Der Berg ruft – die Maus kreist (15)

aus: Nebelhorn Nr. 36, April 1984, von Jochen Kelter

Franz Oexle war eine Weile auf Tauchstation, hat auch mal wieder sein Lieblingsferiengebiet Südostasien abgeklappert und bei der Gelegenheit gleich ein paar Reiseberichte verfertigt und sie obendrein noch ins Blatt setzen lassen. Aber nun ist er wieder voll da und auch schon zu Topfe gekommen. Hat sich flugs zurück auf die Sprossen im Glase des Frosches gesetzt und am 20. März „Das Wetterleuchten an der Isar“ ausgemacht, was sage ich, an der Isar – „vom Main bis zum Karwendel“. Hat’s zweispaltig auf der Titelseite verkündet, so wichtig war ihm die Illumination quer durch Deutschland, „von den Alpen bis zum Meer.“

„Fragt man nach den Ursachen…“ – warum Franz Oexle die bayerischen Kommunalwahlen vom 18. März auf die erste Seite bringt, so darf vermutet werden, weil’s Gelegenheit bot, dem Spezi Franz Josef1, dem Quertreiber, dem blöden, auf die Finger zu hauen und sich Ziehsohn Helmut, den Smiley aus Oggersheim, mal wieder zur Brust zu nehmen.

So legt er den Finger denn auch gleich unmißverständlich auf die Wunde, die „Schwachstellen des Bonner Regierungslagers“, die angeblich mitgeholfen haben, daß die Wähler „des weiß-blauen Bundeslandes“ (so schön können Bilder sein!) den Christsozialen die Wahltour vermasselt haben. „So die unzureichende und zumeist wortreich verklausulierte Aufklärung der Nation (bis rüber nach Pommern?) über das in heutiger Zeit für die Bundesrepublik Gebotene.“ Was wird in heutiger Zeit in der Bundesrepublik geboten? Da muß man gleich nochmal lesen, was?

„Die Schlappe der CSU vom Sonntag hat viele Väter.“ Man muß sich doch bei der Wahl der Sprachbilder auch einmal etwas überlegen. Wie man in den Wald hineinklausuliert, Franz, so geht der Krug zum Brunnen. „Doch den Hauptanteil an der versalzenen Suppe im Bayrischen liefern wohl hausgemachte Spezereien.“ Mit was sind wohl „versalzene Suppen“ versalzen, wenn nicht mit Salz? Mit Kümmel? Mit Bockbier? Mir kommt der Schuster in den Sinn, Herr Chefkoch, mit seinen Leisten. Oder mal im Duden nachschlagen? Im „Südkurier“-Archiv hat’s vielleicht einen.

Der Franz Josef aus Bayern reist halt viel rum- Franz Oexle schaut schier der Neid aus dem Schreibgriffel. „Was aber, wenn daheim am Sendlinger Tor die Straßenbahnen der Politik plötzlich aufs linke Gleis überwechseln?“ Nicht doch, Franz, nicht doch. „Die Straßenbahnen der Politik“. Da kriegt ja mein Goldfisch das Zähneklappern. „Aufs linke Gleis überwechseln“! Und dann dazu auch noch plötzlich. Hoppla, hier komm‘ ich, die Straßenbahn. Ohne einen Tramführerlehrgang absolviert zu haben, sollte man sich’s verkneifen, die Elektrische ins Schatzkästlein der geflügelten Worte zu entführen. Mir kommt schon wieder der Schuster. Und wer ist schon am Sendlinger Tor „daheim“? Was hast Du da denn wieder gesucht, Franz? Eine Metonymie? Ein Quidproquo?

Jochen Kelter: Finstere Wolken, Vaterland. Die deutsche Provinzpresse greift ein. 35 Glossen.
Jochen Kelters Glossen erschienen zwischen Dezember 1982 und März 1986 unter dem Pseudonym „Sunny“ im Regionalmagazin Nebelhorn, Konstanz. Seine Kolumnen, die zumeist Leitartikel des damaligen Südkurier-Chefredakteurs Franz Oexle zerpflücken, reflektieren die großen Ereignissen der damaligen Zeit: Mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) beginnen bleierne Jahre, die NATO-Aufrüstung löst eine breite Antikriegsbewegung aus, die IG Metall kämpft für die 35-Stunden-Woche, die USA überfallen Grenada, die Flick-Parteispenden-Affäre fordert ein paar Opfer …Sunnys Glossen zeichnen somit auch das Bild bewegter Jahre – mit Hausbesetzungen, Friedensblockaden, der zunehmenden Vernetzung regionaler Initiativen und Alternativzeitungen. Dazu gehörte das selbstverwaltete Nebelhorn, das 1980 zuerst als „Stadtzeitung für Konstanz“ erschien, ab 1984 als „Regionalmagazin für Politik und Kultur“ firmierte und bis 1989 über Ereignisse und Entwicklungen im westlichen Bodenseeraum berichtete.1986 erschienen die 35 Glossen im Drumlin-Verlag unter dem Titel „FINSTERE WOLKEN, VATERLAND. Die deutsche Provinzpresse greift ein“. 35 Glossen. Mit einem Nachwort von Pit Wuhrer. Weil das Buch längst vergriffen ist, erscheinen die 35 Episoden nun als Online-Neuauflage auf seemoz, immer sonntags.Vorwort von Jochen Kelter zur Online-Neuauflage der „Sunny“-Glossen

Nachdem er den Kohl gezupft und den Strauß gerupft, packt Oexle die Gelegenheit beim Kragen (für manche ist jede Gelegenheit eine gute Gelegenheit) und pinkelt noch schnell den Sozis ans Bein. Kiesl2 („reich an Verdiensten“) hat „damals“ die SPD geschlagen, „weil die Genossen der Isar-Metropole (also doch hinter den Quidproquos her!) mit teils widrigem Gezänk bereits ihren zweiten Oberbürgermeister verschlissen hatten.“ Widrige Umstände haben den Franz kurzerhand den Federkiel umgedreht und aus dem widerlichen ein widriges Gezänk gemacht. Und das Gegenteil würd‘ ich erst gern mal kennenlernen! Ein anheimelndes Gezänk? Ein Süßholz raspelndes Gezänk? Aber vielleicht ist das die Art, in der jetzt am Goethe-Institut in Burma Deutsch unterrichtet wird? Das wäre sie dann, die Wende in der Kulturpolikik.

„Ohne Fleiß kein Preis. Politik belohnt die Fleißigen und letztlich jene, die den Bürger vom richtigen Weg zu überzeugen vermögen.“ Und die Sonntagsredner im Leibfrack. Und die Schlitzohrigen. Und die Jahrmarktsgaukler. Und die Wanderprediger und die Quacksalber. So hättst Du’s gern, gell, Franz? Schon wieder ganz der Alte. Der Frühling kommt ins Land, und alles ist gleich wieder als wäre nie nix gewesen.

Sunny                                                                                                                                                         April 1984

 

Anmerkungen:

1 Gemeint ist Franz-Josef Strauß (CSU), war ab 1953 Bundesminister (für Atomfragen, für Verteidigung, für Finanzen) und von 1978 bis 1988 Bayerns Ministerpräsident.

2 Erich Kiesl (CSU) war ab 1978 Münchens skandalanfälliger Oberbürgermeister; er wurde 1984 abgewählt. Außerdem saß er von 1966 bis 1978 und von 1986 bis 1994 im bayrischen Landtag. Er wurde 1998 wegen Falschaussage und Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit  zwielichtigen Grundstücksgeschäften zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt.