Corona: Angst essen Seele auf

Stillstand in Konstanz, wohin man auch schaut. Heribert Prantl, Chefartikler der Süddeutschen Zeitung, nennt den momentanen Zustand eine „Virolokratie“ und befürchtet weitere Maßnahmen, mit denen immer mehr Grundrechte außer Kraft gesetzt werden könnten. Überlegungen, die auch uns in der seemoz-Redaktion beschäftigen. Wie umgehen mit einer Situation, die fast stündlich neue Horrorszenarien an die Wand malt? Wie sie einschätzen?

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Verrammelte Geschäfte, geschlossene Kindergärten und Schulen, verwaiste Bildungs- und Kulturstätten, verbarrikadierte Grenzen. Dazu täglich neue Verordnungen, die Ängste schüren und die unseren Alltag fast über Nacht drastisch verändert haben. „Social distancing“, so der kalte Begriff, nach dem wir derzeit leben sollen, und nach Expertenmeinung vielleicht noch über Monate hinweg. Das aber wird unsere Gesellschaft auf Dauer nicht aushalten, wirtschaftliche und vor allem soziale Verwerfungen größten Ausmaßes sind zu erwarten. Schon jetzt ist zu beobachten, dass vor dem Virus eben nicht alle gleich sind. Die Krise droht einmal mehr die vielen am härtesten zu treffen, denen die kapitalistische Ordnung sowieso schon prekäre Existenzen aufbürdet.

Was passiert da mit uns, was macht „das“ mit uns? Keine Frage: Die einfachsten Maßnahmen wie Sicherheitsabstand und Vermeidung körpernaher Versammlungen sind ernst zu nehmen und auch einzuhalten. Wer in diesen Tagen noch „Corona-Partys“ feiert, outet sich in der Tat als asozial und öffnet jenen die Türe, denen der Sinn nach totaler gesellschaftlicher Kontrolle steht. Und das sind nicht wenige.

Die Zustimmung für autoritäre Einpeitscher steigt und das ist das eigentlich Bedenkliche. Wer da noch zaghaft an Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit erinnert, dem pfeift zunehmend ein scharfer und aggressiver werdender Wind ins Gesicht. Mittlerweile scheint eine Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr viel gegen eine totale Ausgangssperre zu haben, obwohl diese – und da muss man kein Epidemiologe oder Virologe sein – nichts bringen wird und schon gar nicht alternativlos ist. Wenn es aber doch dazu kommt, und das ist zu befürchten, wird der Weg zurück zu normalen, sprich demokratischen Verhältnissen, kein leichter sein.

Auch in Krisenzeiten verstehen wir uns in der seemoz-Redaktion nicht als willfähriges Verlautbarungsorgan, das kritiklos die sich zuspitzenden Verhältnisse einfach so hinnimmt. Gerade jetzt muss es weiterhin möglich sein, restriktive Verordnungen zu hinterfragen und Rechte zu verteidigen, die unsere Vorfahren mühsam erkämpft haben. So verstehen wir auch die Aufgabe einer freien und unabhängigen Presse, deren Aufgabe es nicht sein kann und darf, dem Eindampfen von Persönlichkeitsrechten das Wort zu reden. Im Gegenteil müssen jetzt erst recht kritische Fragen gestellt werden, etwa zum Zustand des jahrzehntelang zusammengestrichenen öffentlichen Gesundheitswesens oder den miesen Lohn- und Arbeitsverhältnissen für Pflegekräfte. Warum verbietet man Menschenansammlungen auf Parties, lässt aber solche in Werkshallen zu? Nur einige von vielen sich aufdrängenden Fragen.

Sicher, auch wir haben keine Patentrezepte für eine nie dagewesene Situation. Von einem aber sind wir überzeugt: Die Demokratie droht ernsten Schaden zu nehmen, wenn wir der Versuchung erliegen, die Ausnahmesituation mit autoritären Mitteln zu bewältigen. Sie könnten, auch wenn alles vorbei ist, schnell zur Normalität werden. Die Antwort auf die Pandemie darf deshalb nicht eine allmächtige Obrigkeit sein, gefragt ist jetzt solidarisches Engagement von unten. Wie so etwas trotz „social distancing“ geht, zeigen Nachbarschaftsinitiativen, die Hilfe für Ältere und Kranke etwa beim Einkauf organisieren. Dem wollen wir dann auch gerne das Wort reden.

Redaktion

Bild: SARS-CoV-2-Viren (gelb) unter dem Elektronenmikroskop. Credit: NIAID-RML, CC BY 2.0