Bücherwurm (1): Rassismuskritisch denken lernen

Bestseller-Autorin Tupoka-Ogette teilt Tipps und Tricks für eine rassismuskritische Denkweise. © Alina Schessler

„Wir alle können nichts für die Welt, in die wir hineingeboren wurden. Aber [jede*r] kann Verantwortung übernehmen und diese Welt mitgestalten“, so Tupoka Ogette, eine der bekanntesten Beraterinnen für Rassismuskritik und Antirassismus im deutschen Sprachraum. Ganz nach dem Motto der Bestseller-Autorin starten wir heute eine Serie, die Stück für Stück verschiedene Wege vorstellen wird, um gegen Diskriminierung und für eine gleichberechtigte Welt einzustehen.

Beginnen wollen wir die Reise durch Maßnahmen gegen Diskriminierung mit dem 2017 erschienenen Buch „exit RACISM – Rassismuskritisch denken lernen“ von Tupoka Ogette, das im Sommer 2020 als Spiegel Bestseller ausgezeichnet wurde. Darin erläutert die Autorin die Entstehung und Hintergründe des Rassismus mit Fokus auf Deutschland und beleuchtet die oftmals nicht sichtbaren rassistischen Strukturen, die unser Denken und Handeln prägen. Vor allem aber bietet das Buch Unterstützung in der persönlichen emotionalen Auseinandersetzung mit der eigenen rassistischen Sozialisation und regt dazu an, Denkmuster zu hinterfragen.

Was bedeutet denn nun exit RACISM?

Ogette beschreibt Rassismus als individuelle wie systematische Benachteiligung von Schwarzen, Indigenen und Personen of Color, kurz BIPoC. Er ist ein allumfassendes, historisch gewachsenes Konstrukt, das unser aller Denken und Handeln prägt, da wir in einer rassistischen Gesellschaft aufwachsen, die uns diese Rassismen gewissermaßen in die Wiege legt und einschreibt.

„Wir sind in einer Welt aufgewachsen, der seit über dreihundert Jahren Rassismus tief in den Knochen steckt. So tief, dass es keinen Raum gibt, in dem er nicht zu finden ist. Und einfach nur dadurch, dass Du in dieser Welt lebst, wurdest Du Teil dieses Systems. In der Art, wie Du über Dich und über andere sprechen und denken gelernt hast: durch die Kinderbücher, die Du vorgelesen bekommen hast, die digitalen Medien, die Du von klein auf konsumiert hast, Deine Schulbücher… alles. Kurz gesagt: Du bist rassistisch sozialisiert worden. So, wie viele Generationen vor Dir, seit über dreihundert Jahren.“

Rassismus ist also keine Diskriminierungsform, die nur von Rechten oder Nazis ausgeht, sondern wir alle werden rassistisch sozialisiert und reproduzieren diese Rassismen. Das hinter sich zu lassen und Rassismus zu bekämpfen, bedeutet für Ogette, rassistische Strukturen zu erkennen und dann eine rassismuskritische Haltung zu erlernen.

In „exit RACISM – Rassismuskritisch denken lernen“ bietet Ogette über fünf Phasen der Selbsterkenntnis eine Anleitung zum Reflektieren der eigenen rassistischen Denk- und Handlungsweisen – und das vollkommen ohne Anschuldigungen zu erheben. Phase eins und zwei sind das sogenannte Happy Land und Abwehr, in dem Rassismus keine Rolle spielt oder die eigene Person als Ausnahme und damit nicht rassistisch verstanden wird. Zunächst gilt es also, Happy Land zu verlassen und zu verstehen, dass unsere Welt von weißen Menschen für weiße Menschen kreiert wurde, und dass alle Menschen rassistisch sozialisiert sind sowie Rassismus reproduzieren. In der dritten und vierten Phase spielen vor allem die Akzeptanz und der Umgang mit Scham- und Schuldgefühlen eine große Rolle. In der fünften und letzten Phase schließlich folgt die Anerkennung von Rassismus als realer und wirkmächtiger Normzustand sowie daraus resultierend das Bemühen, das rassistische System an seinen Wurzeln zu bekämpfen.

Diese Phasen mögen hier noch schwer greifbar und sehr theoretisch erschienen. Die Autorin schafft es aber, ein empathisches Klima und tiefgreifende Grundlagen für diesen schwierigen und stellenweise sehr emotionalen Prozess zu kreieren. Insbesondere anonymisierte Tagebucheinträge und persönliche Erfahrungsberichte, die ehemalige Student*innen von Ogette auf ihrer persönlichen antirassistischen Reise geschrieben haben, sorgen für Anschlussfähigkeit und machen sichtbar, dass es vielen ähnlich geht und man als Einzelperson nicht allein in diesem Prozess ist. Gleichzeitig bietet Ogette auch zahlreiche Handlungsoptionen an, um das erlernte Wissen in die Praxis umzusetzen.

Gemeinsam hin zu einer rassismuskritischen Welt

Was ich als von Rassismus nicht-betroffene Person wohl am meisten aus dem Buch mitnehmen konnte, sind folgende Kernthesen: Wir alle, also auch ich, haben Rassismus von klein auf erlernt und müssen diese Sozialisation nun wieder aktiv entlernen. Gerade als weiße Person ist es ein Privileg, sich gar nicht oder nur selten mit Rassismus auseinandersetzen zu müssen und allein die Ablehnung von Rassismus reicht nicht aus, um diesen zu bekämpfen. Umso mehr gilt es, Betroffenen zuzuhören und deren Kritik Raum zu geben. Gleichzeitig sind von Rassismus betroffene Person aber nicht dafür verantwortlich, über Rassismus aufzuklären. Und: Nicht die Intention ist wichtig, sondern wie eine Sache ankommt. Wenn ich etwas nicht rassistisch meine, es aber als solches ankommt, dann ist es trotzdem rassistisch. Ogette nennt hier folgendes Beispiel: Wenn ich einer Person aus Versehen auf den Fuß trete und diese dann Schmerzen hat, ist auch nicht relevant, ob das mit Absicht war oder nicht. Der Effekt und die Schmerzen bleiben gleich. Außerdem würde keine Person sagen, dass die Fußschmerzen nicht gerechtfertigt sind, nur weil das Ganze keine Absicht war. Das Gleiche gilt für rassistische Aussagen: Der Effekt zählt, nicht die Absicht. Zusammenfassend ist es also meine Aufgabe, mich immer wieder neu zu reflektieren und mich weiterzubilden, um dafür zu sorgen, dass ich Stück für Stück meine rassistische Sozialisation entlerne hin zu einer antirassistischen Denkweise.

„Rassismus ist ein hartnäckiger Gegner und lässt sich nur dekonstruieren, wenn immer mehr Menschen ein Bewusstsein dafür bekommen und Rassismuskritik zu ihrem Alltag machen“, so Ogette auf ihrer Website. In diesem Sinne: Lasst uns gemeinsam zuhören, lernen, entlernen und reflektieren hin zu einer rassismuskritischen Denkweise. Denn nur so kommen wir zum großen gemeinsamen Ziel: exit RACISM.

Für diejenigen, die schon weiter auf ihrer rassismuskritischen Reise sind, sind auch weitere Bücher von Tupoka Ogette erhältlich, darunter das im letzten Jahr erschienene Buch „Und jetzt du. Rassismuskritisch leben“. Genaueres zu Tupoka Ogette und ihren Projekten wie Büchern findet sich außerdem hier.

Autor*in: Connie Lutz, Bildrechte: Alina Schessler.
Bildbeschreibung für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen: Das Bild zeigt Tupoka Ogette in einem schwarzen Oberteil an ein Treppengeländer gelehnt von vorne. Sie blickt mit ernstem Gesicht leicht über die Kamera in die Ferne. Im Hintergrund ist ein helles Gebäude mit grünem Fensterrahmen zu sehen.