Die Jahrestage dreier Angriffskriege
Beim aktuellen Thema Krieg in der Ukraine wird es trotz unterschiedlicher Einschätzung zum weiteren Verlauf Einigkeit darüber geben, dass Putins Überfall der Ukraine durch rein gar nichts zu rechtfertigen ist und er dafür auch zur Verantwortung gezogen werden muss. In diesen Tagen jähren sich aber auch drei völkerrechtswidrige Überfälle westlicher Mächte auf fremde Staaten, die zahllose Opfer forderten – auch durch Kriegsverbrechen –, aber bis heute straflos bleiben. Dazu ein Rückblick.
Die ersten Bombardierungswellen dreier völkerrechtswidriger Angriffskriege, die für die Täter keinerlei Konsequenzen hatten, jähren sich in dieser Woche. Vor ziemlich genau 20 Jahren starteten US-Truppen die Invasion in den Irak, an der sich britische, australische und polnische Einheiten beteiligten. Sie wurde mit offenen Lügen legitimiert und diente genauso machtstrategischen Zielen wie der Überfall auf Libyen, den französische Kampfjets gestern vor zwölf Jahren einleiteten – erst unter Berufung auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, die allerdings umgehend gebrochen und illegal zum Sturz der libyschen Regierung missbraucht wurde.
Vor rund 24 Jahren überfielen NATO-Truppen, darunter deutsche, ebenfalls völkerrechtswidrig Jugoslawien, um dessen südliche Provinz Kosovo abzuspalten. Außenministerin Annalena Baerbock fordert unter großem medialen Beifall, das Führen von Angriffskriegen dürfe nicht „straflos bleiben“, will dies freilich – ebenso wie die deutschen Leitmedien – nicht auf westliche Kriege bezogen wissen. Dasselbe gilt für schwerste Kriegsverbrechen, die westliche Soldaten begangen haben. Bestraft werden lediglich Whistleblower, die sie aufzudecken halfen.
Kriegsziel: Umsturz-Domino
Der US-geführte Überfall auf den Irak begann vor genau 20 Jahren mit ersten Luftangriffen in der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 und mit der unmittelbar folgenden Invasion von Bodentruppen. Beteiligt waren neben den US-Streitkräften Einheiten aus Großbritannien, Australien und Polen. Der Überfall erfolgte ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates und damit unter Bruch des Völkerrechts. Die offiziell vorgebrachte Begründung, Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, war frei erfunden. In Wirklichkeit ging es darum, eine dem Westen missliebige Regierung durch eine prowestliche zu ersetzen. In der Regierung von Präsident George W. Bush war damals außerdem von einem „demokratischen Dominoeffekt“ die Rede, wonach auf einen Sturz der Regierung im Irak derjenige weiterer Regierungen im Nahen und Mittleren Osten folgen werde, insbesondere in Syrien und Iran. Eine „erste arabische Demokratie“ im Irak werde „einen sehr großen Schatten in der arabischen Welt werfen“, erklärte damals der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz. [1] Auch Rohstoffinteressen spielten eine zentrale Rolle. Der damalige polnische Außenminister Włodzimierz Cimoszewicz etwa bekräftigte Anfang Juli 2003, Warschau habe „nie unseren Wunsch“ nach „Zugang zu Rohstoffquellen für polnische Ölfirmen verborgen“; dieser sei „unser letztes Ziel“. [2]
Hunderttausende zivile Todesopfer
Die menschlichen Kosten des Irak-Kriegs haben mehrfach Wissenschaftler vom Costs of War Project des Watson Institute for International and Public Affairs an der Brown University in Providence (US-Bundesstaat Rhode Island) zu beziffern versucht; die Brown University zählt zu den acht berühmten Ivy League-Universitäten in den Vereinigten Staaten. Seine jüngste Untersuchung hat das Costs of War Project kurz vor dem heutigen Jahrestag der US-Invasion vorgelegt. Demnach sind allein während der ersten großen Angriffswelle vom 19. März bis zum 19. April 2003 nachweislich mindestens 7.043 Zivilisten zu Tode gekommen, ein Drittel von ihnen durch Luftangriffe der US-Kriegskoalition. [3] Die Kämpfe haben allerdings nie wirklich aufgehört und sind nicht zuletzt in den westlichen Krieg gegen den IS gemündet; die Terrormiliz entstand faktisch aus den zerfallenden sozialen Strukturen des kriegszerstörten Iraks. Insgesamt beziffert das Costs of War Project die Zahl der Todesopfer, die bis zum März 2023 im Irak und in den zeitweise IS-kontrollierten Gebieten Syriens zu verzeichnen waren, auf 549.587 bis 584.006, darunter bis zu 348.985 Zivilisten. Der Bericht weist darauf hin, dass es sich dabei nur um die nachgewiesenen unmittelbaren Todesopfer handelt. Die Anzahl der indirekten Todesopfer – durch Kriegsfolgen wie Krankheit, Unterernährung etc. – sei wohl drei- bis viermal so hoch.
Kriegsziel: Einfluss ausweiten
Ebenfalls vor rund zwölf Jahren begann der Krieg des Westens gegen Libyen, der mit Angriffen der französischen Luftwaffe startete und schon bald zum NATO-Krieg ausgeweitet wurde. Zu der offiziellen Kriegsbegründung, man habe ein Massaker der libyschen Streitkräfte an Zivilisten verhindern wollen, erklärten renommierte Experten später vor einem britischen Parlamentsausschuss, ein solches Szenario sei überaus unwahrscheinlich gewesen. In der Tat bestätigten französische Geheimdienstoffiziere dem Ausschuss, die tatsächlichen Ziele der französischen Regierung seien gewesen, „Frankreichs Einfluss in Nordafrika zu vergrößern“, stärkeren Zugriff auf die libysche Erdölförderung zu bekommen sowie die Schlagkraft der französischen Streitkräfte zu demonstrieren (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Ein UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung wurde zum Sturz der Regierung missbraucht, also gebrochen. Die Zahl der zivilen Todesopfer des Krieges allein im Jahr 2011 wurde von der britischen Organisation Airwars mit mindestens 1.142, womöglich sogar bis zu 3.400 angegeben. [5] Der Krieg hat Libyen nicht nur materiell, sondern auch gesellschaftlich weitestgehend zerstört; immer wieder sind Kämpfe zwischen unterschiedlichen Milizen zum Bürgerkrieg eskaliert. Zwölf Jahre nach dem NATO-Krieg liegt das Land immer noch am Boden.
„Pro-Kreml-Desinformationsnarrativ“
Vor 24 Jahren wiederum überfiel die NATO Jugoslawien – gleichfalls ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats und damit unter Bruch des Völkerrechts. Begründet wurde der Angriffskrieg mit der Behauptung, im Kosovo drohe eine sogenannte ethnische Säuberung. Interne Berichte widerlegen dies; so hieß es etwa am 19. März 1999 in einem Dokument der OSZE, die Lage „über die ganze Region hinweg“ sei „angespannt, aber ruhig“, während Fachleute im Bonner Verteidigungsministerium noch am 22. März konstatierten, Tendenzen zu „ethnischen Säuberungen“ seien „weiterhin nicht erkennbar“. [6] Dem Überfall auf Jugoslawien kommt insofern besondere Bedeutung zu, als er der erste völkerrechtswidrige Angriffskrieg seit den Umbrüchen der Jahre von 1989 bis 1991 war und damit einen Präzedenzfall für spätere Angriffskriege wie diejenigen gegen den Irak oder gegen Libyen schuf. Die Zahl der zivilen Todesopfer wird etwa vom Wilson Center auf rund 2.000 geschätzt.[7] Dabei muss sich die renommierte Washingtoner Einrichtung heute von einer EU-Stelle („EuvsDisinfo“), die angebliche Propaganda widerlegen soll, vorwerfen lassen, dies sei ein „Pro-Kreml-Desinformationsnarrativ“. [8] Zu den Zielen, die die NATO damals bombardierte, gehörten unter anderem die Botschaft der Volksrepublik China in Jugoslawien sowie das Hauptgebäude des staatlichen Fernsehsenders RTS.
Wer Angriffskriege führen darf
Die Staats- und Regierungschefs, die die völkerrechtswidrigen Angriffskriege befohlen haben, sind dafür nie zur Verantwortung gezogen worden. Das gilt für US-Präsident George W. Bush, den britischen Premierminister Tony Blair und den polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski (Irak-Krieg 2003) genauso wie für den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy (Libyen-Krieg 2011) bzw. Kanzler Gerhard Schröder und Vizekanzler Joseph Fischer (Jugoslawien-Krieg 1999). „Niemand darf im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und dabei straflos bleiben“, erklärte Mitte Januar Außenministerin Annalena Baerbock. [9] Baerbock bezog das allerdings nicht auf Kriegsverantwortliche aus den westlichen Staaten, sondern einzig und allein auf die Regierung Russlands, mit dem der Westen einen Machtkampf austrägt.
Wer bestraft wird und wer nicht
Auch die Kriegsverbrechen, die die westlichen Militärs begangen haben – unter anderem auch im Afghanistan-Krieg –, sind so gut wie nie geahndet worden. Das gilt für ein Massaker an über 100 Zivilisten bei Kunduz, das von einem deutschen Offizier befohlen wurde [10], ebenso wie für einen Initiationsritus einer berüchtigten australischen Spezialeinheit, der darin bestand, mindestens einen afghanischen Zivilisten zu ermorden [11], sowie für Dutzende Morde britischer Militärs an wehrlosen Gefangenen am Hindukusch [12]. Verfolgt werden stattdessen Journalisten und Whistleblower, die die Kriegsverbrechen öffentlich machen. Das gilt etwa für den australischen Militäranwalt David McBride, der vor Gericht steht, weil er geholfen hat, australische Kriegsverbrechen öffentlich bekannt zu machen [13], sowie für den Journalisten, der im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh auf die Auslieferung in die USA wartet, da er US-Kriegsverbrechen im Irak dokumentierte: Julian Assange.
[1] Paul Reynolds: The ‘democratic domino‘ theory. news.bbc.co.uk 10.04.2003.
[2] Poland seeks Iraqi oil stake. news.bbc.co.uk 03.07.2003.
[3] Neta C. Crawford: Blood and Treasure: United States Budgetary Costs and Human Costs of 20 Years of War in Iraq and Syria, 2003-2023. Providence, 15 March 2023.
[4] House of Commons, Foreign Affairs Committee: Libya: Examination of intervention and collapse and the UK’s future policy options. Third Report of Session 2016-17. London, September 2016. S. dazu Deutschlands Kriegsbilanz (III).
[5] Oliver Imhof: Ten years after the Libyan revolution, victims wait for justice. airwars.org 18.03.2021.
[6] Zitiert nach: Heinz Loquai: Krieg – ein wahnsinniges Verbrechen. In: Forum FriedensEthik in der Evangelischen Landeskirche in Baden. Rundbrief 2/2010. April 2010. S. 4-11. S. dazu Dammbrüche.
[7] Aleksa Djilas: Bombing to Bring Peace. wilsoncenter.org.
[8] Disinfo: About two thousand civilians were killed in NATO’s bombing of Yugoslavia. euvsdisinfo.eu.
[9] Hans Monath: „Niemand darf Krieg führen und straflos bleiben“. tagesspiegel.de 16.01.2023.
[10] S. dazu Die Bomben von Kunduz.
[11] S. dazu Die Ära der Straflosigkeit.
[12] S. dazu Der Club der Kriegsverbrecher.
[13] Christopher Knaus: David McBride will face prosecution after blowing whistle on alleged war crimes in Afghanistan. theguardian.com 27.10.2022.
Text: Dieser Beitrag erschien zuerst auf: www.german-foreign-policy.com
Symbolbild: Pixabay
danke Doris für die Links, ich kann sie allen Lesern hier nur empfehlen. Ganz egal, ob man völlig uneingeschränkt zustimmt, man sollte es sich wirklich anschauen und sich die Zeit nehmen. Ich bin sehr froh, dass hier eine in weiten Teilen gute Diskussion in Gang kam, abgesehen von einigen persönlichen Streitereien, die auch nicht viel zum Diskurs beigetragen haben. Danke für deinen Beitrag und auch an alle hier, die sich bemühen sich ernsthaft auseinander zu setzten. Wir müssen hier nicht alle einer Meinung sein, wir sollten uns trotzdem mit Respekt begegnen. Diesen Respekt empfinde ich auch für Lieselotte Schiesser, danke auch Ihnen.
Tja, „wenn der Feind bekannt ist, hat der Tag Struktur“ (Volker Pispers). Da muss ich wohl mit meiner Therpeutin noch an meinem Weltbild arbeiten…
Wir sind die Guten???
Diese Beiträge sind immer wieder sehenswert. Die Lügen sind leider schon wieder vergessen. Wahrhaben will man auch nicht die Grausamkeiten die die „wertebasierten“ Kriege des Westen in der arabischen Welt hinterlassen haben.
Es begann mit einer Lüge – 2001 – Jugoslawien – Deutschlands Weg in den Kosovo Krieg – by ARTBLOOD
Wie die NATO im Krieg um Kosovo Tatsachen verfälschte und Fakten erfand. Monitor-Autoren enthüllen Fälschungen in der Berichterstattung zum Kosovo-Krieg.
“Es begann mit einer Lüge”, ein Film von Jo Angerer und Mathias Werth für den WDR. Ausgestrahlt in der ARD am 8. Februar 2001.
https://www.dailymotion.com/video/x29w01f
Kosovokrieg: Die Lügen der NATO (1999) ARD
https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/video-kosovokrieg-die-luegen-der-nato–100.html
Was von Kriegen übrig bleibt tag7 Video ARD Mediathek
https://www.youtube.com/watch?v=0vYMlxj9qa8
Tja, Herr Maier, das erscheint mir dann doch eine eher wirre Gedankenwelt, die Sie in Ihrem neuesten Kommentar vortragen. Haben Sie jemand, mit dem Sie im Vorfeld sprechen können um kanalisierend einzugreifen?
to whom it may concern…
Für mich macht es keinen Unterschied ob wir von Bündnisfällen, sog. legitimem Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet zur Selbstverteidigung, Bürgerkriegen oder humanitären Einsätzen reden. Selbst die Blauhelmeinsätze sind angesichts ausufernder Prostitution und tausender Vergewaltigungen durch UN Soldaten mehr als fragwürdig. Krieg ist Krieg alles andere 1984. ich bin kein Völkerrechtler aber in meinem kleinen Kosmos gibt es eine Wahrheit die man jedem Kind so früh wie möglich kund tun sollte – der Staat der seinem Namen gerecht wird, hat keine Freunde, nur Interessen…
Libyen, Venezuela, Syrien, Irak, Afghanistan und auch die Ukraine sind reich an Rohstoffen oder in irgendeiner Form geopolitisch interessant. Ruanda und der Jemen sind es nicht. Unsere Kinder werden Woche für Woche mit dem schlimmen Krieg in der Ukraine konfrontiert. Für den Jemen interessiert sich in Konstanz offensichtlich keine Schule, keine Körperschaft, keine Sau. Dabei liefern wir fleißig Panzer an den Aggressor und Computerbauteile werden sogar in Konstanz gefertigt.Es gäbe also durchaus einen lokalen Anlaß und Adressaten.
Auch Ruanda wird sich jederzeit wiederholen sofern es ein Land trifft das für uns nicht von Bedeutung ist. Und dann wird es auch wieder keine Demonstrationen in Konstanz geben und es wird viele Ausreden geben warum man sich nicht engagiert.
Der Kongo ist eine lupenreine Kleptokratie, aber wir kommen billig an die begehrten Rohstoffe. Die Regierungen dort machen natürlich auch nicht so Faxen wie Saddam und Muammar.
Die Westsahara ist seit Jahrzehnten von Marokko besetzt, aber die wenigsten wissen das überhaupt. Man kann ja so schön Ferien machen bei den freundlichen Marokanern und es ist noch so günstig und das Essen so lecker.
Moral wird gebraucht für die Heimatfront um nichts anderes geht es in dem Spiel das sich Generation für Generation wiederholt. Aber das ist natürlich nur ein schlechtes Narativ und keine Aussage die je ein Historiker, Soziologe oder Politikwissenschaftler so stehen lassen könnte. Mich widert diese Doppelmoral an, dafür muss ich mich hier wohl entschuldigen.
Die USA hatte den Afghanistankrieg als Antiterroreinsatz begonnen, das ist richtig. Hier in Deutschland wurde jahrelang das Wort Krieg vermieden und der Einsatz unserer Truppen hauptsächlich in der Öffentlichkeit als humanitärer Einsatz propagiert. Dass dort ein Genozid stattgefunden hatte, habe ich nicht behauptet. Tatsache ist, dass die deutschen Truppen überstürzt abgezogen wurden, ohne dass heimische Helfer, Unterstützer und Angestellte in nennenswerter Zahl evakuiert wurden. Mitarbeitern von „Subunternehmen“, die nicht direkt beim deutschen Staat angestellt waren, wurde die Hilfe verweigert. Das sind Verbrechen durch unterlassener Hilfeleistung.
Der Terror war von den USA aus teils hausgemacht. Erst durch die Unterstützung dieser Gruppen durch die USA, Bin Laden allen voran, während des Kalten Krieges, konnten sie diese Macht und Stärke entfalten. Der afghanische Staat war, sehr richtig, nicht der eigentliche Kriegsgegner. Die Entscheidung sich diesem Krieg anzuschließen, konnte ich damals nur ablehnen, in der Nachschau erst recht. Er war Unrecht.
@Christina Herbert-Fischer: Die Aussage, die nach dem 2. WK in Deutschland richtungweisend war, hiess nicht „nie wieder Kriegseinsätze“, die Doktrin war und ist: „Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“. Letzteres unterstütze ich vollständig: Deutschland soll nie wieder einen Krieg beginnen. Bisher hat es sich daran gehalten. Es hat keinen begonnen – es hat sich aber an welchen beteiligt, die andere begonnen hatten/haben. Und man hat nie ausgeschlossen, sich an Verteidigungseinsätzen z.B. im Rahmen der Nato zu beteiligen oder sich selbst zu verteidigen, würde man angegriffen.
Die Meinung zum Afghanistankrieg teilen wir vollständig. Aber dieser wurde auch ganz offiziell nie als Krieg für Menschenrechte deklariert, sondern als „war on terror“ – der Nato-Einsatz wurde ausgerufen, weil die Anschläge von 9/11 als Angriff auf die USA betrachtet wurden, was den bisher einzigen Nato-Einsatz auf Grund von Art. 5 des Nato-Vertrags (Beistandspflicht nach Angriff auf ein Mitglied) auslöste. Und Ja, die USA hatten a) in Afghanistan nichts zu suchen (nicht Afghanistan hatte schliesslich die Attentate verübt) und b) schätzten zudem ihre Erfolgsaussichten völlig falsch ein. Es war von Vornherein (für jede/jeden halbwegs klar Denkenden) absehbar, dass der Einsatz quasi unendlich sein würde und niemand wissen würde, wie man da halbwegs anständig wieder raus käme. Aber es gibt bisher keine Beweise oder Hinweise auf geplanten Genozid in Afghanistan. Es wird, wie in jedem Krieg, einzelne Kriegsverbrechen gegeben haben, aber es gab keine (zumindest keine bisher nachgewiesenen) Befehle, die Zivilbevölkerung anzugreifen oder/und die zivile Infrastruktur zu zerstören, um das Land zur Aufgabe zu zwingen. Was auch sinnlos gewesen wäre, da ja nicht das Land der Gegner war.
Natürlich ist es stossend, wenn die USA dem Internationalen Gerichtshof drohen, wenn dieser gegen einzelne US-Militärangehörige wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen ermitteln will. Aber das ändert ja alles nichts daran, dass das, was heute in der Ukraine geschieht, trotzdem Kriegsverbrechen sind. Wobei – man sollte sich da keinen Illusionen hingeben – die dortigen Verbrechen letztlich genauso wenig geahndet werden, wie jene im Irak. Denn darin sind sich ja Russland und die USA einig: Sie erkennen den Intern. Strafgerichtshof nicht an.
Herr Maier, ich verstehe nicht wirklich, warum Sie mich mit Ihrer Botschaft direkt ansprechen und was Sie mir mitteilen wollen. Ich kann mich nur wiederholen, auch in Frau Schiessers neuestem Kommentar sind aus meiner Sicht die historischen Fakten korrekt wiedergegeben und ihre persönlichen Einschätzungen halte für vernünftig und nachvollziehbar. Darüber hinaus spiegeln diese auch frühere Betrachtungen namhafter Historiker und Experten, wie z.B. Michael Wolffsohn, Peter Scholl-Latour etc. wider.
Zwei Dinge sollte man nicht durcheinander werfen. Die Unterstützung zur legitimen Selbstverteidigung eines von einem autokratischen Staat verbrecherisch überfallenen Landes, militärische Interventionen in Bürgerkriegsgebiete und den verbrecherischen Angriff auf den Irak. Und ich bleibe dabei, Deutschland hat zumindest mit der Infrastruktur bei letzterem unterstützt und auch, wenn es sich nicht aktiv beteiligt hat, durch Passivität beigetragen. „Nie wieder Kriegseinsätze“ Konsens nach dem 2. Weltkrieg, wurde von der ersten Rot-Grünen Regierung über Bord gekippt. Bis heute fehlt jede politische Aufarbeitung.
Richtig ist, dass auch der Afghanistaneinsatz den Menschen nicht wirklich geholfen hat. Nach zwanzig Jahren wurde das Land überstürzt verlassen und die Menschen dort ihrem Schicksal überlassen. Die Helfer unserer Einsatztruppen wurden allergrößten Teils ihrem Schicksal und teils dem sicheren Tod überlassen. Wobei man sehr gut sehen kann, wie viel den westlichen Regierungen wirklich an dem Leben der Menschen dort gelegen ist. Nie werde ich die dramatischen Bilder am Flughafen vergessen, sie haben sich eingebrannt. Wir hatten dort als Deutsche nie etwas zu suchen und letztlich humanitär versagt. Die Soldaten die dort gefallen sind, hatte ihr Leben nicht für eine bessere Welt verloren, sondern letztlich sinnlos. Wie furchtbar muss das sein für die Soldaten, die dort ihr Leben riskiert hatten und die Angehörige der Gefallenen. Wie furchtbar für die afghanischen Opfer. Russland hatte nach zehn Jahren der Besatzung aufgegeben, wie konnte man glauben, dass es der westlichen Welt mit einer Besatzung in diesem Land besser gelingen könnte? Dieser sogenannte humanitäre Einsatz war von Anfang eines, eine große Lüge. Es ging nicht um Menschenrechte oder Frauenrechte, es ging hauptsächlich darum die USA bei der Terrorbekämpfung auf fremden Territorium zu unterstützen und dies zu legitimieren.
@Loeselotte Schiesser & Thomas Martin.
Ich vergaß zu erwähnen, der Einsatz von DU Munition (depleted uranium) durch NATO Truppen auf dem Balkan und im Irak war natürlich auch vollkommen Völkerrechts konform und ist für die Bevölkerung vor Ort bis heute auch völlig gefahrlos. Die Behauptungen, dass dies zu bis heute erhöhten Krebs- und Missbildungsraten geführt habe ist krude und kommt wahrscheinlich von den gleichen Schwurblern die die aktuelle und anhaltende Übersterblichkeit in Europa dem erlösenden Piks zuschreiben.
@Michael Meier: Vorbemerkung: Ich verstehe einen ironischen Tonfall durchaus, aber ich verseteh nicht, was er hier soll. Wie ich schon schrieb: Man hätte sich in all diesen Konflikten auch zurücklehnen, zuschauen und nachher Krokodilstränen vergiessen können. Die Jugoslawienkriege hatten weder die USA noch Deutschland oder die Nato begonnen. Sie begannen als Auseinandersetzungen zwischen den im Staat Jugoslawien „zwangsvereinigten“ Ethnien, deren Konflikte wieder aufbrachen. Glauben Sie ernsthaft, die Lage auf dem Westbalkan wäre heute besser, wenn es die IFOR, SFOR, KFOR nie gegeben hätte? Ich melde mal meine Zweifel an. Einerseits wollte damals – gerade in Deutschland – niemand eine Kriegsbeteiligung auf dem Balkan – der geschichtliche Bezug war sehr klar. Andererseits eskalierte die Lage dramatisch und das Morden und die ethnischen Säuberungen nahmen icht nur kein Ende – sie wurden schlimmer. Man kann nun natürlich sagen, man hätte das alles laufen lassen sollen, irgendwann hätten die Kriege allein schon aus Erschöpfung der Kämpfenden geendet. Und wir stehen daneben, schauen zu und warten bis genügend Menschen gestorben sind? Ähnliches lässt sich über Libyen sagen – wobei Deutschland an den dortigen Nato-Einsätzen nicht beteiligt war. Und beide Interventionen waren von der UNO legitimiert. Der Bürgerkrieg in Libyen tobte zuvor und hat danach nicht geendet. Weder hat ihn die Nato verursacht, noch beendet.
Auf dem Westbalkan sieht es für mich nun nicht so aus, als ob es heute – nach der damaligen Intervention (die unstrittig nicht nur positiv verlief) – schlechter wäre, als wenn es keine Interventionen gegeben hätte. Als Vergleich kann vielleicht Albanien dienen – gleich nebenan gelegen, das auch nicht konfliktfrei aus seiner Variante des Autokraten-Staates herauskam – aber ohne Nato-Intervention. Staatlich und wirtschaftlich geht es Albanien nicht besser als dem grössten Teil des vormaligen Jugoslawiens. Und das, obwohl es dort nicht Mord und Totschlag zwischen den einzelnen regionalen Gruppen gab.
Libyen ist weiterhin ein failed state – wobei mir die Fantasie fehlt, wie die Nato daran schuld sein sollte.
Selbstverständlich sollte z.B. Bush jun. für den Irak-Krieg zur Verantwortung gezogen werden und wird es nicht. Das ändert doch aber nichts daran, dass derzeit Putin ein Kriegsverbrecher ist. Unrecht wird doch nicht dadurch zu Recht, dass auch ein anderer (ungeahndet) Unrecht begeht.
Frau Schiesser, ich stimme Ihnen mit Ihrem Kommentar uneingeschränkt zu. Was Sie schildern ist historisch wohl korrekt.
Deutschland hat den USA sehr wohl erlaubt Luftwaffenstützpunkte auf ihrem Grund und Boden für den Irakkrieg zu nutzen. Es gab keinerlei Widerspruch. Aktiv hat es sich nicht beteiligt, das ist richtig. Der Korsovoeinsatz jedoch war mehr als fragwürdig. Was bis heute nie in der Öffentlichkeit Thema war, war die Vertreibung und Ermordung von Roma im Korsovo und zwar nicht von den Serben. Die Engländer hatten zugeschaut und nichts getan, die Deutschen hatten das einfach tot geschwiegen. Unter diesem Aspekt erscheint mir dieser Einsatz mehr als fragwürdig. Verbrechen, die zu diesem Zeitpunkt nicht stattgefunden hatten zu verhindern bei gleichzeitigem Wegsehen von Verbrechen, die tatsächlich passierten, das ist wahrhaftig eine moralische Rechtfertigung. Hier fehlt jede Aufarbeitung. Gut, die Roma haben keine Lobby, das braucht es wohl um wahrgenommen zu werden. Das was dort passiert war, war keinesfalls rein schwarz und weiß.
@Liselotte Schiesser
Sie haben vergessen die Konzentrationslager zu erwähnen auf die Scharping uns aufmerksam machte. Außerdem können wir heute alle sehen wie der gesamte Balkan durch unseren Einsatz befriedet und demokratisiert wurde. Zudem prosperieren die Volkswirtschaften ungemein und die Korruption wurde durch Milliarden der EU erfolgreich zurück gedrängt. Für den Frieden garantieren natürlich auch die USA mit ihrer größten exteritorialen Airbase im Kosovo. Wären da nicht wieder die bösen Serben die einfach keinen Frieden wollen. Wahrscheinlich müssen wir nochmal unsere Flugzeuge schicken, da könnte man gleich die F35 testen.
In Lybien sehen wir natürlich nach dieser unsäglichen Diktatur auch blühende Landschaften. Endlich erstrahlt Tripolis in seiner vollen Pracht und auch die Kinder lernen endlich lesen und schreiben und bekommen eine ordentliche Gesundheitsversorgung. Endlich hat dieses schöne erwürdige Land eine demokratische und wirtschaftliche Perspektive und politisch stabile Verhältnisse. Unter Gaddafi wäre dieses Land immer noch im Mittelalter.
Es ist einfach beruhigend zu wissen, dass wir immer moralisch auf der richtigen Seite stehen und stehen werden. Deswegen stehen zurecht auch immer nur Despoten wie Putin und Milosevic vor dem Internationalen Strafgerichtshof und nie Franzosen, Briten oder US Bürger, das hat eben alles seine Richtigkeit. Daher wurde für die UCK Führer eben auch das Kosovo Specialist Chambers and Specialist Prosecuters Office eingerichtet. The Winner takes it all…
@Christina Herbert-Fischer: Deutschland hat sich eben gerade nictham Irak-Krieg beteiligt und hat auch keine Lufteinsätze über Libyen geflogen. Und weder haben Nato-Truppen Libyen noch Serbien oder sonst einen Balkanstaat „überfallen“. Es gab für beide Einsätze UN-Mandate. Und was den Einsatz gegen Serbien bzw. für Kosovo angeht: Man hätte sich natürlich auch zurücklehnen können und einem neuen Srebenica-Massaker zuschauen, aber darüber nachher Krokodilstränen vergiessen können. Weder in Libyen noch auf dem Balkan haben Dritte die Kriege begonnen – es waren in beidne Fällen einheimische Gruppierungen, die aufeinander losgingen. Der einzige Bruch des Völkerrechts (im Rahmen der obigen Aufzählung) war der Irak-Krieg, den die USA mit Lügen in Gang setzten.
Danke für diesen Artikel und ja, ich würde mir wünschen, dass die Verantwortlichen endlich zur Rechenschaft gezogen werden, auf deutscher Seite wären dies in erster Linie Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Mein Entsetzten darüber, dass unter Rot-Grün Deutschland sich an diesen Kriegshandlungen beteiligt hatten, war damals groß und bis heute warte ich auf eine Aufarbeitung, sicher nicht als Einzige. Ich möchte daran erinnern, dass die Regierung Schröder damals zwar die Entsendung von deutschen Truppen in den Irak verweigerte, wahr ist auch, dass die Militärflughäfen auf deutschem Boden für diesen Angriff mit Billigung der Regierung dafür genutzt wurden. Mir hatte es damals den Magen umgedreht, dass diese Regierung in der Öffentlichkeit für ihre Zurückhaltung gelobt wurde, wobei sie doch durch Infrastrukturhilfe diesen Angriffskrieg erheblich unterstützte.