Zwei Jahre seemoz
Vor genau zwei Jahren ging seemoz online. Manche sagten uns ein frühes Ende voraus, andere drückten uns ausdauernd die Daumen. seemoz-Sympathisanten werden erfreut sein, dass es uns immer noch gibt, unsere selbsternannten Totengräber können getrost ihre Schaufeln in den Keller tragen. Ein kurzer Rückblick und einer nach vorne
Das erste Jahr war gewissermaßen ein Testlauf, der aber von Anfang an signalisierte, dass es Bedarf gibt an einem unabhängigen Presseorgan in unserer Region. Im zweiten Jahr verstärkten wir die kommunalpolitische Berichterstattung und warfen zunehmend einen Blick in die benachbarte Schweiz. Das hat sich ausgezahlt. Die Zugriffe auf unsere Seiten steigen ständig, renommierte AutorInnen aus Deutschland und der Schweiz bereichern unser Angebot mit interessanten Beiträgen. Vor allem die grenzüberschreitende Kooperation mit der Zürcher WOZ funktioniert bestens und den KollegInnen im benachbarten Ausland sei dafür allerherzlichst gedankt.
Der größte Teil unserer LeserInnen stammt weiterhin aus dem Großraum Konstanz, aber auch aus den Nachbarstädten Radolfzell und Singen. Der mittlerweile oft gehörte Zuspruch: „Ihr seid unverzichtbar geworden“, freut uns. Selbstredend profitieren wir vor allem vom journalistischen Niedergang der Tageszeitung vor Ort. Zunehmend stellen deren LeserInnen fest, dass vom einstigen Anspruch eines in Ansätzen kritischen Journalismus nicht mehr viel übrig geblieben ist. Vor allem in der kommunalpolitischen Abteilung herrscht – von wenigen Ausnahmen abgesehen – der blanke PR-Journalismus. Nahezu jeder Bericht über das Sea-Life, die Therme, den Katamaran, das Lago und lange Zeit auch zum Thema KKH, um nur wenige Beispiele zu nennen, hätten die Öffentlichkeitsbeauftragten der jeweiligen Unternehmen nicht lobhudelnder formulieren können.
Wie man laue Information mit Werbung aufbrüht, zeigt eine aktuelle und durchweg drollige Geschichte. Der Südkurier widmet sich seit einigen Wochen der 68-er Generation. Um Lokalkolorit bemüht, werden B-Promis aus der Mottenkiste heraus gekramt und dürfen der Leserschaft mitteilen, wie es in jenen Jahren um ihre Weltsicht bestellt war. So kam die SK-Redaktion auf die bahnbrechende Idee, mal bei Vielschreiberin Gaby Hauptmann anzuklopfen. Die, für jede Art von Eigenwerbung rund um die Uhr zu haben, ließ sich nicht lumpen und stülpte willig ihr früheres Revoluzzerherz nach außen. Ja, sie sei auch mal jung gewesen, habe laute Rockmusik gehört und dazu enthemmt mit den Hüften gewackelt. Einmal sogar will sie versucht haben, die Belegschaft eines Zigarettenpapierherstellers von der Revolution zu überzeugen. Klappte aber nicht. Der guten Hauptmann kann man da keinen Vorwurf machen, wenn sie das Angebot, mal wieder fett ins Gespräch zu kommen, dankend annnimmt. Dass aber die durchweg peinliche Bauchnabelshow zu einer großen Story für die Seite drei aufgeblasen wird – dem Flaggschiff einer ernstzunehmenden Tageszeitung – dokumentiert den inhaltlichen Verfall der Zeitung. Zufällig“ wird in der selben Ausgabe ausführlich darauf hingewiesen, dass Gaby Hauptmanns neues Buch ab sofort käuflich zu erwerben sei – sicher auch bald in allen SK-Geschäftsstellen. Gibt’s ein Handy dazu, einen Staubsauger oder sogar eine Heizdecke mit Fernbedienung?
Da sind wir doch mal gespannt, wer die nächsten Wochen noch alles ins Blatt gehievt wird und über seine „wilden“ Zeiten erzählen darf. Drängelt da nicht schon der SPD-MdB Peter Friedrich nach vorne? „Ich war zwar noch im Kindergarten damals, aber in meinem kleinen Herzen bereits Jungsozialist“. Auch FDP-MdB Birgit Homburger könnte was beitragen. „In Hilzingen gab es zu jener Zeit zwei Langhaarige. Einen davon habe ich, der war so süss, trotz Verbot meiner Eltern sogar gegrüsst“. Oder der Grüne MdL Siegfried Lehmann: „Ich habe 1972 mal an ein AKW gepinkelt – ist das schon verjährt?“ Nicht zu vergessen CDU-MdL Andreas Hoffmann: „Ich trug bei einer RCDS-Sitzung Schlaghosen, mochte die Bee-Gees und war wirklich ein völlig ausgeflippter Vogel“. Ja, das wollen wir lesen.
Fassen wir uns an die eigenen Nasen. seemoz hat sicher im letzten Jahr einen Sprung nach vorne gemacht. Aber da ist in jeder Hinsicht noch viel Luft nach oben. Weiterhin ist unsere Redaktion, von den freien Mitarbeitern mal abgesehen, zu dünn besetzt. Themen gibt es genug, aber es mangelt an willigen Mittätern, die sich ihrer annehmen. Wir hoffen auf personelle Aufstockung und sehen kommenden Bewerbungen mit Spannung und Freude entgegen.
Wie war das doch? Geburtstagskinder dürfen sich was wünschen. seemoz gibt es immer noch umsonst und das wird sich auch nicht ändern. Von Sach- und Blumenspenden bitten wir abzusehen, freuen uns aber über jeden Spenden-Euro, der dazu beiträgt, unsere Arbeit zu erleichtern.
Danke vorab und bleibt uns gewogen.
Autor/In: Holger Reile