Haushalt 2024-2027: Zeitenwende heißt Sozialabbau!
Kürzlich legte Finanzminister Christian Lindner den Regierungsentwurf für den Haushalt 2024 vor: Wie sich schon länger abzeichnete, müssen nahezu alle Ministerien darin Einbußen hinnehmen, verschont bleibt aber unter anderem das Verteidigungsministerium, das sogar zusätzliche Gelder erhält (siehe Wehretat: Ausgaben für Bundeswehr auf Höhenflug).
Erstmals sollen im kommenden Jahr Ausgaben von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreicht werden – gleichzeitig wurde auch die Finanzplanung bis 2027 vorgelegt, die vor allem eines zeigt: Die Zeitenwende bedeutet Sozialabbau!
Haushalt 2024: Rund 20% für das Militär
Entgegen der bisherigen Planungen erhält die Bundeswehr im kommenden Jahr 1,7 Mrd. Euro mehr, wodurch der offizielle Haushalt auf 51.8 Mrd. Euro ansteigt. Hinzu sollen 2024 noch 19,2 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen der Bundeswehr kommen. Zusammen mit den Ausgaben, die von den sog. NATO-Kriterien erfasst werden (u.a. die Kosten für Waffenlieferungen an die Ukraine), sollen 2024 damit erstmals 2% des BIP für Militärausgaben aufgewendet werden – nach den April-Schätzungen des IWF wären das 84 Mrd. Euro. Bei einem Gesamthaushalt von 445,7 Mrd. Euro sind das knapp 20 Prozent des gesamten Haushaltes. Anders ausgedrückt: 2024 werden die Ministerien Bildung (20,3), Gesundheit (16,8), Entwicklung (11,5), Klima (10,9), Wohnen (6,9), Auswärtiges (6,1) und Umwelt (2,4) immer noch rund 10 Mrd. Euro weniger als die Bundeswehr erhalten!
Verstetigung der Zeitenwende
Gleichzeitig mit dem Haushaltsentwurf wurde auch die Finanzplanung bis 2027 vorgelegt, laut der zwischen 2024 und 2027 nun rund 7,3 Mrd. Euro mehr Militärausgaben als bislang geplant vorgesehen sind. Daraus ergibt sich für 2027 ein geplanter Militärhaushalt von 57,4 Mrd. Euro plus weitere Ausgaben nach NATO-Kriterien dürfte sich dies auf 65 bis maximal 70 Mrd. Euro summieren. Da das Sondervermögen der Bundeswehr spätestens 2026 verbraten sein muss, weil es sonst verfällt, ergibt sich eine riesige Lücke zu den angepeilten Ausgaben von 2 Prozent des BIP, auf die sich die NATO-Staaten Medienberichten zufolge beim NATO-Gipfel in Vilnius fatalerweise als verbindliche Untergrenze einigen wollen – nach den aktuellsten IWF-Schätzungen wären das 2027 rund 95 Mrd. Euro. Sehenden Auges wird hier also auf eine Situation zumarschiert, in der entweder vollmundig gemachte Zusagen wieder einkassiert werden, oder von einem Jahr auf das andere eine Erhöhung der offiziellen Militärausgaben um 25 bis 30 Mrd. Euro erfolgen müsste. Interessierten Kreisen ist das schon lange klar und sie breiten jetzt schon den Stimmungsteppich für die anstehenden Debatten aus. Schon im August letzten Jahres forderte etwa das Institut der deutschen Wirtschaft eine „Verstetigung“ der Zeitenwende nach 2026 mittels dauerhafter Militärausgaben von mindestens 2% des BIP durch ein „gut 60 Prozent vergrößertes reguläres Verteidigungsbudget.“
Rüstung vs. Sozialabbau
Aufgrund der sogenannten Schuldenbremse müsste eine Verstetigung der Zeitenwende aber auf Kosten nahezu aller anderen Ministerien gehen – vor allem eine Kürzung der Sozialausgaben wäre nahezu unausweichlich. Mit beeindruckender Deutlichkeit offenbart ein Beitrag in der Europäischen Sicherheit & Technik, Deutschlands führendem militär- und rüstungsnahen Magazin, die Konsequenzen, die sich hieraus ergeben: Es bedürfe einer „grundlegenden gesellschaftlichen Debatte über die nationalen Prioritäten“, gibt dort Redakteur Ole Henckel zum Besten. Am Ende stehe man aber vor einer simplen Wahl: „entweder die Kürzung sozialer Leistungen oder das Scheitern der Zeitenwende für die Bundeswehr.“ Weiter heißt es in dem Artikel: „30 Milliarden Euro mehr bräuchte es derzeit im Verteidigungshaushalt, damit dieser eigenständig das Zwei-Prozent-Ziel erfüllt. Der einzige Posten im Bundeshaushalt, der die Masse dieses zusätzlichen Bedarfes decken könnte, ist der des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Debatte wird sich also um die Streichung von Sozial-Ausgaben für Militär und Rüstung drehen. […] Der entscheidende Punkt und die damit verbundene Debatte wird allerdings erreicht werden, wenn das Sondervermögen verausgabt ist und man im Bundeshaushalt Prioritäten setzen muss. Voraussichtlich wird dieser Zeitpunkt auch mit der kommenden Bundestagswahl zusammenfallen. Rüstung oder Soziales. Dann wird sich zeigen, wie nachhaltig die viel zitierte Zeitenwende ist.“
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine leicht aktualisierte und erweiterte Version eines zuerst auf Telepolis am 7. Juli 2023 erschienenen Beitrages.
Text: Jürgen Wagner. Sein Beitrag erschien zuerst auf: https://www.imi-online.de
Bild: hr
Verzeihung: Ich meinte natürlich 166 MILLIARDEN € und nicht 166 Millionen….
Ergänzend sei bemerkt: Für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sind das Jahr 2023 im Haushaltsentwurf rund 166 Mio.€ (=34.9% des Gesamthaushalts) vorgesehen. Das ist nicht nur der größte Einzelposten, sondern auch mehr als dreimal soviel wie für den Etat des Verteidigungsministeriums.
Wenn man die Etats der drei Ministerien Bildung, Gesundheit und Soziales zusammenzählt, kann man feststellen das auf diese drei rund 44% des Gesamthaushalts entfällt.