Ein Leben für den Frieden im Menschenschlachthaus (III)
Nachdem der Beginn des Weltkrieges 1914 dem Pazifisten Alfred Hermann Fried alle Illusionen einer friedlichen Menschheitsentwicklung geraubt hatte, stemmt sich der Friedensnobel-preisträger von 1911 mit der Macht des Wortes gegen die Barbarei auf den Schlachtfeldern und den Gemetzeln an der Zivilbevölkerung. Trotz aller Widerstände der Zensur und der mehrheitlich kriegslüsternen deutschsprachi-gen Presse arbeitet Fried, als Hochverräter verdächtigt, weiter gegen die Kriegstreiber.
Als Jude, Pazifist und Autor schon vor 1914 heftigen Angriffen ausgesetzt, hatte Fried vor allem im militaristisch geprägten Deutschland einen schweren Stand. Die Militär- und Zensurbehörden behinderten seine Arbeit, und so siedelte er mit seiner „Friedens-Warte“ im April 1915 nach Zürich über. Sein Tagebuch vom 7. August 1914 bis zum 28. Juni 1919, dem Tag, an dem die deutschen Delegierten in Versailles den Friedensvertrag unterzeichneten, ist das bislang einzige veröffentlichte Tagebuch eines pazifistischen Emigranten, das den gesamten Ersten Weltkrieg umfasst. Es erschien zwischen 1918 und 1920 in vier Bänden, eine Auswahl daraus kam 2005 heraus.
Geistige Mobilmachung
Teilweise in der „Friedens-Warte“ Monat für Monat abgedruckt, handelt es sich nicht um ein Tagebuch im engeren oder privaten Sinne. Schonungslos legt Fried die Rituale des Krieges offen und schreibt etwa am 14. Oktober 1914 neben der Anpassung der Wirtschaft an die Erfordernisse des Krieges über die „geistige Mobilisierung“: „Die gesamte Presse in Deutschland und Österreich-Ungarn ist auf einen Ton gestimmt, dem sich fast keiner zu entziehen zu vermag.
Für den objektiven Beobachter liegt hier das typische Beispiel einer Massensuggestion vor. Es denkt oder schreibt einfach keiner mehr außerhalb der vorschriftsmäßigen Gleise, und so sehr klappt alles nach dieser Richtung, dass man annehmen kann, es wäre das Denken auch vorher auf einem Exerzierplatz geübt worden. Unter der Parole, dass jede Abweichung von diesem vorschriftsmäßigen Denken den Erfolg beeinträchtige, wagt keiner, selbständig zu sein. Und so kommt es, dass nur eine Richtung herrscht. Nur ein Urteil gilt, nur eine Anschauung besteht. Uniformierung der öffentlichen Meinung. Das muss notwendigerweise das Ergebnis eines vorher aufgestellten Planes sein, und man muss den Ingenieuren der geistigen Mobilisierung die Anerkennung zuteil werden lassen, dass ihnen ihr Werk trefflich gelungen ist. Sie beherrschen nicht nur die Zeitungen, sondern auch die Literatur und die Lyrik.“
Ebenso rechnet Fried mit den Kriegstreibern ab, prangert die verbrecherische Kriegführung der deutschen Militärs (wie die Beschießung Antwerpens, den Gaseinsatz um Ypern und das Bombardement von Paris) an, kritisiert die Deportationen von französischen Zivilisten in Viehwaggons, den Völkermord an den Armeniern, den alldeutschen Völkerhass, die Unterdrückung des Pazifismus und die Verfolgung von Kriegsgegnern. Nachdem der Reichstag am 1. Mai 1916 die Aussetzung des Strafverfahrens und die Aufhebung der Haft von Karl Liebknecht mit 229 gegen 211 Stimmen abgelehnt hatte, stellte Fried klar:
Alldeutsches Geschrei
„Der Deutsche Reichstag hat damit zu erkennen gegeben, dass er Parteien kennt. Liebknecht mag in der Art seiner Betätigung viele abstoßen, sein Mut muss anerkannt und seine Ehrlichkeit nicht bezweifelt werden. Er ist Gegner des Krieges und dieses Kriegs. Seine Äußerungen entsprechen seiner Überzeugung. Wenn der Reichstag diese Äußerung durch den Mund des Berichterstatters (…) als ‚eine ernste Gefahr für das Vaterland‘ bezeichnet, so kann man dieser Begründung nicht folgen. Ist die Sache des Vaterlandes so schwach? – Die Friedensforderer in andern Parlamenten werden in Deutschland mit Beifall und Bewunderung begrüßt. Der Friedensforderer des Reichstags aber wird als Mann bezeichnet, ‚an dessen Mitarbeit das Haus kein Interesse‘ habe. Kein Interesse!
Es gibt Leute, die das Vaterland mehr schädigen als Liebknecht, Leute, deren Gebaren uns in diesen Krieg hineingetrieben haben. Die alldeutschen Schreier laufen noch immer frei herum, Liebknecht ist in das Verlies eines Gefängnisses verschwunden.“
Kriegspropaganda gibt den Ton an
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Fried thematisiert die Revolution in Russland, geißelt die Willfährigkeit der Presse, berichtet über kriegsbefürwortende Zeitungsmeldungen und -artikel, die er mit Kommentaren versieht, sowie über die fortschreitende Begriffsverwirrung. Ebenso attackiert er die annexionslüsternen Kreise, den preußischen Militarismus als Geistesrichtung, das deutsche Schreckensregiment in Belgien, die Kriegstheologie, Abstumpfungen und Verrohungen, die Zerstörungen im Westen und die Herrschaft der Lüge, den Krieg als „Stahlbad“ und die Widerwärtigkeit des Gewaltdenkens der deutschen Intellektuellen sowie vieles mehr. Zugleich beschreibt er erschütternde Schicksale und deprimierende Verhaltensweisen, die sich hinter Nachrichten über vermeintlich unbedeutende Vorfälle und Begebenheiten verbergen – das alles anschaulich und mit einem politischen Scharfblick geschildert, der Zusammenhänge erhellt und mehr über die Mentalität während des Ersten Weltkrieges aussagt als viele andere Bücher. Das dürfte auch der Grund dafür sein, weshalb revisionistische Autoren wie Christopher Clark und Herfried Münkler Fried und sein „Kriegstagebuch“ in ihren Darstellungen ignorieren – ebenso wie viele andere Kritiker der preußisch-deutschen Kriegs- und Katastrophenpolitik.
Im Exil beteiligte sich Fried mit anderen Deutschen wie Friedrich Wilhelm Foerster, Prinz Alexander von Hohenlohe u. a. in der „Neuen Zürcher Zeitung“ daran, die deutschsprachige Öffentlichkeit der Schweiz über die Schuld des Hohenzollernregimes am und im Krieg aufzuklären und damit den Einfluss der kaisertreuen Schweizer zurückzudrängen. Seine Bücher und die „Friedens-Warte“ waren seit 1915 in Deutschland und Österreich verboten, und die Auszüge aus seinem Kriegstagebuch gehörten zu jenen Texten, die zwischen November 1914 und April 1915 der Zensur vollständig zum Opfer fielen. Zudem leiteten die Behörden gegen ihn eine Untersuchung wegen Hochverrats ein. Lediglich als Schmuggelware in Tarnumschlägen ließ sich die „Friedens-Warte“ noch (illegal) in Deutschland verbreiten.
Schrecklicher Frieden
Nach dem Ende des Krieges geriet auch Fried – wie andere Exilanten oder führende Pazifisten – bereits im Frühjahr 1919 wieder ins Abseits. Schmähungen gegen und Verfolgung von Personen, die sich als Gegner der kaiserlichen Kriegspolitik erwiesen hatten, waren an der Tagesordnung – ebenso Attentate und Morde. Fried, der den Verlust seines in österreichischen Wertpapieren angelegten kleinen Vermögens beklagen musste, sah sich zudem materiell hart getroffen. Der Schriftstellerin Annette Kolb, seit dem Exil mit ihm freundschaftlich verbunden, stellte er im Sommer 1919 die Frage: „Ist es nicht schrecklich im Frieden? Nun haben wir ihn. Schön schauen wir aus.“ Es half Fried auch nichts, dass er gegen die Friedensverträge von Versailles und St. Germain vehement protestierte – und sich damit auf der Seite einer breiten deutschen Ablehnungsfront befand. In Deutschland ein Gegner des Krieges zu sein und ihn zu verwerfen, galt in den herrschenden Kreisen weiterhin als Makel.
Wegen des zu teuer gewordenen Aufenthaltes in der Schweiz bat Fried im Februar 1920 um eine Zuzugsgenehmigung nach München. Die Bearbeitung seines Gesuches fiel in die Zeit nach dem Machtantritt eines konservativ-monarchistisch geführten Kabinetts. Frieds Ansinnen war damit zum Scheitern verurteilt. Sein Antrag wurde abgelehnt. Er nahm sich einen Anwalt und informierte die Presse. Aber das änderte nichts. München wollte mit dem Kriegsgegner und Friedensnobelpreisträger nichts zu tun haben.
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Widerstrebend wich Fried nach Wien, in seine Heimatstadt, aus. Zunächst kam er mit seiner Frau in einem Gartenhaus am Stadtrand unter. Aber noch im Dezember 1920 hatte er keine feste Bleibe gefunden, dem Ehepaar drohte die Obdachlosigkeit. Am Jahresende fand sich endlich eine kleine Wohnung. Aber inzwischen war Fried erkrankt. Nach vier Monaten im Wiener Rudolfspital starb er im Alter von 56 Jahren an einer Lungenblutung. Seinem Wunsch gemäß fand die Trauerfeier in München statt. Der spätere Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde hielt die Trauerrede. Jahre später ist Fried nach dem Bau des Wiener Krematoriums in einer Nische des Urnenfriedhofs beigesetzt worden.
Einige österreichische und deutsche Historiker haben sich inzwischen der „Vergegenwärtigung“ Frieds angenommen – bislang eher mit geringem Echo. Aktuell ist Fried gleichwohl geblieben.
Literatur
– Alfred Hermann Fried: Mein Kriegstagebuch 7. August 1914 bis 30. Juni 1919. Hrsg. und eingel. von Gisela und Dieter Riesenberger. Bremen 2005.
– Guido Grünewald (Hrsg.): Alfred Hermann Fried: „Organisiert die Welt!“ Der Friedens-Nobelpreisträger – sein Leben, Werk und bleibende Impulse. Bremen 2015.
Text: Helmut Donat (Bild: Friede. Franz Hanfstaengl, München 1896.)