„Wer sich mit Akteuren wie KenFM gemein macht, der weiß, was er tut“ (II)

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Die Nachdenkseiten (NDS) sind ein bei Gewerkschafts-Linken und in klassisch linken Kreisen sehr einflussreiches und weit verbreitetes Internetportal. Gegründet unter anderem von Albrecht Müller, kommt das Projekt von links, hat sich jedoch nach und nach bis heute zu einem Querfront-Medium gewandelt, „das die Bezüge zur radikalen Rechten zwar indirekt, aber ganz bewusst herstellt“. Zudem dienten die NDS als „Scharnier für Verschwörungstheorien“. So lauten einige der Befunde, die der Trierer Politikwissenschaftler Markus Linden in einem Gutachten präsentiert. Wolfgang Storz interviewte ihn per E-Mail.

Teil 2/3

Wolfgang Storz: Welcher der Befunde, die Sie erhoben haben, ist für Sie der wichtigste?

Markus Linden: Es ist ein Gesamtbild, welches mich dann doch verblüfft. Meines Erachtens könnte man ein Medium wie die Nachdenkseiten noch durchaus geschickt-manipulativer gestalten. Die Grundlinie ist doch letztlich für geübtere LeserInnen offensichtlich. Und doch scheint es gerade das Mantrahafte des immer Gleichen zu sein, welches auch die LeserInnenschaft anspricht. Aus meiner alltäglichen Arbeit kenne ich natürlich einige Beispiele, die man im Sinne der Nachdenkseiten in ideologischer Absicht aufarbeiten könnte. Es kommt aber immer wieder Dasselbe. Wirkliche Recherche wird gar nicht betrieben. An Differenzierung ist das Medium nicht interessiert.

Vor einigen Jahren hatten die Nachdenkseiten Malu Dreyer zu einem Vortrag geladen. Damals schien ein Richtungswechsel beziehungsweise methodischer Pluralismus durchaus möglich. Wer aber russische Staatsmedienmacher wie Herrn Rodionov als Experten für Medienkritik präsentiert und dann behauptet, neutral zu berichten, der kann aus der Sicht politisch gebildeter Menschen nicht als ernsthafter Medienmacher wahrgenommen werden.

Insofern disqualifiziert sich auch die Phalanx derjenigen, die dort auftreten. Sei es Lisa Fitz, nach deren verschwörungstheoretischen Videos auf SchrangTV ich mich über die vorerst weitere Zusammenarbeit mit dem SWR gewundert hatte, oder die ebenfalls verschwörungsideologisch und mit systematischen Falschaussagen operierende Ulrike Guérot. Man wandelt auf einem Grat zwischen Profilneurose und radikaler Systemablehnung. Das ist schade, denn konstruktive Kritik ist eine Triebfeder politischer Öffentlichkeit. Die Kritik auf den Nachdenkseiten ist aber insofern Selbstzweck, als jede Publikation das Selbstbild des radikal „Alternativen“ stützen muss.

Wolfgang Storz: Was sind für Sie die NDS heute, links oder rechts oder querfrontlerisch oder von allem etwas?

Markus Linden: Die Nachdenkseiten sind ein von links kommendes Querfrontmedium, das die Bezüge zur radikalen Rechten zwar indirekt, aber ganz bewusst herstellt. Sie sind ein Scharnier für Verschwörungstheorien.

Markus Linden lehrt als außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier. Seine Promotion zum Thema „Politische Integration im vereinten Deutschland“ (2006) und die Habilitation über „Einschluss und Ausschluss durch Repräsentation“ (2014) sind als Monografien im Nomos-Verlag erschienen. Linden forscht und publiziert zum Thema „Theorie und Empirie der Demokratie“. Hierbei bilden die digitale Öffentlichkeit und die Geistesgeschichte radikaler Gegenwartsbewegungen aktuelle Schwerpunkte.

Dr. Wolfgang Storz (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau.

Wolfgang Storz: Welche Versatzstücke im Denken von Linken werden für die Macher eines solchen Mediums zur Rutschbahn der Gesinnung, um irgendwann rechts außen und/oder in der Ecke der VerschwörungserzählerInnen zu landen?

Markus Linden: Eine schwierige Frage, die ich nicht systematisch untersucht habe. Insgesamt ist zu beobachten, dass die Rechte sich mittlerweile gerne mit einer linken Wirtschaftspolitik schmückt. In dieser Szene kenne ich mich gut aus und glaube deshalb sagen zu können, dass man bewusst auf die Errichtung einer Querfront zielt. Wer Alice Weidels Rede im Bundestag am 27.02.2022 gehört hat, in der sie den Ukraine-Krieg mit einer westlichen Kränkung Russlands erklärte, der fühlte sich an die ideologischen Avancen aus Schnellroda erinnert. Die Linke wiederum zielt weniger direkt auf rechte Ideologien. Man ist intern in der Defensive, da emanzipatorische Ansprüche mittlerweile von Gruppen geäußert werden, die man nicht mit klassisch linken ökonomischen Forderungen in Verbindung bringt. Zugespitzt spricht man von Identitätspolitiken, die auch als Bedrohung einer klassisch linken Weltsicht wahrgenommen werden, in der Emanzipation vor allem oder gar allein von der Konfliktlinie Arbeit-versus-Kapital bestimmt wurde. Hinzu kommt der neoliberale Diskurs Anfang der 2000er und die damalige Einseitigkeit mancher Leitmedien. Trotzdem entstand daraus keine große kapitalismuskritische Bewegung von Relevanz. An den Wahlurnen scheitern diese Ansätze regelmäßig. All diese Einzelaspekte führten offensichtlich zu einer massiven Verbitterung einzelner Akteure, die deshalb den Weg der radikalen Systemkritik wählen, um hörbar zu werden und Allianzen zu bilden.

Wolfgang Storz: Welche Funktion erfüllen denn diese Verschwörungsgeschichten und Fundamentalkritik?

Markus Linden: Verschwörungserzählungen helfen, den wahrgenommenen elektoralen Misserfolg zu erklären, auf den ich eben hingewiesen habe. Selbst die Corona-Pandemie musste dafür herhalten. Um eines noch einmal klarzustellen: Es geht mir beispielsweise im Zusammenhang mit dem Corona-Krisenmanagement nicht um die Kritik an Einzelmaßnahmen. Die ist völlig legitim und Maskendeals von Parlamentariern gehören bestraft. Den Nachdenkseiten geht es aber ausschließlich um die Fundamentalkritik. Sie stellen Institutionen als durchweg korrumpiert und nicht reformierbar dar. Dazu werden dann sogar die Argumente und ScheinexpertInnen der Corona-LeugnerInnen-Szene herangezogen. Diese Kritik übersteigt das Maß herkömmlicher Rationalität, nur um Aufmerksamkeit zu erregen. Dabei wird dann aber zu den Kernauseinandersetzungen innerhalb der Linken überhaupt keine Stellung bezogen, sei es das Verhältnis von gruppenbezogener Emanzipation und Demokratie oder die Frage nach dem Verhältnis von geografischen Grenzen und Demokratie.

Wolfgang Storz: Die NDS sehen sich als alternatives Medium, sie werden auch von Dritten so bezeichnet. Ist das in Anbetracht Ihrer Befunde nicht eine zu positive Charakterisierung?

Markus Linden: Es war ein geschickter Schachzug der AfD und der Alternativmedien, sich diese Bezeichnung zu geben. Denn in der Tat führten Anfang der 2000er Jahre Schröders Kommissionitis und die sich anschließenden Großen Koalitionen zu einer mangelnden Alternativen-Setzung im politischen System. Eine Alternative offeriert die Szene aber nicht, da keine positiven Gegenmodelle geschaffen werden. Hier denke ich nicht einmal an eine Utopie, der ich als Vertreter einer demokratietheoretischen Pluralismustheorie im Anschluss an Ernst Fraenkel eher skeptisch gegenüberstehe, sondern ich denke nur an eine bloße Reformperspektive. Eine solche könnte aber das Grundnarrativ von der ewig betrügenden und zudem fremdgesteuerten Elite untergraben. Die alternativlose Hoffnungslosigkeit ist quasi ein Programmpunkt der selbsternannten Alternativmedien, was als Phänomen faszinierend ist. Die rechte Seite dieses Spektrums hat jedoch ein Programm — und sie obsiegt bisweilen bei Wahlen, etwa in den USA, Polen und Ungarn. Es ist ein großes Problem, dass die selbsternannten Alternativmedien in ihrem Hass auf den US-amerikanischen Neoliberalismus derartige Politiken zumindest indirekt unterstützen.

Wolfgang Storz: Wie müssten die NDS noch argumentieren oder was müssten sie noch tun, damit Sie sagen: Damit haben sie ihren links-emanzipativen Anspruch komplett eingebüßt?

Markus Linden: Dazu müssten sie noch den Schritt zur Fremdenfeindlichkeit gehen.

Wolfgang Storz: Was muss sich bei den NDS noch ändern, damit Sie sagen: Jetzt sind sie gegenüber der hiesigen parlamentarisch-pluralistischen Demokratie nicht mehr nur kritisch, sondern ihr feindlich gesonnen?

Markus Linden: Die prinzipielle Systemfeindlichkeit spiegelt sich bereits in manchen Artikeln und in den undifferenziert aufgelisteten Empfehlungen. Aber schlimmer geht bekanntlich immer. Es ist auffallend, dass die Nachdenkseiten das offensive Widerstandsparadigma rechter Alternativmedien nicht so dezidiert artikulieren. Insofern verbleibt man in der Rolle klassischer Ideologiekritik. Die Widerstandsrhetorik wird eher en passant mitgenommen, etwa in Interviews oder durch Verlinkungen. In dieser Hinsicht ist man beispielsweise noch weit von der Agitation des rechtsextremen Compact-Magazins entfernt. Auch die Bereiche „Esoterik“ und „quasi-religiöse Apokalyptik“ werden von den Nachdenkseiten gemieden. Hier erfolgt auch die Scheidelinie zwischen ihrem Medienpartner „Westend-Verlag“ und den absurden Publikationen des „Kopp-Verlags“.

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Weitere Informationen

  • Die Analyse von Markus Linden lesen Sie hier.
  • Weitere Informationen über die Arbeitsweise der NDS und eine juristische Auseinandersetzung, welche die Otto Brenner Stiftung und Wolfgang Storz erfolgreich gegen die NDS führten, finden Sie hier.

Text: Wolfgang Storz. Bild: The dead end of railway line, Autor Vaikoovery, This file is licensed under the Creative Commons Attribution 3.0 Unported license. By <a href=“//commons.wikimedia.org/wiki/User:Vaikoovery“ title=“User:Vaikoovery“>Vaikoovery</a> – <span class=“int-own-work“ lang=“en“>Own work</span>, CC BY 3.0, Link
Dieses Interview erschien zuerst auf bruchstücke. Blog für konstruktive Radikalität, und zwar hier.