Röchelnde Energiewende

Im Schatten der schon fast anrührig geführten Debatten um die Renaissance von Kohle- und Atomenergie geraten die klimapolitischen Ambitionen der Koaltition fast in Vergessenheit. Die multiplen Krisen unserer Gegenwart lassen die notwendige radikale Abkehr von fossilen Energieträgern als aufschiebbares Projekt erscheinen. Es ist das altbewährte Muster der Politik: Wir denken nicht an das Morgen, weil uns das Heute bereits überfordert. Die Kosten werden uns dennoch ereilen, eher früh als spät. Ein Kommentar zur aktuellen Lage.Die gute Nachricht ist, dass sich fern am Horizont – langsam und auch nicht bei allen Akteuren – die Erkenntnis durchzusetzen beginnt, erneuerbare Energien aus Quellen wie Sonnenlicht, der Wind- und Wasserkraft seien durchaus brauchbare Instrumente für die Versorgung der Zukunft. Und durch einen Anstoß von außen hat die „Europäische Union laut einer Studie so viel Strom aus Wind und Sonne produziert wie noch nie.“1 Es geht also, wenn der Druck nur groß genug ist. Wie bei vielen absehbaren Entwicklungen der Gegenwart hängt die Bundesrepublik leider der Zeitenwende aber nach, und dank der konsequenten Taktik des Hinauszögerns und Aussitzens Seitens der Politik und der Wirtschaft sowie der Bequemlichkeit der Gesellschaft wird dies auch vorerst so bleiben. Die schlechten Nachrichten nehmen sich indes eindeutiger und weit folgenreicher aus.

Von Waschlappen und Einkaufstouren

Als Reaktion auf die Krise, der Versorgung wie der Preise, versucht die Regierung verschiedene Maßnahmen zu ergreifen. Auf der einen Seite treten greise Herren in sozialen Medien auf und versuchen, die mirakulösen Mechanismen der Heizkörperthermostate einer verblüfften Bevölkerung nahe zu bringen.2 Würde mensch den Regler niedriger drehen, so die Botschaft, wäre die Folge eine tiefere Raumtemperatur und zugleich ein niedrigerer Energieverbrauch, was in letzter Konsequenz ein wünschenswerter Schlag ins Gesicht Wladimir Wladimirowitsch Putins wäre. Hier wie an dem mittlerweile klassischen Waschlappenratschlag3 ist im Gebaren unseres hochwürdigen Landesvaters Kretschmann die Verwachsenheit in der Lehrerzunft der Bonner Republik klar erkennbar; und dem Stereotyp eines kalauernden Theo Lingens würdig. Plötzlich ist die Wärme des Wassers und der Wohnung ein Politikum, die Hygiene kein Teil der Intimsphäre, sondern Objekt öffentlicher Neugier und Empörung. Dieser Impetus der Verantwortung verhallt allerdings vor den motorisierten Verkehrsteilnehmern dieses Landes: Kein Mangel an Energie und keine Gefährdung der Lebensgrundlagen kann ein Tempolimit auch nur in die Nähe der Plausibilität rücken. Zu Ende gedacht ist dies aber nur folgerichtig: Im eigenen Auto mit Tempo 200 Km/h kann der und die Einzelne dünsten, wie er mag. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr hingegen verlangt eine ganz andere Qualität an Reinlichkeit, was dann letztlich unserem Freund, dem Waschlappen, die Schamesröte ins Gesicht schreiben sollte.

Neben diesen Ratschlägen versucht die Politik auf der anderen Seite, die hiesigen Speicher mit allen Mitteln vor dem dräuenden Winter zu füllen. Da die Defizite der Energieversorgung tatsächlich mehr oder minder ganz Europa betreffen, könnte der naive Beobachtende denken, die Europäische Union würde das Zepter in die Hand nehmen und beherzt eine gemeinschaftliche Politik mit dem Ziel einer umfänglichen Versorgung und Vorsorge unter der Maßgabe einer gerechten Verteilung umzusetzen. Es kam wider Erwarten vollkommen anders: Deutschland als sympathisches Land in der Mitte Europas griff tief in die Tasche und überbot die anderen Interessenten, um seine eigene Versorgung zu sichern. Die Folge ist ein recht deutlich vernehmbares Murren der europäischen Nachbarn. Wie schon die Bevölkerung Griechenlands feststellen musste, ist die deutsche Interessenpolitik nicht wirklich im solidarischen Geiste des europäischen Projektes fest verankert. Die Kosten steigen aber nicht nur in unseren eigenen Breitengraden, da Rohstoffe ja ein globales Eigenleben führen: Das von Deutschland massiv eingekaufte LNG fehlt mittlerweile für die Grundversorgung in Ländern wie Pakistan und Bangladesch, die das plötzliche Interesse und der folgende Mangel auf den internationalen Energiemärkten völlig unvorbereitet trifft.4 Aber die KonsumentInnen hierzulande sollten sich nicht durch Stromausfälle in fernsten Ländern mit komisch klingenden Namen verunsichern lassen. Dies ist als Trigger-Down-Effekt anderer Art zu denken: Geht es Deutschland gut, so profitieren doch letztlich alle Nationen davon.

Gefahren in Verzug

Wir kaufen also massiv ein, ohne uns die weitreichenden Folgen auch nur im Ansatz klar vor Augen zu führen. Zugleich verbreitern wir unsere Quellenlage und investieren in Technologien, von deren geringer Halbwertszeit wir lieber schweigen. Bleiben wir kurz bei den klassischen Varianten: Nicht nur bleibt die Kohle als Energielieferant überraschend aktuell, auch die Atomenergie, so klimaneutral wie ein BMW-E-SUV, soll als altbekannte Brückentechnologie die Versorgung stützen. Nur für den Übergang, so wird allenthalben versichert. Aber der Verdacht kommt auf, der unreine Wein, der hier eingeschenkt wird, soll später dazu dienen, eine Notlage zu begründen, die dann Maßnahmen verlangt, die bereits jetzt absehbar sind. Selten konnten die Konservativen so glänzen und gleichzeitig ihr eigenes Unvermögen so klar zeigen: Der Konstanzer CDU-MdB Andreas Jung fragte kürzlich in einem Streitgespräch die Grüne Bärbel Höhn, wie wir auf die Kernenergie ab dem nächsten Frühjahr verzichten sollen, wenn die Umstellung der gesicherten Versorgung noch mindestens bis ins Jahr 2024 dauert und wir keine anderen Quellen zur Verfügung haben. Auch wenn Jungs Lösung noch nicht einmal ihm selbst gefällt, ist das Dilemma doch deutlich benannt. An diesem Missstand allerdings lässt sich das Beiwerk der Konservativen und Energiekosten-Sparfüchse kaum leugnen. Am Ende lässt sich wohl nur konstatieren, dass wir uns zu lange eine inkompetente Politik geleistet haben. Kugelschreiber an Wahltagen in allen Ehren, aber die Auswahl der Besten und Fähigsten scheint dieses System nicht wirklich zu leisten. Der Schein wird im Lichte der Personalie Andreas Scheuer zur Gewissheit. Es nützt aber nichts, den VertreterInnen der Politik allein den schwarzen Peter zuzuschieben, profitierten wir doch alle auf die eine oder andere Weise von der billigen Energie. Es ist der Komfort unseres Wohlstands, der uns gleichzeitig abhängig macht und blind für seinen Ursprung in den Strukturen der Ausbeutung von Mensch und Natur.

Der Tagebau feiert wieder fröhliche Urstände: Nicht nur muss ein Windpark weichen, auch das Dorf Lützerath soll sich dem Gebote Robert Habecks nach in Luft auflösen.5 Hier fängt das Problem schon an, etwas unangenehmer zu werden: Dies Dorf ist nicht nur ein Symbol, dessen Absenz das typische anhaltende Bauchweh in grünen Magengruben folgen würde, sondern das unter dem Ort befindliche fossile Rohmaterial birgt die Gewissheit, das 1,5 Grad Ziel nicht erreichen zu können.6 Kipppunkte lassen grüßen. Auch wenn niemand mit den heiklen Abwägungen klima- und energiepolitischer Entscheidungen Seitens der Regierung tauschen möchte, so haben die getroffenen Maßnahmen den entscheidenden Makel, den letzten Sargnagel in die Möglichkeit einer klimapolitischen Wende zu schlagen. Ab einem schon jetzt sehr nahen Zeitpunkt können wir nicht mehr handeln, zumindest ist der Effekt dann nur noch Hascherei. Und dieser Schwelle nähern wir uns mit den politischen Krisenreaktionen nur noch schneller. Wer nun meinte, die ökologischen Verbände würden massiv Sturm laufen, der und die irrt, allenfalls kam es zu einem seichten Lüftchen des Protests. Es ist eine Parallele zur Agenda 2010, bei deren Zustandekommen und Implementierung sich die Gewerkschaften nicht gerade mit Ruhm bekleckerten. Diese loyalen Bündnisse zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien autorisieren Politik im Geiste eines unmündigen Kadavergehorsams und lassen gewichtige Anlässe zum Protest und des Widerstands ungenutzt. Auch wenn somit der Burgfrieden bewahrt werden kann, wird die anwachsende Enttäuschung der ebenso engagierten und reflektierten Aktiven die Bewegung nach innen und außen schwächen, was wir uns aber in diesen Tagen nicht leisten können.

Monochrome Visionäre

Zuletzt wollen wir einen Blick wagen auf den Vorstoß unseres liebsten monochromen Politikers, jener der Finanzen. Nachdem das Machtwort des Kanzlers die Debatte um den Weiterbetrieb der Atommeiler bis ins Frühjahr  2023 verschoben hat, konzentriert sich Christian Lindner nun auf das Projekt Fracking und die Illusion seiner sauberen Bilanz. Bislang blieb die Welle der Empörung über dieses Ansinnen aus, obgleich eigentlich ein breiter Konsens in der Ablehnung des Fracking über die Parteigrenzen hinweg besteht. Dieses Schweigen könnte daran liegen, dass wir massiv viel Energie einkaufen, die just aus dieser Art der Förderung stammt, unter anderem das LNG aus den Vereinigten Staaten. Hat schon das aus konventionellen Fördermethoden stammende LNG aus Katar eine recht schlechte Ökobilanz – von allen anderen Erwägungen wollen wir hier schweigen –, ist die Schmutzigkeit des Flüssiggases aus den USA horrend. Neben den unkonventionellen Fördermethoden und dessen hohe energetische Kosten liegt dies auch ganz einfach an der Entfernung, die die Energie zurücklegen muss. Die deutsche Einkaufspolitik hat nun für einen massiven Boom im Fracking gesorgt, dessen ökologische Rechnung noch nicht absehbar ist. Lindner kann bei seinem Vorschlag immerhin darauf verweisen, dass wir uns so den Weg sparen könnten und zugleich unseren Dreck hinter der eigenen Haustür hinterlassen würden. Nachhaltigkeit hat ja auch immer etwas damit zu tun, die Folgen des eigenen Handelns vor Augen geführt zu bekommen.

Auch wenn ich mich gerne irren würde, scheint mir die Politik dieser Tage die falschen Weichen zu stellen: Die Umstellung auf regenerative Energiequellen ist keine Maßnahme von heute auf morgen, gewiss, aber die aktuellen Investitionen in die Infrastruktur verweisen eher auf eine anhaltende Verlängerung und Verfestigung des Status quo, der weiterhin auf fossile Energieträger setzt. Eine konsequente Wende hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung wird somit deutlich verzögert, müssen sich Investitionen doch lohnen. Die flüchtigen Impulse hin zu ökologischen Innovationen begnügen sich dagegen bislang mit der Entfesselung von bürokratischen Hürden. Dieses Ungleichgewicht in der Förderung zeigt die falschen Schwerpunkte der Politik. Die Hoffnung bleibt, dass die Klimabewegung schnellstmöglich ihre laute Stimme wiederfindet und zusammen mit jenen aktuellen Protesten für soziale Gerechtigkeit eine breite Phalanx für eine echte sozial-ökologische Wende bildet. Das Versprechen von Hoffnung, ein süßer Selbstbetrug?

Text: Tobias Braun, Bild: pexels, karolina grabowska

Anmerkungen

1 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/strom-rekord-wind-sonne-kohle-gas-101.html

2 https://www.youtube.com/watch?v=JFcYQli5TJM

3 https://www.youtube.com/watch?v=nI9uBOvXVSg

4 https://www.handelsblatt.com/politik/international/energiekrise-europa-kauft-gigantische-mengen-fluessiggas-das-stuerzt-millionen-menschen-in-die-dunkelheit/28556708.html

5 https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/garzweiler-windraeder-muessen-der-braunkohle-weichen-a-d9af257d-3e67-4a16-8010-ac0a80ee602d

6 https://www.klimareporter.de/protest/luetzerath-als-1-5-grad-grenze, https://www.watson.de/nachhaltigkeit/gastbeitrag/984184798-in-luetzerath-verlaeuft-die-1-5-grad-grenze-fridays-for-future-gegen-kohleabbau