Im Schatten der Kugel
Seit Wochen legen die Balltreter aus sechzehn Ländern das öffentliche Leben lahm. Alles stiert, latent paralysiert oder zwangseuphorisiert, auf Leinwände der unterschiedlichsten Größen. Auch die seemoz-Mitarbeiter können sich dem verordneten Spektakel nicht völlig entziehen
Die Herren A, B und C verabreden sich zum Spiel der Deutschen gegen die Portugiesen im Konstanzer Naturfreundehaus. Die Küche dort weist solide Speisen zu zivilen Preisen auf. Rund um die Sitzbänke sprießt gepflegtes Grün, die Abendsonne lächelt milde und in Sichtweite plätschert träge der Rhein dahin. Im Gebäude ist alles vorbereitet: Zwei voneinander getrennte Räume, Raucher und Nichtraucher, in beiden eine formidable Großleinwand. Noch herrscht Ruhe und naturfreundliche Beschaulichkeit.
A meint, die Örtlichkeit sei auch politisch korrekt, denn erstens habe hier schon der Hitler-Attentäter Georg Elser gesessen und zweitens fühlten sich die Naturfreunde, so stehts zumindest immer noch in der Satzung, dem Sozialismus verbunden. B und C nicken beifällig und vertiefen sich in ihre Schnitzel, die eine liebliche Allianz mit Fertigsosse eingegangen sind und mit den beigefügten Pommes die Sinne der Hungernden vernebeln.
Einig sind sich alle erstmal darin: „Wenn die so kicken wie gegen die Ösis, dann gibt’s einen auf die Mütze heute“. B hofft dennoch auf ein Wiedererstarken der Deutschen, A und C halten das für ziemlich ausgeschlossen und tippen auf die Ballartisten von der iberischen Halbinsel. Immer noch herrscht angenehme Ruhe. Endlich gesättigt, füllen A, B und C schon vor dem Spiel das imaginäre Phrasenschwein: „Sie müssen die Räume eng machen“, „Pressing ist angesagt“, „die Portos kochen auch nur mit Wasser“.
Dann, die Uhr rückt auf 20.15 Uhr, taucht ein Kleinwagen auf. Junge Männer steigen aus und geben sogleich eine Visitenkarte ihres Sprachvermögens ab: „DOITSCHLAND!“ Das war es dann mit der Beschaulichkeit. Mit Tröten, einem Megaphon und einer Deutschlandflagge ziehen die Fans um die Tische und treiben den Geräuschpegel deutlich nach oben. A kann das gar nicht leiden, zischt verächtlich: „Flacheimer“ und wird muffig. B steuert gegen: „Lass sie doch, das ist doch harmlos“, C sagt gar nichts.
Wenn A muffig ist, dann mit Anlauf: „Können wir ja froh sein, wenn die nicht den rechten Arm hoch reißen“. B kontert: „Zyniker, du redest Quatsch“. C sagt nun doch was, aber nicht viel: „Na ja, geht ja noch, meine Güte…“.Man einigt sich immerhin soweit: Dummheit ist beileibe kein rein deutsches Phänomen und Europa wächst diesbezüglich über alle Grenzen hinweg hurtig zusammen.
Zum Spiel verdrücken sich A und C zu den älteren Herren in den Nichtraucherbereich, B aber will echte Fanatmosphäre geniessen und gesellt sich demonstrativ zu den jugendlichen Krawallisten. Am Ende eines wirklich guten Spiels mit einer erstaunlich geschweinsteigerten Truppe um Ballack und Co sind sich A, B und C dann doch noch einig: „Die besseren Einzelspieler haben gegen die bessere Mannschaft verloren“. Friedlich geht man auseinander.
A schwingt sich auf sein Fahrrad, um in der Altstadt noch einen lauschigen Biergarten aufzusuchen, macht aber den Fehler, den Weg dorthin über den Lutherplatz zu nehmen. Hier wird er eingekeilt zwischen Fans, oder solchen, die sich dafür halten. „DOITSCHLAND“ tönt es da aus meist besoffenen Kehlen und gerade mal 14-jährige, voll wie die Eimer, üben sich im Absingen vertrauten Liedgutes: „Humba, humba, täterä“.
Dazu fahren unzählige Automobilisten hupend um die Lutherkirche im Kreis und bessern deutlich ihre Ökobilanz auf. Anderntags wird A im Internet lesen, bei diesem sinnvollen Tun habe es sich um soetwas wie einen“Triumphzug“ gehandelt. Man lernt eben nie aus.
A versucht, sich mit seinem Fahrrad eine Gasse durch die Menge zu erarbeiten und flucht leise vor sich hin: „Bekloppt alle miteinander“. Zwei neben ihm stehende Sportkameraden hören das und nehmen direkten Kontakt auf zu A. „Hallo Alter, bist´n Kanacke oder n`Doitscher?“ A erklärt den Sympathieträgern, dass er eigentlich schwarzer Hautfarbe sei, aber nun vor Schrecken weiß geworden wäre. Der Fragesteller „denkt“ kurz nach, ob er was drauf sagen soll oder A lieber seine Faust spüren lässt. A erspäht rechtzeitig eine Lücke in der Menge und macht sich körperlich unversehrt davon.
DOITSCHLAND fährt weiter um eine Kirche und aalt sich genüsslich in einer Gemütslage, die die Tageszeitung vor Ort als eine Art verträglichen Patriotismus bezeichnet hat. Ein letzter Kampfruf dringt noch an A`s Ohr, man übt schon für das nächste Spiel: „Zack, zack, zack, Jugos auf den Sack“. Davon abgesehen, dass es dieses Land gar nicht mehr gibt, passt der intelligente Reim auch auf die Türken, da jene doch etwas überraschend gegen die Kroaten gewonnen haben und somit am Mittwoch gegen Doitschland spielen. Auf Wiedersehen an der Lutherkirche zum völkerverbindendem Großkampftag.
Autor/In: Herr A