Viel Solidarität und einige kleinkarierte Geister
In den vergangenen Tagen haben uns wegen der Attacken von Rechtsextremen, denen wir seit Wochen ausgesetzt sind – darunter einige ernstzunehmende Morddrohungen – viele Solidaritätsbekundungen erreicht. Auch von Leuten aus völlig unterschiedlichen politischen Lagern; eine, über die wir uns besonders gefreut haben, dokumentieren wir am Ende dieses Artikels. Aber fast alle sendeten die einzig richtige Botschaft: Lasst Euch nicht einschüchtern. Und genau das haben wir auch nicht vor
Deutlich und unmissverständlich wurde in den Solidaritätsadressen der Versuch aus der rechtsradikalen Ecke verurteilt, uns bei der Berichterstattung über faschistische Umtriebe auch hier im Landkreis Konstanz einzuschüchtern. Unterstützung kam von verschiedenen Organisationen: Stolpersteine Konstanz, VVN Berlin, VVN Stuttgart und VVN Konstanz, Deutsch-Israelische Gesellschaft Bodensee, Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Konstanz, Linke Kreisverband Konstanz und Linke Liste Konstanz. Dazu aufmunternde Zeilen von FreundInnen und KollegInnen und Berichterstattung in mehreren Medien: SWR, Radio Seefunk, Online-Magazin Kontext (Stuttgart), Qlt Konstanz, Neues Deutschland (Berlin) und Radio 7. Ihnen und Euch allen dafür ein herzliches Danke.
Wäre der Anlass nicht ein trauriger gewesen, hätte man über die Berichterstattung des Konstanzer Blogs Käse-online mit dem Spezialgebiet Küchenbrände, Verkehrsbehinderungen und Ertrinkungstote, aber vor allem über die des Südkuriers noch halbwegs schmunzeln können. Das Heimatblatt wehrte sich lange standhaft gegen eine Berichterstattung. Erst nach Protesten von anderer Seite knickte die Lokalredaktion schließlich ein und informierte ihre LeserInnen, allerdings mit verklemmter Halbherzigkeit. „Die Polizei Konstanz“, so der Südkurier am 11.10., „ermittelt gegen Rechtsextreme, die zwei Konstanzer Journalisten bedroht haben sollen“. Und weiter: „Holger Reile und Hans-Peter Koch behaupten, sie seien massiv bedroht worden“.
Wer zwischen diesen Zeilen liest, dem wird unterschwellig suggeriert, dass die Bedrohungssituation eventuell von unserer Seite erfunden wurde. Und das, obwohl wir schon vor rund zwei Wochen eine Mail aus der rechtsradikalen Ecke an Lokalchef Jörg-Peter Rau weiterleiteten, die nichts anderes war als eine klassische Morddrohung. Mag sein, dass hier SK-Geschäftsführer Rainer Wiesner und SK-Chefredakteur Stefan Lutz ihre Finger im Spiel hatten, die mit unseren Veröffentlichungen über Verhältnisse beim Südkurier nicht wirklich zufrieden sind. In ähnlichem Brackwasser dümpelte Käse-online. Dort war über eine „mutmaßliche“ Bedrohung zu lesen. Ihren am 7.10. formulierten Vorwurf, wir würden uns als „Märtyrer“ aufspielen, wollen wir hier aus Gründen der Hygiene nicht weiter kommentieren. Jeder entlarvt sich selbst so schäbig, wie er kann.
Mittlerweile hat die Konstanzer Gemeinderatsfraktion der SPD reagiert und uns ihrer vollen Solidarität versichert. In ihrer Pressemitteilung mahnt sie aber deutlich an, dass der Konstanzer Aufruf gegen Neofaschismus, vor einigen Jahren einstimmig verabschiedet, „kein Lippenbekenntnis“ sein dürfe. Von mehreren Seiten wird auch gefordert, dass sowohl Oberbürgermeister Uli Burchardt als auch der Gesamtgemeinderat zu den aktuellen Bedrohungen Stellung nehmen sollten, denn schließlich sei mit Holger Reile auch ein Stadtrat ins Visier von gewaltbereiten Rechtsradikalen geraten.
Autor: Redaktion
Und hier ein Beitrag aus der „Kreuzlinger Zeitung“, für den wir uns bei den Kolleginnen und Kollegen im befreundeten Ausland grenzüberschreitend herzlich bedanken:
Grenzüberschreitend und kritisch
Kreuzlingen – Hier hat die Schreibe noch Pfeffer und auch heisse Eisen werden angepackt: Holger Reile und Hans-Peter Koch halten auf ihrem grenzüberschreitenden Blog «seemoz» dem Ideal des kritischen Journalismus die Stange. Dabei schreiben sie stets informativ und unterhaltsam – auch über Kreuzlinger Themen.
«Kritisch – wiederborstig – informativ» zu sein, das schreiben sich die Macher des Konstanzer Blogs seemoz auf ihre virtuellen Fahnen. Wer seine Informationssuche über das Geschehen in der Region mit einem erfrischenden Seitenblick vervollständigen will, der kommt an den Artikeln, die Holger Reile und Hans-Peter Koch dort veröffentlichen, nicht vorbei. «Lesenswertes aus Kultur und Politik für den Bodenseeraum und das befreundete Ausland» beinhaltet auch regelmässig Kreuzlinger Themen, neben dem Theater an der Grenze auch Boulevard oder Xentrum. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit gefällig? Was Stadt und Bodensee-Arena sich mit dem unsäglichen Freiwild-Konzert für ein Ei ins Nest gelegt hatten, deckten die «Seemotzer» als Erste auf. Klar darf man sich fragen, ob über solch eine Band nicht besser der Mantel des Schweigens gelegt werden sollte, spielt doch jede Berichterstattung, auch kritische, nur den kalkulierenden «Musikern» und ihren Geldbeuteln in die Hände. Unnötige Publicity. Trotzdem sei jedem, der kritisch und unterhaltsam informiert werden möchte, der Nachbericht zum Konzert wärmstens empfohlen.
Man kann dem Blog nämlich vorwerfen, was man will, zum Beispiel dass oft genörgelt wird ob des Nörgelns Willen. Aber nicht, dass dies nicht unterhaltsam sei. In welcher Publikation darf denn sonst schon vom Sealife als dem «Fischeknast» oder von den Veranstaltern staubiger Kulturevents und ihren wenigen Besuchern als dem Mottenkistenbürgertum die Rede sein? Oder im Freiwild-Nachbericht: Braune Pfützen, die immer grösser werden. Herrlich.
Morddrohungen an die Redakteure
Besonders lobenswert ist, dass sie mit ihrer Veröffentlichungspolitik auch dahin gehen, wo’s wehtut. Jüngstes Beispiel sind die Enthüllungen über Armin Schrott, den stellvertretenden Kreisvorsitzenden der NPD Bodensee-Konstanz. Er arbeitet bei der Deutschen Post. Einem Unternehmen, das eigentlich keine rechtsradikalen Aktivitäten in seinen Betrieben dulden will. Seit dem Erscheinen des Artikels über den gefährlichen braunen Biedermann wird die seemoz-Redaktion mit Morddrohungen bombardiert. Dass die Redaktoren dies nicht auf die leichte Schulter nehmen, ist klar. Sie schalteten die Polizei ein. Zeitgleich kamen Solidaritätsbekundungen von anderen Schreibstuben aus der Region, hiermit auch von der Redaktion der KreuzlingerZeitung. Die Einschüchterungsversuche und Drohungen aus dem Neonazi-Millieu sind aufs Schärfste zu verurteilen.
S(üdkurier)kandal
Auf eine solche Erklärung vom Südkurier wird hingegen noch gewartet. Diesen Mittwoch fand das Blatt aber in anderer Weise Erwähnung auf dem Konstanzer Blog: Wegen seinem Wandel von der unabhängigen Tageszeitung zum Anzeigenblatt. Der Allensbacher Autor Wolfgang J. Koschnick hatte zu seinem neuen Buch «Der grosse Betrug. Die hartnäckigsten Lügen und Irrtümer über die Werbung» einem Südkurier-Redaktor ein Interview gegeben. Doch dieses durfte nie erscheinen, so die Order von oben. Darüber war Koschnick selbstredend wenig erfreut. In der von seemoz veröffentlichten Mail an ihn gibt sein Interviewer den Grund für die Selbstzensur ganz unverhohlen preis: Angst vor Werbekunden. «In unserem Medienhaus würde das Interview auf wenig Verständnis stossen, da wir zu einem guten Teil vom Verteilen und Abdrucken von Werbung leben», so der Originalwortlaut. Unklar ist, ob die Mail denn auch von oben abgesegnet war oder ob da, ups, Interna weitergegeben wurden.
Unklar ist ebenfalls, wie es weitergeht. Der Vorfall zog bisher keine Kreise, zumindest nicht öffentlich. Ein Shitstorm ebenso wie die seriöse Behandlung des Vorfalls blieben aus. Sollte sich das nicht ändern, bedeutet es vor allem eines: Dass die Enthüllungen niemanden überrascht haben.
Die «Seemotzer» finanzieren sich übrigens aus Inseraten und Spenden. Wem kritische Artikel etwas wert sind, der findet hier Möglichkeiten zur Unterstützung. Frei nach George Orwell besteht Journalismus darin, das zu drucken, was irgendein anderer nicht gedruckt haben will. Alles andere sei PR. Und das ist keine Unterscheidung in richtig oder falsch. Das Etikett sollte allerdings stimmen. Beim grenzüberschreitenden kritischen Blog seemoz tut es das.
Autor: Stefan Böker, 11. Oktober 2013