Werner Weick: Chronist des Antifaschismus
Vierzig Jahre lang drehte Werner Weick fürs Tessiner Fernsehen kritische Dokumentarfilme. Mit dem Thema Antifaschismus rührte er an viele Tabus. Die Reaktionen blieben nicht aus. Hier ein Porträt über einen unabhängigen Freigeist und bemerkenswerten Journalisten.
Werner Weicks Name als TV-Dokumentarfilmer ist in der Deutschschweiz praktisch unbekannt. Dennoch blickt der heute 65jährige Tessiner auf ein Oeuvre von über 250 Filmen zurück, das nördlich des Gotthards noch zu entdecken bleibt. Realisiert hat er es während seiner 45 Jahre als Mitarbeiter des Tessiner Fernsehens. 1964 nahm er beim neu gegründeten Radio Televisione Svizzera Italiana (RTSI) die Arbeit auf.
Ursprünglich stammte er aus Basel, wo er 1944 geboren wurde. Er wuchs aber im Tessin auf und flog später in Lugano vom Gymnasium, als er einen reaktionären Professor wegen dessen ständigen Schikanen geohrfeigt hatte.
Nach drei Jahren beim «Corriere del Ticino», der grösssten Tageszeitung der Südschweiz, tauchte er in die TV-Bilderwelt ein, deren Mögichkeiten ihn faszinierten. «Mein Idol war Joris Ivens, und Schriftsteller wie Hemingway, Steinbeck und, vor allem, Jack London, haben mich fasziniert», erzählt er. Weick stand für einen kämpferischen Aufklärungsjournalismus, und diesem ist er bis zum letzten Arbeitstag beim heutigen RSI im vergangenen Herbst treu geblieben. Apropos RSI (Radiotelevisione svizzera): «Ein unmögliches Kürzel – als es eingeführt wurde, haben wir gleich protestiert.» Zeitgeschichtlich Interessierte erinnert es nämlich an die so genannte «Repubblica Sociale Italiana», Mussolinis faschistischen Marionettenstaat von 1943 am Gardasee.
Druck aus der rechten Ecke
Es war unvermeidlich, dass Weick mit seinen Filmen politisch aneckte. Sie repräsentieren daher auch die Tessiner Zensurgeschichte. Bereits 1974, gleichzeitig mit Dindos wegweisendem Film über die vergessenen Spanienkämpfer, realisierte er den Streifen «No pasarán!» über die Tessiner Antifaschisten im Spanienkrieg 1936. Wie Dindo wurde auch er zensiert, das Thema Antifaschismus war damals noch zu heiss. Weick musste den 63minütigen Film sowohl Programmdirektor Cherubino Darani als auch Informationschef Antonio Riva, dem späteren Generalserektär der SRG und Vorgänger von Armin Walpen, vorlegen, ein unüblicher Vorgang. Die beiden CVP-Mitglieder (CVP / „Christliche Volkspartei“) verlangten die Entfernung des «Giornale del Popolo» aus dem Film. Weick hatte die Titelseite des katholischen Blatts gezeigt, auf der die franquistische Hetzpropaganda abgedruckt war. Die Direktoren wollten keinen Krach mit den mächtigen CVP-Kreisen. Dafür sollte die historische Wahrheit geopfert werden. Weick musste sich nach einem sechsmonatigen Streit der Zensur beugen, sonst wäre der Film nicht gesendet worden. Er liess aber den Text im Film und schnitt nur die Aufnahme heraus. «Das <Giornale> führte damals eine wöchentliche Kampagne gegen uns kritische TV-Journalisten», erinnert er sich, «wir galten als <i compagni rossi>».
Der Coup des Filmemachers
Weicks Interesse galt den dunklen, unbekannten Flecken der Zeitgeschichte, und sein Anliegen war es, Zeitzeugen gerade in Bezug auf diese Tabuzonen zum Sprechen zu bringen. Das tat er unter anderem mit Fremdenlegionären, die er im Dokfilm «Quelle della Legione» (1976) von ihren Mordtaten in Algerien und Vietnam erzählen liess. Er porträtierte auch einen Tessiner, den es im Zweiten Weltkrieg zu Hitlers SS gezogen hatte. Besonders brisant war die Zeit der Bombenanschläge in Mailand 1969 und die «bleiernen Jahre» der italienischen Nachkriegsgeschichte.
Wenn Weick davon erzählt, gerät er noch heute in Rage. Jahrelang habe das Tessiner TV nicht den Mut aufgebracht, vertieft über die extreme Rechte und ihre «Strategie der Spannung» zu berichten. Im Prozess von Catanzaro 1978 wurden diese Machenschaften verhandelt, auch Regierungschef Giulio Andreotti musste aussagen. Hausintern wurde Weick mit dem Hinweis abgeblockt, er könne den Film nur mit einer schriftlichen Erlaubnis des Gerichtspräsidenten drehen– in der Annahme, diese erhalte er sowieso nicht. Doch Weick gelang der Coup, indem er sich die Unterschrift des Gerichtspräsidenten beschaffte. Auf Umwegen und mit etwas Geld, wie er heute schmunzelnd verrät. Die Aufnahmen von Andreotti und das Interview mit den beiden später wieder freigelassenen Rechtsextremisten Franco Freda und Giovanni Ventura erregten in Italien grosse Aufmerksamkeit.
Weick wehrt ab, er will nicht als journalistischer Heros gesehen werden. Und nur mit Mühe ist er vor eine Kamera zu bringen. Warum tat er sich das an? Weil er es als seine Pflicht erachtete, heikle und verdrängte Themen aufzugreifen, gibt er zur Antwort. Die rebellische Natur der 68er-Generation ist bei ihm noch immer spürbar. Weick realisierte Beiträge über die Pinochet-Diktatur, die Massenmorde der Nazis im italienischen Marzabotto oder die umstrittene Seligsprechung von Maria Goretti, einer frommen italienischen Arbeiterin. Er filmte aber auch kommunistische Dissidenten oder handelte den russischen Einmarsch in die Tschechoslowakei ab, wofür er Kritik von Stalinisten erntete, die es im Tessin auch gab. Weick war nie Mitglied einer Partei. Er vermutet, dass ihm dies TV-intern mehr Spielraum verschafft hat. Doch alle wussten: Weicks Herz schlägt
links.
Aufklärung statt Karriere
Fast zwangsläufig auf Kollisionskurs musste er mit einem Porträt über Bundesrat Giuseppe Motta (1980) geraten. «Motta ist im Tessin noch heute eine Heiligenfigur», sagt Weick. Der Mythos vom gütigen Landesvater lebt weiter, obwohl Motta ein Freund Mussolinis war und er schon zu seiner Amtszeit keinen Hehl aus seiner Bewunderung für faschistischen Pomp und Machtentfaltung machte. Weick betitelte seinen Dokfilm «Dio, Patria e Famiglia» und suchte durch Interviews mit Mottas Nachkommen einen menschlichen Zugang zu diesem Politiker. Dieser Teil des Films war nicht skandalträchtig, umsomehr dafür der zweite, in dem Weick die Fakten zu Mottas zweifelhafter Aussenpolitik in den 1930er-Jahren Revue passieren liess.
Zwar war Weick in seiner journalistischen Arbeit oft Anfeindungen und Pressionen ausgesetzt, doch er hat gelernt, damit umzugehen. Als Vorteil empfand er die Distanz des Tessiner Fernsehens zur SRG- Zentrale, die mehr Bewegungsfreiheit bot. Der Nachteil war, dass kritische Dokumentationen kaum je synchronisiert und in anderen Landesteilen gesendet wurden. «Ein Austausch der Beiträge ausser beim Sport findet kaum statt», bedauert er den SRG-Föderalismus. Mit Weick tritt im Tessin eine Generation von Journalisten ab, die sich der gesellschaftlichen Aufklärung und der politischen Intervention verpflichtet fühlen. Dies unter Karriereverzicht. «In der Hierarchie aufzusteigen wäre mir gar nicht möglich gewesen, aber ich wollte das ja auch gar nicht», blickt er zurück.
Im Schatten Berlusconis
Mit Weicks Name ist auch ein Stück Tessiner Gewerkschaftsgeschichte verbunden. Er und Renato Soldini waren in den 1970er-Jahren die Gründer des «SSM Informatore», des Periodikums der Tessiner Sektion des Schweizer Syndikats der Medienschaffenden (SSM). «Es war unser Kampfblatt für Freiheit und Programmvielfalt», sagt Weick. Es existiert heute noch. Das grosse Streitthema im Moment ist die Konvergenz von Radio, Fernsehen und Internet. Das SSM wehrt sich gegen die Absicht, dass SRG-JournalistInnen künftig alle Funktionen ausüben sollen. Dabei werde die Eigenart der Medien Radio und Fernsehen übersehen, so die Kritik. Zudem bekämpft das SSM gegen die geplante Auflösung des Tessiner Radio-Orchesters. Dies sei ein Kulturabbau mit unabsehbaren Konsequenzen. Für Renato Soldini erfüllt das Tessin Vorreiterfunktionen: «Wir müssen in der SRG als Versuchskaninchen für die anderen Landesteile herhalten.»
In den letzten beiden Jahren konnte Werner Weick mehrere Filme zum Thema Faschismus drehen. «A cavallo della ramina» erzählt vom Widerstand der Partisanen im Dreieck Lugano-Como-Varese, und «L’ombra del lago» rollt die Massaker am Lago Maggiore kurz vor Endedes Zweiten Weltkriegs auf und geht dem merkwürdigen Tod zweier kommunistischerPartisanen nach. Weick will mit solchen Dokumentationen nicht nur die Sensibilität für das historische Gedächtnis und die Erinnerung an Ideale wecken, sondern auch den Sinn für die Gegenwart schärfen. Die Entwicklung im Berlusconi-Italien zum Beispiel erfüllt ihn mit Sorge. «Niemand scheint zu merken, dass die einstigen Ziele der subversiven P2-Loge bereits erfülltsind», sagt er mit Bezug auf die skandalösen Putschpläne von Rechtskreisen aus den 90er-Jahren. Berlusconi hält er zwar für zu alt, um noch direkt gefährlich werden zu können wie einst Mussolini. «Doch in seinem Schatten macht sich eine andere Form von Faschismus breit, zu dem wie üblich die Verfälschung der Geschichte gehört.»
Unter dem Titel «Storia e Memoria» ist eine DVD mit
vier Dokumentarfilmen von Werner Weick zum Thema
Antifaschismus erhältlich. Bezug via www.rsi.ch/shop,
Stichwort «Società».
Autor: Ralph Hug
Großartig – ein Linker in der Schweiz. Krishnamurti und H. Hesse kongenial behandelt – Klasse.