerhard Manthey ist ein zeitgeschichtliches Dokument. Hut ab!