Der Sinn des Obskuren: Verschwörungstheorien als Einfallstor rechter Ideologie
Die Veranstaltungsreihe über die rechten Strukturen im Allgäu und deren Rekrutierungsstrategien wurde mit einem Vortrag zur Thematik der Verschwörungstheorien abgerundet. Deren wachsender Verbreitungsgrad lässt sich nicht zuletzt anhand der Umtriebe der Querdenkenden ablesen. Warum aber glauben Menschen an halbseidene Konstrukte wie die Hohlwelt oder einen Great Reset? Um solche und andere Fragen ging es im dritten Vortrag von „Allgäu rechts außen“ im Rahmen der Infokneipe.
Welche Funktion erfüllen Verschwörungstheorien? Sie einfach als Nonsens und ihre Vertreter als Spinner abzutun ist zwar menschlich verständlich, zugleich wird das Phänomen so aber weder ursächlich begriffen noch rückt es seiner Lösung näher. Eine Annäherung mit dem Ziel des Verstehens darf gleichwohl nicht mit einer naiven Affirmation oder einer Entschuldigung des Verhaltens gleichgesetzt werden. Nur dann, wenn wir verstehen, warum, wann und wie diese ideologischen Konstrukte an Attraktivität gewinnen, können wir versuchen, ihren Einfluss am Anfang zu begrenzen.
Das Wissen im Nebel
Das Problem ist, dass diese Theorien Versuche einer vernünftigen Verständigung zumindest recht schwer machen: Die Rückgriffe auf eine dahinterliegende Wahrheit, auf verdeckte Mächte und Interessen verhindern letztlich jeden Austausch, jeden produktiven Streit. Das Gegenüber wird in den Augen der Inhaberinnen dieser modernen Form des arkanen Wissens entweder zum Objekt der Missionierung oder zum feindlichen Kontrahenten und Kollaborateur der Mainstream-Unterdrückungsregimes. Der objektiven Wahrheit, die sich aus obskuren Quellen des Wissens, vagen und zugleich extremen Beispielen und der Dechiffrierung zerstreuter Symbole speist, kann nur geglaubt werden, Widerspruch führt zum Ausschluss.
Vermutlich haben wir alles schon Streitgespräche mit Corona-Leugnerinnnen geführt, die in der Rüstung ihrer in sozialen Medien gewonnenen Autorität resistent gegenüber kritischen Einwänden geworden sind. Wie also den Zugang zu solchen Menschen finden? Menschen, die solchen Narrativen eine gewisse Zeit ausgesetzt waren, lassen sich weder von wissenschaftlichen Argumenten überzeugen noch vom Aufdecken logischer Widersprüche irritieren. Gerade weil der Grad an Neutralität von Informationen mit der Abseitigkeit ihrer Herkunft korreliert, stehen etablierte Quellen von Nachrichten und Wissen in diesen Debatten nicht zur Verfügung. Das Vertrauen in Kenntnisse und die Glaubhaftigkeit von Informationen zerfällt in unserer Gegenwart in diverse, konkurrierende Räume und Kanäle. Der Streit, was nun eigentlich wahr ist, kann letztlich nicht gewonnen werden.
Ein Halt im Strom der Zeit
Um die Frage zu klären, warum Verschwörungstheorien aufkommen und überhaupt Raum greifen können, muss zunächst ihre komplexitätsreduzierende Funktion in einer immer unüberschaubaren Welt in Betracht gezogen werden. Die Welt der Moderne ist hochkomplex, chaotisch und permanenten Wandlungen unterworfen, was nicht zuletzt durch die digitale Revolution noch eher zunimmt. Die Kommunikationswege haben sich ebenso vermehrt wie die Quellen des Wissens und des Wahren. Die Versorgung mit Nachrichten hat sich im Vergleich zur Welt vor den Smartphones in ihrer Dynamik, Reichweite und Frequenz radikal potenziert: Zu fast allen Teilen der Welt haben wir einen informationellen Draht in Echtzeit, zumindest scheinbar.
Klassische Medien, bis dato Gatekeeper der Informationsschwemme und vertraute Bewerter und Einordner der Nachrichten aus aller Welt, können in dieser mehr und mehr dezentralisierten Ordnung kaum mehr ihrer koordinierenden Funktion nachkommen, auch wenn die neue Unübersichtlichkeit eigentlich danach verlangt. Das Vertrauen in die Medien hat abgenommen, aber zugleich nimmt sich schon der Versuch, in den neuen sozialen Medien eine verlässliche Quelle von Informationen zu finden, als ein kaum zu bewältigendes Unterfangen aus.
Bleiben wir beim Beispiel Corona-Politik: Eine selbst von der Pandemie überraschte Politik musste Maßnahmen begründen, zeitgleich war die wissenschaftliche Analyse und Bewertung noch im vollen Gange. Die Medien waren hin und her gerissen zwischen der Erklärung und der Kritik an den politischen Entscheidungen. Die Maßnahmen der Politik und Verwaltung waren dann selbst ohne rechte Konsistenz und trafen auf eine schon reichlich verunsicherte Bevölkerung. Eine transparente, auf lange Zeit angelegte und zugleich verlässliche Krisenkommunikation fand schlicht nicht statt.
Ordnung ins Chaos
Genau in diesem Moment konnten Verschwörungstheorien an Einfluss gewinnen: Pharmakonzerne jazzen die Gefahr hoch, um mehr Geld mit dem Verkauf ihrer Produkte zu verdienen; die Politik will selbst ihre Herrschaft zementieren, die Bevölkerung disziplinieren; die Medien verdienen an der Verbreitung von Propaganda mit usw. Diese Verschwörungsideen gab es zuhauf und in diversesten Ausprägungen. Ihnen gemeinsam ist, dass sie hinter den Irrungen und Wirrungen der Corona-Politik einen Sinn suchten und diesen in bisweilen obskuren Konstrukten hintergründiger Pläne fanden. Allein die Idee der verimpften Überwachungschips mutet in Zeiten allgemein verbreiteter Smartphones recht albern an. Und wenn wir annehmen, die Chips wären so klein, dass sie verimpft werden könnten, dann gäbe es doch weit einfachere Wege der Massenunterjochung.
Letztlich dienen die Verschwörungstheorien dazu, Ordnung ins Chaos zu bringen und Sinn zu konstruieren. Gerade rechte Akteure versuchen, solche Ängste aufzufangen und in Angebote ihrer eigenen Ideologie zu überführen. Dabei gehen sie langsam vor und ziehen die Menschen Stück für Stück in ihren Bannkreis. Ohne mit der globalen Verschwörung der Rothschilds ins Haus zu fallen, werden zunächst „Eliten“ als Schuldige ausgemacht, die im Hintergrund die Fäden ziehen und die nur ihren eigenen Gewinn im Auge haben. Die spätere Verknüpfung mit antisemitischen Stereotypen ist somit bereits angelegt.
Auch die Annahme einer durch und durch korrupten politischen Elite hat im Angesicht unter anderem der Maskenaffären der Union konkrete Anknüpfungspunkte. Aus der Irritation über diese Vorgänge und gepaart mit dem Ausbleiben jeglicher Konsequenzen in politischen und juristischen Kontexten folgen wiederum individuelle Erfahrungen des Unverständnisses, der Ohnmacht und des Misstrauens, an dem rechte Ideologien andocken können. Die Intransparenz und die Suche nach einem Sinn im Geschehen lassen dann Verschwörungstheorien immer akzeptabler erscheinen.
Der Un-Sinn
Der zentrale Punkt ist der fehlende Sinn der Welt. So verstanden sind Verschwörungstheorien ein Symptom mangelnder Transparenz der Politik und der schlechten Arbeit von Medien und Wissenschaft. Die Menschen sind in einer Welt, deren Unbill sie nicht verstehen können: Und ihre Suche nach Antworten wird von rechten Kräften ausgenutzt. Natürlich entschuldigt dies in keiner Weise den Unsinn der Theorien, aber es liegt so nahe, warum die zu späten Erklärungen seitens der Medien und Politik auf keinen fruchtbaren Boden treffen. Um noch mal auf die Corona-Maßnahmen zu kommen: Gerade dann, wenn die Menschen es nicht verstehen, warum sie eine Maske tragen sollten, kann aus dem simplen Schutz des eigenen Lebens und jenes anderer Menschen ein Zwang werden, gegen den sich Widerstand lohnt.
Das Versprechen einer neuen Gewissheit wird aber erkauft mit allzu altbackenen Zerrbildern, die ihre ideologische Herkunft kaum mehr verbergen können. Die Suche nach Schuldigen und dem Einfluss sinistrer Eliten ist in unruhigen Zeiten leider ebenso verbreitet wie wirkmächtig. In den sozialen Krisen der Gegenwart wird das weitgehende Fehlen einer tragfähigen politischen Kommunikation nur umso folgenreicher.
Text: Tobias Braun, Bild von Susanne Mumm auf Pixabay