Die Quadratur des Kreises – Ein tiefes Loch im Konstanzer Haushalt
Die Mitgliederversammlung der Konstanzer Freien Grünen Liste (FGL) befasste sich, neben dem üblichen organisatorischen Dingen kommunaler Politik und Gremienarbeit, mit der betrüblichen Finanz- und Haushaltslage der Stadt Konstanz. Um über dieses Thema zu informieren, war der Kämmerer der Stadt, Ulrich Schwarz, zu Gast. Den Gemeinderät:innen selbst ging es vor allem darum, von den Mitgliedern zu erfahren, welche Schwerpunkte sie in ihrer zukünftigen Arbeit in Zeiten finanzieller Engpässe setzen sollten.
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Der Konstanzer Haushalt weist ein strukturelles Defizit von jährlich ungefähr 15 Millionen Euro auf. Die Stadt gibt also entschieden mehr Geld aus, als sie einnimmt, und wird dies auch, so die Aussage der Verwaltung, bis ins Jahr 2029 weiterhin wohl tun.(müssen). Da mittlerweile die finanziellen Reserven aufgebraucht sind, muss der Konstanzer Haushalt selbst seine Kosten mit zusätzlichen Einnahmen decken. Die Aufnahme von Krediten ist zwar möglich, kostet aber zusätzliches Geld. Zu erwähnen ist noch, dass die Prognose der Verwaltung weder die Maßnahmen zum Klimaschutz noch die derzeitige Kostenexplosionen eingepreist hat. Die Konsolidierung der Finanzen könnte durch die multiplen Krisen also vor weit größeren Herausforderungen stehen, als bislang abzusehen.
Das unschöne Wort vom strukturellen Defizit
Die klamme Lage der Stadt ist kein Ereignis, sondern eine Struktur: So kam es zu einem Brief aus dem Regierungspräsidium, das die Stadt am See gemahnte, etwas an dem Defizit zu ändern, wäre ansonsten doch irgendwann die Genehmigungsfähigkeit gefährdet. Die Möglichkeiten lassen sich in zwei Bereiche trennen: Einsparungen und die Generierung von Mehreinnahmen. Wo lässt sich sparen? Die Trennung von Pflichtaufgaben und freiwilligen Aufgaben vor Augen, stehen naturgemäß die zweiteren im Fokus: Diese Aufgaben, die den kommunalen Säckel belasten, umfassen Ausgaben für Kultur, für Kinder, Jugend und Familien, Sport und auch manche soziale Leistung. Ein Rotstift macht sich keine Freunde. Aber auch die Pflichtaufgaben böten Verhandlungsraum, indem zum Beispiel die Arbeit der Verwaltung nach Kriterien der Effizienz, der Effektivität und der Kosten optimiert oder Standards abgesenkt würden. Letzteres meint unter anderem Öffnungszeiten von Behörden. So würden die Pflichtaufgaben noch erfüllt, aber mit weniger Aufwand und damit weniger Kosten.
Wie werden Einnahmen generiert? Ganz einfach durch Steuern. Möglichkeiten sind hier die Erhöhung der Grundsteuer, der Gewerbesteuer und von kommunalen Gebühren wie jenen für die Kindertagesstädten. In jedem Fall bedeutet dies eine Mehrbelastung der Bevölkerung und der lokalen Wirtschaft. Um die Einnahmen aus der Gewerbesteuer zu erhöhen, braucht es Platz und Personal, beides in Konstanz eher Mangelware. Um ein tragfähiges Gewerbegebiet ausweisen zu können, bedürfte es einer Fläche von zirka 35 Hektar. De facto gäbe es in Konstanz zwar freie Gewerbeflächen, diese wären aber kleiner und über das Stadtgebiet verteilt. Als Möglichkeit am weiten Horizont stehen die Flächen am Hafner und der Flugplatz im Raum. Auch wenn Konstanz durch die beiden Hochschulen einen klaren Standortvorteil durch exzellent ausgebildete junge Menschen habe, fehle es doch in der Breite an Personal und bezahlbarem Wohnraum, um mehr Menschen in die Stadt zu locken. Die Folge: Florierende Unternehmen müssen am Punkt ihrer Expansion Konstanz verlassen, Handwerksbetrieben fehlen die Lehrlinge… Ein Lösungsversuch der Stadt für den letzten Punkt ist ein städtisches „Lehrlingshaus“, was aber natürlich das Problem nicht vorhandenen bezahlbaren Wohnraums (O-Ton aus dem Publikum: „Wir haben kein Mengen-, sondern ein Preisproblem!“) nur nach hinten verschiebt. Vermutlich leben nur wenige Lehrlinge im Laubenhof auf dem ehemaligen Vincentius-Gelände, wo ein sündhaft teures Wohnprojekt hochgezogen wird.
Leider blieb die spannende Frage, ob dieses Defizit spontan in den letzten Jahren aufgetreten ist, und was die ausschlaggebenden Faktoren dafür gewesen sind, ohne rechte Antwort. Die nun installierte Haushaltsstrukturkommission und die Klausur des Gemeinderats Anfang Oktober wird hier, so die Hoffnung, nachliefern. Wann entstand also das Defizit und wie ging es in eine Struktur über? Da greift erstmal der Grundsatz: Will eine Therapie gelingen, muss bekanntlich die Diagnose vorangehen.
Die Bürden von Amtsträger:innen
Welche Schwerpunkte sollen die Gemeinderät:innen der FGL also setzen? Oder negativ: Wo darf nicht gespart werden? Manche Fragen sind einfach, aber die Antwort schwer. In der Abwägung, wo und wie im kommunalen Haushalt gestrichen wird, will vermutlich niemand in diesen Tagen mit den Mitgliedern des Gemeinderats als Inhaber:innen des Budgetrechts den Platz tauschen wollen. Die Idee des Abends war es, von den Mitgliedern der Partei Anregungen, Orientierungspunkte und Unterstützung für das weitere Vorgehen im Gemeinderat zu erhalten, Plädoyers und deutliche Voten für dies oder jenes Projekt usw.. Mit der Basis im Rücken lässt sich öffentlich besser argumentieren. Gerade wenn die Abwägungen so delikat sind.
[the_ad id=“87862″]Jede Erhöhung der Steuern ist eine zusätzliche soziale Belastung, die im Zweifel immer die Schwächsten am stärksten trifft. Die Krisen belasten zugleich nicht nur die kommunalen Haushalte, sondern auch die privaten: Die Erhöhung der Grundsteuer wird an die Mietenden weitergegeben werden, und so das Leben in Konstanz weiter verteuern. Ein weiteres Dilemma: Mit ansteigenden Gewerbesteuern und gleichzeitigem Eindampfen der kommunalen Angebote wird Konstanz als Wirtschaftsstandort weniger attraktiv, weniger Unternehmen siedeln sich an, viele Fachkräfte ziehen weg. Mehr Menschen nach Konstanz zu locken, um so mehr vom föderalen Finanzausgleich zu profitieren, löst das Problem auch nicht, weil die kommunalen Angebote der Versorgung und die Infrastruktur ebenfalls wachsen muss und mehr Kosten entstehen. Es bedarf anscheinend eines gewissen Barons von Münchhausen, um sich aus dieser misslichen Lage zu befreien.
Am Abend selbst warf eine Frage hohe Wellen: Wie steht es um die Ausgaben für Kultur? Wenn wir in keinem anderen Bereich fundamental sparen können, eröffnen sich heikle Abwägungen: Braucht es die Philharmonie? Braucht es einen speziellen Ort für das Jugendtheater? Braucht es eine generelle Subventionierung von Theaterkarten oder reicht es, diese an den Sozialpass der Stadt zu binden? Ist das Publikum des Theaters nicht vermögend genug, die Kosten ohne kommunales Sponsoring zu stemmen? Halten teure Karten oder das Stigma des Sozialpasses wiederum Menschen vom Besuch ab? Keine der anwesenden Personen stellte diese Fragen gerne oder leichtfertig. Und natürlich wurde in allen Beiträgen auf die essentielle Notwendigkeit von Kultur und Bildung hingewiesen. In Zeiten knapper Ressourcen muss aber die Verteilung von Mitteln kritisch reflektiert werden, was auch, aber natürlich nicht nur, den Bereich der Kultur anbetrifft. Es sind genau die Fragen, die sich Konstanz nun stellen muss: Was ist uns die Kultur wert? Wollen wir die Menschen weiter belasten? Beheizen wir die Sporthallen, die Schwimmbäder, Schulen? Sanieren wir alle Straßen? Dieser Fragenkatalog ließe sich beliebig erweitern.
Der Apfel, in den wir beißen, ist gewiss sauer, aber als Stadtgesellschaft gilt es nun, sich in einem offenen Austausch mit der Politik und der Verwaltung der Alternativen bewusst zu werden und zwischen verschiedenen Variationen des Schlechten gemeinsam abzuwägen. Für diese wichtige Weichenstellung einer diskursiven Verständigung hat die FGL an diesem Abend zumindest den Boden bereitet.
Zuletzt wehte ein Raunen durch den Saal, ein Wispern vom Bodensee-Forum, dessen Defizit nun, in diesen ernsten Zeiten, nicht mehr so einfach hingenommen werden könne. Gewiss, nach dem oberbürgermeisterlichen Traum von einer Seilbahn ein weiteres Prestigeprojekt aufzugeben, sei schwierig, aber die Zeiten sind hart. Am Ende muss sich Konstanz wohl fragen, was es lieber finanzieren will: Das Millionengrab am Seerhein oder kommunale Leistungen für Kinder und Familien, Kultur, Bildung und Sport.
Text und Bild: Tobias Braun
> Die Konstanzer Bürger waren jedenfalls mit der ‚Fischerin vom Bodensee‘ im Bodenseeforum sehr zufrieden !
Hätte man auch nirgendwo anders aufführen können, dafür lohnen sich die Millionen pro Jahr.
@Holger Reile
Wie sähe denn Ihr Betriebs-Konzept für das Bodenseeforum aus ?
Sie haben ja bislang auch nichts Besseres vorgelegt.
Die Konstanzer Bürger waren jedenfalls mit der ‚Fischerin vom Bodensee‘ im Bodenseeforum sehr zufrieden !
@Holger Reile
Leider waren damals, als es wirklich drauf ankam, nur zwei oder drei Gemeinderäte der Linken im Gemeinderat gegen das Bofo!
Natürlich ist das weitere Verbrennen von Steuergeld dort weiterhin nicht sinnvoll, aber wenn das strukturelle Defizit tatsächlich rund 15 Millionen Euro ausmacht, dann reicht das eben nicht!
Zufälligerweise hat der THH4 des städtischen Haushalts, der Bereich Kultur mit Theater, ziemlich genau den Umfang von 15 Millionen! Wer will da nicht 1 +1 zusammenzählen!?
@Wolfgang Daub
Wg Bodenseeforum: Klar kommen die mittlerweile rund 30 Millionen Euro (!), die bislang in den Seerhein gekippt wurden, nicht mehr zurück. Aber es geht darum, schnellstmöglich eine weitere Geldverbrennung zu verhindern. Leider aber steht immer noch eine Mehrheit des Gemeinderates hinter diesem finanzpolitischen Irrsinn.
Die Millionen Euro, die im Bodo verschwunden sind, kommen auch bei einem völlig verspäteten Ende nicht zurück!
Und den Bürgern in Zeiten, in der die Inflation in Kürze über 10 Prozent steigen wird, auch noch Steuer- und Gebührenerhöhungen zumuten?
Da die Einsparungen erheblich und dauerhaft sein müssen, bleibt eigentlich nur die Kultur: das Ende (von Philharmonie und Theater mit eigenem Esemble) ist nahe!