Ein Ticket für alle?
Verglichen mit dem Zustand vor dem 9-Euro-Ticket ist das nun geplante 49-Euro-Ticket sicher eine Verbesserung, aber es erfüllt keine der mit ihm verbundenen Hoffnungen auf das Projekt einer ökologischen Verkehrswende. Es ist ein weiteres Zeugnis der Inkompetenz und des gestalterischen Desinteresses der Ampelkoalition. Dieses Ticket ist kein Aufbruch, sondern ein Manifest der Statik des Koalitionsfriedens und der Verlängerung des bleiernen Status quo.
Kurz gefasst hält das neue Ticket gegenüber seinem 9 Euro günstigen Vorgänger nur einen Vorteil bereit: Es ist billiger als der Normalpreis der Bahn, der allerdings selbst teurer ist als die Fahrt mit dem eigenen PKW, auch wenn man alleine unterwegs ist. Für eine gesellschaftlich gewünschte Struktur der Massenmobilität ist dies mehr als ein Armutszeugnis, es ist Ausdruck eines politischen Willens, der seinen Fokus auf das Auto setzt, auch um Teile der eigenen Wirtschaft zu stärken.
Der Geißel des motorisierten Individualverkehrs in Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit ist es zu verdanken, dass sich die Zuginfrastruktur mehr und mehr jenem maroden Zustand annäherte, der sie heute auszeichnet: Die Privatisierungen, die Einsparungen und Wegfälle im Schienennetz und dem Personal in den letzten Dekaden sprechen hier Bände.
Vom Glanz und Elend
Das 9-Euro-Ticket war nicht nur finanzierbar – der Abbau der Subventionierung des motorisierten Individualverkehrs in Form des Dienstwagenvorteils und der Dieselförderung würde finanziell fast schon hinreichen –, es setzte auch genau die richtigen Anreize, um Menschen dazu zu bewegen, der Bahn mal eine Chance zu geben. Es ist das Phänomen der Mitnahme: Wenn ein Angebot günstig genug ist, greift der Mensch zu, ohne Berechnung der direkten Verwertbarkeit. Die enorme Zahl an InhaberInnen des Tickets zeigt das Interesse, und macht den Wunsch für ein solches Angebot in der Bevölkerung offensichtlich.
Natürlich hat die Bahn es verstanden, diese neuen NutzerInnen zu verprellen, vor allem durch Verspätungen, Ausfälle und dergleichen. Aber das Versagen der Verkehrspolitik ist der Bahn als Verkehrsmittel und vor allem seinem Personal nur bedingt anzulasten. Ein Unternehmen und eine Politik, die konsequent auf Kostenreduktion und Leistungskürzungen setzen, vergraulen folgerichtig die KundInnen und erhöhen den Druck auf die Beschäftigten. Das Ticket jedenfalls gab Millionen Menschen die Freiheit zu reisen, sich fortzubewegen, ohne sich dabei in finanzielle Nöte zu begeben. Völlig unbeschwert war es möglich, einfach einen Zug zu betreten: Ein Privileg, das sonst nur Bahncard-100-KundInnen kennen.
Über Schwellen und Hürden
Kommen wir also zu den falschen Hoffnungen, die auf dem 49-Euro-Ticket liegen. Zunächst kauft sich niemand dieses Ticket einfach so, also ohne genaue Berechnungen anzustellen, ob sich der Kauf auch lohnt. Die Menschen, die das 9-Euro-Ticket quasi im Vorbeilaufen auflasen, werden dies nicht mehr machen. Aber nicht nur der Preis hebt den Mitnahmeeffekt und damit die Verbreitung auf, sondern auch das Abo-System. Wenn ich mich erst anmelden muss mit der Verpflichtung auf ein Jahr, schafft das eine enorme Schwelle. Der Aufwand, das Ticket dann wieder kündigen zu müssen, ist einfach zu groß. Auch der Rückgriff auf Kontodaten oder ähnliches wird abschrecken. Nicht zuletzt ist die rein digitale Verfügbarkeit ein weiteres Hindernis, die den Kreis der Nutzenden ohne guten Grund einschränkt. Auch wenn immer mehr Menschen Zugang zu dieser technischen Infrastruktur haben, ist seine Voraussetzung doch etwas anderes: Was machen wir also mit jenen Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen kein Smartphone oder ähnliches haben oder wollen, weder auf einen ans Netz angeschlossenen Rechner oder Drucker zurückgreifen können?
Greenpeace hat errechnet, dass die erwähnten Mitnahmeeffekte eines Tickets um die 30 Euro die höheren Kosten wieder einspielen. Dass ein solches Ticket viel mehr Menschen erreicht und einen viel größeren Beitrag zur Verkehrswende leistet, ist offenbar kein Anlass für die Zukunftskoalition, ihre Vorschläge daran auszurichten. Aus Umfragen wurde deutlich, dass das so genannte Klimaticket den Staat durch doppelt so hohe Verkaufszahlen maximal so viel an Zuschüssen brächte wie eine 49 Euro-Variante kosten würde. Diese Verdoppelung der Zugriffe hat also einen ökologischen Effekt, wodurch sich der Name erklärt. In der Pressemitteilung von Greenpeace heißt es: „Auf Basis der aus den Umfragen gemittelten Kaufbereitschaft addieren sich die möglichen Einnahmen eines 29-Euro-Tickets auf 8,6 Milliarden Euro, gegenüber 7,2 Milliarden aus einem 49-Euro-Ticket.“ Wir könnten also, wenn wir nur wollten…
Soziale Blindheit
Auch ist zu bedenken, dass der Preis fast zehn Euro über dem Betrag liegt, den der ALG II Satz für die Mobilität einplant. Diesen Menschen bleibt das Ticket verwehrt, es sei denn, sie sparen es sich vom Munde ab. Auch das gepriesene Bürgergeld wird an diesem Missstand nichts ändern. Auch wenn die schnell laut gewordenen Stimmen aus der Ampelkoalition, die eine verbilligte Variante verlangten, immerhin die Schieflage sehen, wäre es doch wahrlich angebracht, eine Verkehrspolitik bände alle BürgerInnen ein und schlösse nicht die Menschen mit niedrigen Einkommen aus. Kurzum ist dies weder eine sozial gerechte Politik noch ein Beitrag zu einer Verkehrspolitischen Wende. Wenn es das 9-Euro-Ticket beispielsweise schaffte, Schwarzfahrten zu reduzieren, wird das neue Ticket diesen Effekt nicht zeitigen. Folglich werden weiter Menschen aufgrund so läppischer „Verbrechen“ wie Schwarzfahren in den Knast wandern.
Dieses Ticket ist einzig und allein für PendlerInnen konzipiert, die, sofern sie Bahn fahren (wollen), deutlich entlastet werden. Das ist natürlich sinnvoll und begrüßenswert, kommt aber Jahr(zehnt)e zu spät. Zugleich ist es aber auch zu wenig, ist die Klimakrise doch kein allzu fernes Szenario am Ende der Zeit. Der Hinweis, dies wäre ein Resultat des Kompromissgebots in Koalitionen, ist nicht nur alt, sondern diente schon immer als Verhinderung progressiver Politik. Schlechte Politik ist einfach schlechte Politik, da nutzen Hinweise auf koalitionäre Beistandsverpflichtungen wenig. Machen wir uns nichts (mehr) vor: Neben der klimapolitischen Wende hat diese Regierung wenig Interesse an einer Verkehrswende, die ihren Namen auch verdient. Zum Schluß dennoch eine vage Hoffnung: Zerrinne uns die Zeit, in der wir noch wirksam handeln können, nicht weiter zwischen den Händen.
Text: Tobias Braun
Bild: Pexels