Kassandras Tirade: Die Unterlassung als Mittel der Politik (I)
Der Zustand der Gegenwart gibt der Hoffnung auf bessere Zeiten breiten Raum, aber weniger als ein positives Potential im Jetzt denn im Sinne der negativen Umkehr alles Bestehenden. Mit verbundenen Augen, so will es scheinen, rasen wir gemeinsam auf einen Abgrund, nein, eher auf Abgründe zu. Dem Desinteresse der Politik an den akuten Problemen, die uns im herbstlichen Ende des Sommers, spätestens aber im Winter mit voller Wucht erreichen werden, ist nur noch mit Fatalismus zu begegnen – oder mit ohnmächtiger Wut.
Teil 1/2
Politik wird von Menschen gemacht, und auch diesen sei der Sommer als jene Phase der Erholung vergönnt, die einen Abstand zwischen den Nöten und Zwängen des Tagesgeschehens erlaubt. Dennoch, so zumindest die Idee, bündelt sich auf Seiten unserer Repräsentanten und ihrer Stäbe sachverständiger Verwaltungsangestellter und Referenten nicht nur die Expertise, sondern auch das Vermögen der Einsicht lang-, mittel- und kurzfristiger Aufgaben und Zeitfenster. Erste Risse bekommt dieses Ideal bereits in Anbetracht der Einstellungs- und vor allem der allsommerlichen Entlassungspolitik angestellter Lehrer:innen seitens der Landesregierung. Gewiss vermag diese Praktik es, den Haushalt in einem gewissen Maße zu entlasten, der Berufsstand der Lehrkräfte indes verliert so an Attraktivität, Würde und dem Interesse der Beschäftigten. Vielleicht wäre es eine erkenntniserweiternde Möglichkeit, mit Parlamentariern während der Sommerpause analog zu verfahren … Letztlich nimmt es sich so nicht wunder, dass das lehrende Personal und dessen Zufriedenheit und Zuversicht zum Teil Mangelware sind. Aber um dieses Beispiel einer armseligen Praxis soll es hier gar nicht gehen.
Vom gebotenen Verzicht auf das weiße Gold
An dieser Stelle sollen zunächst die Folgen der Inflation und die Reaktion der Bundesregierung in den Fokus treten. Es ist etwas faul im Staate Deutschland, was sich mittlerweile anscheinend schon bis zum Bundeskanzler durchgesprochen hat: Die Folgen der Inflation trügen sozialen Sprengstoff in sich, so hielt dieser spät, aber in überschriftenfreundlicher Kürze und Würze fest.1 Leider fehlt den politischen Maßnahmen, die im Anschluss getroffen wurden, die Durchschlagskraft jener Bazooka, mit welcher der damalige Finanzminister die Wirtschaft anzukurbeln beabsichtigte. Das Problem, auf den Punkt gebracht, ist folgendes: Auf eine strukturelle Frage gibt die Politik punktuelle Antworten, die das Problem nicht lösen, sondern die Härte seiner Folgen nur kurzfristig und nicht einmal umfassend und allgemein abmildern.
Auf der einen Seiten haben wir es mit einer starken Verteuerung zu tun, und dies auf unabsehbar lange Zeit. Die Preise steigen allerorten, die der Lebensmittel, die der Wohnungen und die der Energie. Um die Bürger:innen zu entlasten, entschied sich die Regierung neben der Vergünstigung von Treibstoff und dem 9-Euro-Ticket für Einmalzahlungen, die aber wiederum nicht alle von der Verteuerung Betroffenen erreichen. Von den steuerlichen Erleichterungen wie der Erhöhung der Freibeträge profitieren, mensch ahnt es, am ehesten jene, die viel verdienen und die Entlastung folglich am wenigsten brauchen.
Zugleich versuchen die Regierung und die Wirtschaft, Gewerkschaften von Lohnforderungen abzuhalten, die die Inflation ausgleichen könnten. Die Idee des Kanzlers, tarifliche Forderungen durch eine staatliche Einmalzahlung abzuwenden, scheint eher ein, gewiss schlechter, Scherz gewesen zu sein. Ihm liegt die irrlichternde These zugrunde, dass die Inflation schon bald zurückginge und daher die Erhöhung der Löhne unnötig sei, sogar eine unnötige Belastung der Wirtschaft darstelle. So ein Vorschlag kann nur einem sozialdemokratischen Hirn entspringen.
Als schreckendes Gespenst steht die Inflationsspirale im Raum, also ein Kreislauf der wechselseitigen Erhöhung von Löhnen, Betriebskosten und Preisen. Der agitatorische Druck der Unternehmer:innen, der mittlerweile nicht mal mehr vor dem Recht auf Streik halt macht, sorgt nun dafür, dass die Kaufkraft der Konsumenten sinkt, verringert sich doch ihr Reallohn infolge der Inflation und der Stagnation der Gehälter beständig.2 Ein Gruß geht raus an all die Spargelbauern, die uns alljährlich mit Ankündigungen zu erwartender Höchstpreise erfreuen, und dieses Jahr selbst fast vollumfänglich in den Genuss ihrer mit Billigstlöhner erwirtschafteten Luxuswaren kamen: Mögen sie sich satt essen. Menschen, die immer weniger Geld zu ihrer Verfügung haben, können sich nicht mehr so viele Dinge leisten: So lautet die einfache Rechnung. Eine galoppierende Inflation lähmt kurzum den Binnenmarkt, der in Folge der Pandemie schon eh arg gebeutelt war.
Die Lebensmittelhändler und Discounter drucken aufgrund der höheren Einkaufspreise und Transportkosten munter neue Etiketten für ihre Sortimente.3 Die Energieversorger warnen vor einer Verdopplung der Preise und haben zugleich von der Regierung die Möglichkeit erhalten, die Preissteigerungen direkt an die Kund:innen weiterzureichen. Die Mieten, angeheizt durch die Nebenkosten, wachsen ebenso immer weiter, wobei die drastischen Erhöhungen erst im Herbst anstehen. Für das Dilemma beider Momente, also die Stasis der Löhne und die Dynamik der Kosten, hat die Regierung bislang die Lösung erarbeitet, sich – gemeint ist die Bevölkerung – in der Tugend des Verzichts zu üben. Nun mag im Sommer die Unterlassung des Heizens recht einfach erscheinen und die kalte Dusche ganz erfrischend, im Winter könnte dies die Herzen nicht so ganz erwärmen. Anstatt die Preise zu deckeln, gezielt bedürftigen Betroffenen langfristig zu helfen und die private Grundversorgung abzusichern, gibt die Regierung in Person des grünen Säulenheiligen Listen von Tugenden vor, die die Einzelnen in patriotischer Gesinnung berücksichtigen sollten, haben wir doch ernste Zeiten. Preisdeckel sind anscheinend Maßnahmen quasi-kommunistischer Regime wie Frankreich und Italien …
Text: Tobias Braun, Bild: Bild von Steve Buissinne auf Pixabay
Anmerkungen
1 https://archiv.seemoz.de/politik/linke-konstanz-steigende-preise-gleichbleibende-grundversorgung-sozialer-sprengstoff/
2 https://www.nord24.de/politik/arbeitgeberpraesident-mit-nationalem-notstand-gegen-hafenstreiks-80880.html
3 https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/fleisch-wurst-und-butter-preiserhoehungen-im-supermarkt-immer-drastischer/28219660.html
Natürlich, recht überraschend ist dies alles nicht. Zugleich geht die Gefahr für das Jetzt weniger von der Vergangenheit als von der Zukunft aus… Und hier liegt doch der Hase im Pfeffer, oder die Kuh auf dem Eise.
Die Tatenlosgkeit der Politik und das Schweigen des Blätterwaldes über die sozialen Folgen der Inflation spricht, in meinen Augen, Bände…
Und zuletzt: Das wahrhaft Verblüffende war doch, dass die Wählenden dieses Landes dem Motto der SPD bei der BTW 21 namens „Respekt“ Glauben schenkten. Es bedurfte weniger Jahre, damit die SPD ihren Ruf als Vertereterin sozialer Gerechtigkeit wieder an sich reißen konnte. Die Folgen sehen und spüren wir jetzt.
Naja, so überraschend kommt doch das alles nicht: die Grünen wollten doch schon immer gegen Ramschpreise bei Lebensmitteln vorgehen und auch das Verbrennen von fossiler Energie verteuern!
Für grüne Ideologen ist also alles im grünen Bereich, zumal nicht Habeck sondern Putin als „Belzebub“ herhalten darf!
Wer sich allerdings an rot-grün von 1998 bis 2005 erinnert, der erinnert sich auch an die asozialste Reform in der Geschichte der BRD, heute unter Hartz IV bekannt!
Und der erinnert sich auch an die Mitwirkung der BRD an drei grundgesetzwidrigen Angriffskriegen (ja drei! Denn die USA haben im Iran-Krieg nicht nur Rammstein genutzt sondern der BND auch reichlich Infos an die Angriffskrieger geliefert!).
Also auch heute „Business as usual“?