Rechte Friedenstauben?
Regenbogenfahnen und Friedenstauben waren über Jahre die eindeutigen Symbole der Friedensbewegung. Diese Symbole zu zeigen bedeutete meist auch Kritik an Militär- und Kriegseinsätzen der jeweiligen Regierung. Und wer ist nicht „für den Frieden“? Inzwischen schwenken auch Nazis und „Querdenker*innen“ Fahnen mit Friedensysmbolen. Wer gehört denn nun zur Friedensbewegung?
Die Friedensbewegung entstand von unten, als Ostermarsch-Bewegung in den 50er-Jahren gegen Atomwaffen, und in den 80er-Jahren als Bewegung gegen die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Ost und West. Damals unterzeichneten vier Millionen Bundesbürger*innen den „Krefelder Appell“, der als einzige Forderung den Abbau atomarer Mittelstreckenraketen in Russland und Westeuropa enthielt. Wer diese Forderung unterschrieb, galt als Teil der Friedensbewegung. Gemeinsam war diesen Menschen, dass sie gegen die Stationierung von atomaren Raketen in Ost und West waren, so unterschiedlich sie sonst auch dachten. Da gab es Christinnen und Atheisten, Mitglieder unterschiedlichster Parteien, Umweltschützerinnen und Tierfreunde, Pazifisten und Nicht-Pazifistinnen …
Die Friedensbewegung umfasste also schon seit jeher die unterschiedlichsten Strömungen. Millionen demonstrierten gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Allein zu einer Kundgebung in der damaligen Hauptstadt Bonn kamen rund eine Million Menschen, davon 800 aus Konstanz, für die die Konstanzer Friedensinitiative eigens einen Sonderzug von Konstanz nach Bonn organisiert hatte. Damals war die regierungsamtliche und von den Medien weitgehend übernommene Kritik: Naivität und mangelnde Abgrenzung gegen Links. Erst als die Präsidenten der USA und der Sowjetunion, Reagan und Gorbatschow, den beiderseitigen Abzug der atomaren Mittelstreckenraketen vereinbarten, wurde diese Kritik leiser.
Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist die Lage anders. Gleich geblieben ist das (nahezu ausschließliche) Setzen auf militärische Mittel gegen die Bedrohung. Und gleich geblieben ist auch der Vorwurf an die Friedensbewegung: Naivität und mangelnde Abgrenzung, gegen Rechts diesmal statt gegen Links. Es gibt weder Mitgliedsausweise der Friedensbewegung, noch gibt es eine Zentrale, die ultimativ bestimmen könnte, wer oder was zur Friedensbewegung gehört. Einigkeit besteht aber darüber, dass das bloße „Ich bin für Frieden“ nicht ausreicht. Bei allen Unterschieden der Strömungen gab und gibt es gemeinsame Grundsätze. Wer diese nicht anerkennt, gehört nicht zur Friedensbewegung.
Diese Grundsätze lassen sich in folgenden fünf Punkten zusammenfassen:
1. Die Friedensbewegung ist für weltweite Abrüstung
Die Friedensbewegung tritt für eine (schrittweise) weltweite Abrüstung ein, um das Risiko von Kriegen zu vermindern. Wer beispielsweise nur Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt, aber nicht für Abrüstung ist, macht sein Eintreten für Frieden unglaubhaft.
2. Die Friedensbewegung tritt für die Einhaltung der universellen Menschenrechte ein
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, so ein Kernsatz der Erklärung der universellen Menschenrechte durch die Vereinten Nationen. Diese Menschenrechte sind Teil des Völkerrechts, auch wenn an ihrer Umsetzung noch viel fehlt. Ohne die Anerkennung dieser Grundsätze wird es kein friedliches Zusammenleben geben können.
3. Die Friedensbewegung ist antirassistisch
Rassismus ist eines der Hauptübel der Menschheit. Er wird von Machthaber*innen immer wieder benutzt, um Völker oder Volksgruppen gegeneinander aufzuhetzen und damit Kriege anzuzetteln. So etwa in den Kolonialkriegen, im jugoslawischen Bürgerkrieg 1990 – 2001, und, als schrecklichstes Beispiel, der deutsche Faschismus.
4. Die Friedensbewegung ist gegen die Überhöhung der eigenen Nation
Überhöhung der eigenen Nation gegenüber anderen hat allein in unserem Land zu zwei Weltkriegen geführt. Ein solches Denken erhöht überall in der Welt die Kriegsgefahr. Die Friedensbewegung übt Solidarität mit allen Opfern von Kriegen und mit all jenen, die sich nicht an Kriegen beteiligen wollen.
5. Die Friedensbewegung will Rüstungsausgaben in den zivilen Aufbau umleiten
Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Dazu gehört die Anerkennung der Werte und Sicherheitsbedürfnisse anderer Völker und Nationen. Die Friedensbewegung will seit jeher mit zivilen Maßnahmen Konflikte verringern, um Kriege zu vermeiden. Dazu wäre hilfreich, die riesigen Summen, die in Rüstung und Kriege fließen, in sozialen und wirtschaftlichen Aufbau umzuleiten.
In der historisch gewachsenen Friedensbewegung ist man sich über diese fünf Grundsätze einig. Wer diese nicht teilt, gehört nicht zur Friedensbewegung. Transparente mit Friedenstauben hochzuhalten oder Regenbogenfahnen zu schwenken, reicht dazu nicht aus. Also gehören jene nicht zur Friedensbewegung, die zwar gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind, aber der Aufrüstung das Wort reden, gegen Flüchtlinge und Ausländer hetzen, und immer noch glauben, dass am deutschen Wesen die Welt genesen soll.
Die „Fünf Punkte“ werden auch Gegenstand eines Gesprächskreises sein, zu dem die Konstanzer Friedensinitiative für Do., den 4. Mai 2023 um 19:30 Uhr ins Café Mondial einlädt.
Konstanzer Friedenisinitiative
Bild: Maik Schluroff (KI-generiert)
Als jemand, der 1978 zur „Hoch-Zeit“ des Kalten Krieges voller Überzeugung den Wehrdienst verweigerte, zähle ich mich ebenfalls zur Friedensbewegung. Dennoch bin ich heute für Waffenlieferungen an die Ukraine. Wie geht das zusammen? Es geht zusammen, denn es reicht nicht, den Krieg durch die einseitige Verweigerung von Waffenlieferungen beenden zu wollen, denn dann würden wir Putin die Ukraine überlassen. Mit allen negativen Folgen: Unterdrückung von Freiheit, Kultur und Demokratie, LGBT, Inhaftierung von Oppositionellen, die ganze Bandbreite sowjetischer Machtpolitik. Das wäre kein Frieden, und leider verdanken wir den Waffenlieferungen, dass es die Option, dies zu verhindern, noch gibt. Als Friedensbewegter setze ich auf die Freiheit und die friedvolle Entwicklung von Kunst und Kultur, die Beachtung der Menschenrechte. Meine Adressaten sind deshalb Künstler und Politiker in beiden Ländern, sowie Oppositionelle in Russland. Putin darf nicht gewinnen, damit sich dieses Leben entfalten kann. Genau das ist es aber, was so mancher Gruppierung, die sich jetzt zu den „friedliebenden“ Menschen gesellen möchte, erklärtermaßen wichtiger ist als eine positive Friedenskultur. Sie möchten unter allen Umständen verhindern, dass Putin diesen Krieg „verliert“, ihn sogar „gewinnt“ und das Leben in der Ukraine sich nicht entfalten kann, wie es die Menschen möchten. Genau aus diesem Grund lehnen diese Gruppen Waffenlieferungen ab. Kann man etwa Sarah Wagenknecht ihre Rolle als Friedensengel abnehmen? Die Stärkung der russischen Opposition ist offensichtlich nicht ihre Sache, auch nicht demokratische Kräfte in der Ukraine. Stattdessen zeigt sie viel Verständnis für Putin. Will sie vielleicht nicht, dass er an Macht verliert oder gar verschwindet, und ist das vielleicht der wahre Grund, Waffenlieferungen an die Ukraine abzulehnen, unter dem Deckmantel der Friedensbewegung?
Die Motive all derer, die sich „friedensbewegt“ nennen, sind leider dieser Tage offenbar nicht einheitlich nur „pro Frieden“. Sie müssen differenzierend hinterfragt werden. Alles andere wäre in der Tat naiv. Und Naivität muss man denjenigen vorhalten, die „blind“ Seite an Seite mit allen marschieren, die sich der Symbole der Friedensbewegung bedienen, in Wirklichkeit jedoch ganz andere Interessen verfolgen – Stichwort AfD. Die Ukraine wünscht sich vor allen anderen sehnlichst den Frieden und hat sich genau deswegen zum Kämpfen entschlossen. Es ist kein Widerspruch, wenn sich „die Friedensbewegung“ auf ihre Seite stellt. Auch mit der Billigung von Waffenlieferungen. Putin hat bis jetzt alle Verhandlungsangebote abgelehnt. Leider bestimmt er, wann die Waffen schweigen und Diplomatie an deren Stelle treten kann.
Ob man (ich) mit dieser Haltung noch die fünf Kriterien der Zugehörigkeit zur Friedensbewegung erfüllt, ist wahrlich völlig unwichtig.