Von St.Gallen in den Gulag

seemoz.platten.speaksFritz Platten kam in St.Gallen zur Welt, wurde Kommunist und predigte die Weltrevolution. 1942 fiel er ihr selbst zum Opfer. Ein neuer Dokumentarfilm blickt auf sein Schicksal zurück: „Der rote Fritz. Auf Spurensuche in revolutionärer Zeit“ von Helen Stehli Pfister und Kathrin Winzenried erzählt die Geschichte des Schweizers, der ein Freund Lenins war und Stalins Opfer wurde 

Wer kennt noch Fritz Platten? Und wer weiß, dass er 1883 in St.Gallen geboren wurde? Die Stadt hat seinen berühmtesten Revolutionär längst vergessen. Keine Tafel, kein Straßenname erinnert an ihn.

Dabei machte Platten (s. Foto) Weltgeschichte. 1918 ermöglichte er seinem Freund Lenin die Rückkehr in die Heimat – von Zürich nach St.Petersburg in einem plombierten Waggon. Wenig später führte Lenin in Russland die Oktoberrevolution zum Erfolg. Ein Ereignis, das die Welt erschütterte.

Fritz Platten glaubte an die Befreiung der Proletarier durch den Umsturz. Er wurde 1883 selbst in der Welt der Arbeiter geboren. Sein Vater Peter war ein aus Westfalen eingewanderter Schreiner, seine Mutter die St.Gallerin Maria Strässle. In Zürich fand Platten Anschluss an die damals noch revolutionäre Sozialdemokratie.

Der begabte Jüngling absolvierte bei Escher Wyss eine Lehre als Schlosser und schwang sich bald zum redegewandten Arbeiterführer auf. 1918 gehörte er zu den Organisatoren des Generalstreiks, der die Schweiz erschütterte. Ein Jahr später war er schon in Moskau, als Mitgründer der Kommunistischen Internationale (Komintern). Auf dem berühmten Foto der Gründungsversammlung steht er neben Lenin, Trotzki, Sinowjew und Bucharin.

Als linker Volkstribun war Platten eine lebende Legende. Davon wollten 1921 die St.Galler Kommunisten bei den Grossratswahlen profitieren. Sie luden ihn in den «Schützengarten» ein. 1000 Leute kamen, darunter auch manche neugierige Bürgerliche. Platten rief in den Saal: „Die Weltrevolution kann nicht mehr aufgehalten werden.“

Zwanzig Jahre später war er tot.  Erschossen im sibirischen Gulag. Ein Opfer von Stalins Großem Terror, der Hunderttausende das Leben kostete. Warum? Platten hatte sich 1927 in Moskau mit der Opposition gegen Stalin solidarisiert. Seitdem stand er auf der schwarzen Liste des Diktators.

Doch Platten stand als enger Freund Lenins unter politischem Denkmalschutz. Er war ein Unantastbarer, jedenfalls vorläufig noch. Man schob ihn daher als Dozent in ein unbedeutendes Agrarinstitut ab. Dort war er kaltgestellt.

Einer der letzten Schweizer, die Platten noch lebend sahen, war der St.Galler Spanienkämpfer Walter Wagner. 1934 weilte der junge Kommunist zur Ausbildung als Revolutionär an der Moskauer Leninschule. Er besuchte Platten im berühmten Hotel Lux – und brachte ihm zwei Packungen Bohnenkaffee aus der Schweiz mit.

Doch seltsam: Wagner traf einen völlig verschüchterten Menschen an. Er solle leise sprechen, damit es die Nachbarn nicht störe, wies Platten seinen jungen Gast an. Der einstige Volkstribun war bereits ein Gefangener des paranoiden Wahnsystems, das Stalin errichtet hatte. 1937 wurde Plattens dritte Frau Berta Zimmermann, eine Komintern-Agentin, vom Geheimdienst NKWD abgeführt und umgebracht.

Plattens Leben hing am seidenen Faden. Zunächst wurde er 1938 ’nur‘ zu  vier Jahren Haft verurteilt und ins Lager Lipowo ins unwirtliche Archangelsk am Polarkreis deportiert. Doch nach Ablauf der Haft wurde er 1942 kaltblütig erschossen – just an Lenins Geburtstag, grausame Ironie der Geschichte.

Plattens Schicksal im Gulag blieb während Jahrzehnten ungewiss, bis er in der Ära der Entstalinisierung 1956 von Chrustschow rehabilitiert wurde. Seitdem erinnert eine Straße in der Ortschaft Njandoma an ihn. In St.Gallen erinnert nichts an ihn.

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Autor: Ralph Hug/Saiten.ch