Verkehrswende? Das 9-Euro-Ticket kann erst der Anfang sein

Der Anfang der VerkehrswendeDie Erfolge des 9-Euro-Tickets sind offenkundig. Zunächst ist allein die schiere Menge an verkauften Karten beeindruckend, auch im Landkreis Konstanz: Laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) wurden bundesweit bis zu 21 Millionen der Tickets verkauft. Würden noch die Abonnenten von Jahres-Karten oder ähnlichem hinzugezählt, stiege die Zahl sogar auf 30 Millionen. Und dies alles für den Juni! Würden politische Angebote am Grade ihrer Verbreitung und Annahme seitens der Bevölkerung bewertet, dann sprechen hier die Zahlen eine klare Sprache.

Zum Erfolg hinzu kommen andere Effekte auf den Verkehr: Weil sich die Menschen Bahnfahren nun leisten können und dies nicht mehr eine exorbitant teurere, unattraktive Alternative zum PKW darstellt, sank in Städten das Verkehrsaufkommen und das Stauniveau signifikant. So können auch jene, die weiter das Automobil benutzen wollen oder müssen, indirekt vom 9 Euro Ticket profitieren. Selbst das Schwarzfahren nahm in einem nicht unerheblichen Maße ab. Weniger Autos im Pendlerverkehr, mehr touristische Fahrten mit der Bahn, mehr innerstädtische Mobilität mit den Öffis: Tatsächlich scheint im 9 Euro Ticket ein schon lange von Umweltverbänden und der Linkspartei angemahnter Schritt in Richtung einer sozial-ökologischen Verkehrswende greifbar, nämlich die Ausgestaltung der Angebote des öffentlichen Nah-, aber auch Fernverkehrs als günstige Alternativen zum motorisierten Individualverkehr. Offensichtlich würden die Menschen also gerne umsteigen, die Politik hat ihnen nur bisher keine Möglichkeit geschaffen. Auch im Konstanzer Gemeinderat fordert vor allem die Linke Liste Konstanz (LLK) im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) schon seit Jahren eine drastische Reduzierung der Buspreise und eine Entflechtung des Tarifdschungels. Bislang ohne Erfolg. Doch nun scheinen auch die Konstanzer Stadtwerke langsam umzudenken …

Die Bürden des Gestern…

Das angebliche Problem, vor allem im Zugverkehr: Volle Züge, Ausfälle, Partypunks auf dem Weg nach Sylt? Nein, es benutzen keineswegs zu viele Menschen Busse und Bahnen, vielmehr haben die Regierungen der letzten Jahre und Jahrzehnte die Infrastruktur und Versorgungsdichte speziell im öffentlichen Raum immer mehr geschliffen.

Die enorme Zahl der stillgelegten Bahnstrecken in Ostdeutschland ist hierfür exemplarisch – und auch im Westen Deutschlands liegen keineswegs mehr Schienen, ihr Abbau zog sich nur länger. Zugleich sind die Preise von Bus und Bahn im Vergleich zum Auto einfach zu hoch: Sobald die Strecke halbwegs lang und zwei oder mehr Personen befördert werden wollen, kann kaum mehr ein reguläres Ticket preislich mithalten. Warum kollektiv genutzte Verkehrsmittel teurer sind als individuelle, ist ein Rätsel dieser späten Moderne.

Dieses Ungleichgewicht wurde durch das 9-Euro-Ticket aufgehoben. Und was passiert? Zulange hat der Auto- und Autobahnfetisch der Verkehrsminister sowie die Profitorientierung der Bahn AG und ihr gemeinsames Credo der Sparsamkeit die Infrastruktur zusammengestrichen, als dass die bestehenden Züge, Schienen und Mitarbeitenden dem Druck des aktuellen Ansturms gerecht werden könnten. Dem Personal ist dies nicht anzulasten, nur müssen sie die Fehler des Managements und der Politik ausbaden. Auch wenn das Tableau der Verantwortlichen dies nicht wahrscheinlich macht: Der öffentlichen Nah- und Fernverkehr muss endlich ins Zentrum der Verkehrspolitik rücken, um die Verkehrswende zu gestalten!

[the_ad id=“87862″]Wenn wir hier also positive Effekte auf das Zukunftsprojekt Verkehrswende erkennen können und damit einhergehend die Chance einer umfassenden Neuausrichtung der Mobilität und Infrastruktur, dann wächst, um Hölderlin zu verqueren, im Rettenden auch die Gefahr. Die Verkehrsverbünde haben schon jetzt Preissprünge angekündigt: Weil mehr Menschen die Öffis benutzen würden, bräuchte es mehr Kapazitäten und damit entstünden mehr Kosten, die dann wieder weitergegeben werden müssten. Ein Teufelskreis: Eine günstige Bahnfahrt ist offenkundig nur möglich, wenn wir auf sie verzichten.

Anstatt dass der Staat langfristige Perspektiven der Verkehrswende öffnet, belässt er die Situation nach den drei Monaten bislang im Offenen und Vagen. Auch wenn die Grünen insgesamt dafür sein werden, haben sie sich doch mit der FDP einen Koalitionspartner erkoren, der allen Verkehrsmitteln, die nicht mit 250 Km/h über die Autobahnen der Republik brettern, skeptisch und als Hemmnis einer Freiheit gegenüberstehen, die einzig im Kopf gewisser Chefredakteure und Lobbyisten existiert.

Und die Chancen für das Morgen

Aber die Landkreise und Kommunen versuchen ihren Teil beizutragen, um dem Keim der Verkehrswende kaum Raum zur Entfaltung zu lassen. Der Landkreis Konstanz kündigte jüngst an, die Kosten der VHB-Tickets um durchschnittlich 4,26 % Anfang des nächsten Jahres zu erhöhen, wobei man fast schon entschuldigend darauf aufmerksam machte, dass die Inflation eigentlich viel höher liege und man sich hier in Zurückhaltung übe. Dieser freundlichen Geste ungeachtet, bedürfte es für diese Rechnung natürlich Lohnsteigerungen, die sich ebenfalls im Rahmen der Inflation bewegten: Es bleibt abzuwarten, wie sich der Arbeitgeber Landkreis in entsprechenden Verhandlungen verhält. Ein guter Wille, der ohne Taten bleibt, ist dem Klimawandel aber letztlich herzlich egal. Es ist zu begrüßen, dass der Kreistag die Zeichen der Zeit im Ansatz erkannt hat und das Interesse der Bürger:innen, bekundet im Nutzungsverhalten des öffentlichen Nahverkehrs in diesen Tagen, in seine Abwägungen politischer Entscheidungen einfließen lässt. Selbstredend wäre ein proaktives Vorgehen und ein offenes Bekenntnis zum vollumfänglichen Sinn und Nutzen des 9-Euro-Tickets noch wünschenswerter. Um noch eine lebenswerte Zukunft zu haben, müssen wir jetzt handeln, auf allen Ebenen.

Um es abzukürzen: Damit die Verkehrswende gelingt, bedarf es einer günstigen, komfortablen und verlässlichen öffentlichen Infrastruktur. Wie mit dem 9-Euro-Ticket klar wurde, wollen die Menschen die Alternativen nutzen, wenn ihnen nur die Möglichkeit geboten wird. Es braucht keine Preiserhöhungen, das 9 Euro Ticket muss verstetigt werden, um letztlich den Weg zu einem gänzlich kostenlosen ÖPNV zu weisen.

In den weisen Worten der Musik:

„It has to start somewhere, it has to start sometime.
What better place than here, what better time than now?“

Text: Tobias Braun
Symbolbild: Nubia Navarro (nubikini) über Pexels