Verhandlungen statt Kampfpanzer!

Leopard KampfpanzerBei einer Kundgebung in Tübingen unter dem Aufruf „Keine Kampfpanzer an die Ukraine“ wurde vergangenen Donnerstag eine Rede gehalten, die wir hiermit im Wortlaut veröffentlichen.

Liebe Freundinnen und Freunde

Wir stehen kurz vor dem nächsten Eskalationsschritt im Ukraine-Krieg: Der Entscheidung zur Lieferung deutscher Kampfpanzer.

Ich beginne deshalb mal mit jemandem, den ich in früheren Jahren selten zitiert habe – und wenn, dann eher als abschreckendes Beispiel: Mit Erich Vad.

Vad ist Ex-Brigadegeneral und war langjähriger militärischer Chefberater im Kanzleramt.

Kürzlich gab er der Emma ein Interview, das es in sich hatte. Er warnte darin vor einer „Eigendynamik“ und einer „Rutschbahn“, die in einen Krieg der NATO mit Russland führen könnte – ich zitiere mal daraus:

„Will man mit den Lieferungen der Panzer Verhandlungsbereitschaft erreichen? Will man damit den Donbass oder die Krim zurückerobern? Oder will man Russland gar ganz besiegen? Es gibt keine realistische End-State-Definition. Und ohne ein politisch strategisches Gesamtkonzept sind Waffenlieferungen Militarismus pur.“

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich glaube es ist sogar noch viel schlimmer: nämlich dass hinter den westlichen Waffenlieferungen durchaus ein Plan steckt – und zwar ein sehr gefährlicher und perfider Plan.

1. Waffenlieferungen

Erst einmal aber zu den Fakten – bisherige westliche Waffenlieferungen an die Ukraine (inkl. Zusagen): USA: 22,9 Mrd. Euro // Deutschland: 2,34 Mrd. Euro
Bezahlt werden die deutschen Waffenlieferungen nicht aus dem Verteidigungshaushalt, sondern aus dem Allgemeinen Haushalt.

Außerdem gibt es ein EU-Budget für Waffenlieferungen, in das Deutschland 25 Prozent einzahlt. Der Name dieses Budgets ist mehr als zynisch: „Europäische Friedensfazilität“.

Allein 2022 wurden über die Friedensfazilität 3,1 Mrd. Euro für Waffen an die Ukraine bezahlt. Am Montag soll die nächste Tranche mit weiteren 500 Mio. beschlossen werden.

Nicht nur die Beträge, auch die Feuerkraft der gelieferten Waffen nimmt ständig zu – man kann förmlich zusehen, wie die Eskalationsleiter immer weiter hochgeklettert wird: Erst waren es Helme, dann Panzerhaubitzen, dann Flakpanzer (Gepard), jetzt Schützenpanzer (Marder) und, wie gesagt, nun werden die Forderungen nach Leopard-2-Panzern immer lauter.

Schon fordert der jetzige ukrainische Vizeaußenminister und frühere Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk vom neuen deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius Kampfjets und Kriegsschiffe.

Liebe Freundinnen und Freunde,

Wir lehnen diese Waffenlieferungen kategorisch ab – und zwar mit guten Gründen. Ich will einmal einige aufzählen:

2. Eskalationspotenzial

Die Gefahr, dass es zu einem Krieg zwischen der NATO und Russland kommt, ist real – und sie nimmt zu.

Seit Mai werden in Deutschland ukrainische Soldaten für die Panzerhaubitzen 2000 ausgebildet. Jetzt sollen ukrainische Soldaten an den Marder-Schützenpanzern ausgebildet werden.

Das ist brandgefährlich: Ich erinnere hier nur an das im Mai 2022 erschienene Gutachten (Hier als PDF-Download) des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme

Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, die Lieferung von Kriegsgerät sei noch nicht als Kriegsbeteiligung zu werten, die Ausbildung ukrainischer Soldaten an diesen Geräten hingegen schon.

Liebe Freundinnen und Freunde,

eine deutsche de facto Beteiligung an einem Krieg mit einer Nuklearmacht ist nichts anderes als ein Würfelspiel mit der Katastrophe und ein unverantwortliches Spiel mit dem Feuer!

3. Waffen für den Abnutzungskrieg

Das ist aber nur ein Grund, gegen diese Waffenlieferungen zu sein. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, was mit ihnen bezweckt werden soll:

Zur Erinnerung: Ende März standen die Ukraine und Russland kurz vor einer Verhandlungslösung. Es lag bereits ein unterschriftsreifes Dokument vor.

Was dann passiert ist, ist nicht ganz klar, aber es lässt sich nachweisen, dass vom Westen klar signalisiert wurde, dass eine Verhandlungslösung unerwünscht ist. Und es war genau zu diesem Zeitpunkt, als Umfang und Feuerkraft der westlichen Waffenlieferungen enorm zunahmen. Das war nichts anderes als die klare Botschaft an die Adresse der Ukraine den Krieg fortzusetzen.

Doch mit welchem Ziel? Boris Pistorius erklärte dazu:

„Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen!“

Was heißt das? Und vor allem, ist das realistisch?

Wohl kaum, selbst US-Generalstabschef Mark Milley gab schließlich an, er halte es für ausgeschlossen, dass die Ukraine den Sieg auf dem Schlachtfeld davontragen könnte. Sie habe das maximal mögliche erreicht, nun müssten Verhandlungen aufgenommen werden.

Doch genau das wird abgelehnt – wenn aber Waffen im vollen Wissen geliefert werden, dass sie nur zu einem Abnutzungskrieg und weiteren Todesopfern führen, dann ist wohl genau das das Ziel.

John Mearsheimer – einer der bekanntesten US-Politikwissenschaftler und bestimmt kein Pazifist – kritisierte vor einer Weile, Washington habe keinerlei Interesse an einer Verhandlungslösung. Es wolle stattdessen den Krieg so lange wie nur möglich fortsetzen – bis zum letzten Ukrainer, wie er es formulierte -, um dadurch Russland so weit als möglich zu schwächen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

das ist es, was die westlichen Waffenlieferungen eigentlich bezwecken sollen!

Und deshalb bin ich nicht nur schockiert, ich bin auch wütend über all diejenigen, die ohne Sinn und Verstand nach immer mehr Waffen krakeelen!
Das muss aufhören!

4. Deutsche Schlüsselrolle

Und zwar auch, weil Deutschland hier eine Schlüsselrolle spielt.

Als Herstellernation muss es grünes Licht für die Lieferung von Leopard-2-Panzern geben.

Polen hat ja zum Beispiel bereits angekündigt 14 Leopard 2 liefern zu wollen.

Wir müssen endlich raus aus dieser Eskalationsspirale und die Ablehnung der Kampfpanzerlieferungen wäre ein wichtiger erster Schritt. Auch eine Mehrheit der Bevölkerung ist gegen die Kampfpanzerlieferungen!

Abschließend sei deshalb noch einmal Erich Vad zitiert, mit dem ich auch begonnen habe:

„Man kann die Russen weiter abnutzen, was wiederum Hundertausende Tote bedeutet, aber auf beiden Seiten. Und es bedeutet die weitere Zerstörung der Ukraine. […] Es muss sich in Washington eine breitere Front für Frieden aufbauen. Und dieser sinnfreie Aktionismus in der deutschen Politik, der muss endlich ein Ende finden. Sonst wachen wir eines Morgens auf und sind mittendrin im Dritten Weltkrieg.“

Deshalb: Verhandlungen statt Kampfpanzer!

Text: Jürgen Wagner
Zuerst veröffentlicht auf: www.imi-online.de
Symbolbild: Pixabay