Essen für den Hunger (23)
aus: Nebelhorn Nr. 45, Februar 1985, von Jochen Kelter
Diesmal wurde nicht für den Frieden gefastet, diesmal wurde für den Hunger gegessen. Die Kirchenglocken läuteten dazu, und alle, alle gaben ihr Scherflein. Es gab sowieso kein unerkanntes Durchkommen zwischen den Spendenbüchsen und ein großes Gerangel zwischen Caritas, Rotem Kreuz, Diakonischem Werk und all den vielen anderen selbstlosen Hilfsorganisationen. 23. Januar: „Ein Tag für Afrika“. Wie weiland in der Schule als vorn auf dem Lehrerpult der Mohr brav mit dem Kopf nickte, wenn man einen Zehner für „unser Negerkind“ in seinen Kopf steckte. Irgendetwas Brenzliges muß wohl auch „Südkurier“-Lokalredakteur Erich Gropper gerochen haben. Sonst hätte er am 25.1.85 auf der Lokalseite wohl kaum zu einem solchen Schlag in die Suppe zur Verteidigung des Hungerschmauses ausgeholt. Ein „Solidaritätsessen“ sei’s halt gewesen und schiebt, um die sozialistische Vokabel zu mildern, gleich „symbolische Armenspeisung“ hinterher. Ich stelle mir den Münsterpfarrer vor, wie er symbolisch gespeist wird und gleich nachher in seiner Schublade nach der Schokolade fingert.
„Für ein betont bescheidenes Essen wird ein verhältnismäßig hoher Preis bezahlt.“ Ach, Erich, Du gerätst in die Fremdenverkehrswerbung. Aber der läßt nicht locker: „Bei solchen Solidaritätsessen wird eine bestimmte Form gepflegt.“ Rülpsen verboten bei solchen Essen aus Solidarität mit solchen, die vor Hunger krepieren! „Wichtig ist zum Beispiel, daß jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer sein Essen selber holt, sich auch dessen bewußt ist.“ Seit wann führst Du denn die Teilnehmerinnen gesondert auf, Gropper? Wenn Du dir „bewußt“ wirst, daß Du Dir dein Essen „selber“ holst?
Dann kommt er uns mit den Pfaffen. „Praktizierenden Christen von Konstanz ist das und ähnliches sehr vertraut.“ Das „und ähnliches“. Das wundert mich nicht. „Jene allerdings, denen … ein Solidaritätsessen ganz fremd ist und die es deswegen kritisieren…“ „Deswegen“! Erich, Erich, Du Jesuitenschüler! Aber was ist nun mit denen, die an allem, was ihnen „fremd“ ist, herummäkeln? Sie „gehören nach der Meinung von Seelsorgern nicht zum Kreis derer, die innerhalb der Kirchen sind…“ – bei denen, die innerhalb der Kirchen sind, hast Du wohl Dein Deutsch gelernt, wie? – „… und Jahr für Jahr sehr viel spenden, um notleidenden Menschen zu helfen.“
Ich nehme an, das soll im Klartext heißen, wer was auszusetzen hat an dieser selbstherrlichen, an dieser bornierten Geschmacklosigkeit, der ist ein knickriger Heide? Den trifft der Bannstrahl der Monsignori? Weißt Du, was Du Deinen „Seelsorgern“ ausrichten kannst, Erich? Sie sollten sich ihren Drohfinger sonstwohin stecken, damit die Suppe besser flutscht.
Pünktlich zum 23. Januar hat der „Südkurier“ noch einen anderen Christenmenschen aufgeboten: Gastkommentator Otto B. Roegele schreibt über Äthiopien, wie es früher war: „Es gab zwar kein Bargeld, aber es brauchte auch niemand Hungers zu sterben.“ Genau. „Die neuen Herren waren damit nicht zufrieden.“ Ah! Roegele geißelt den Kolonialismus des 19. und 20. Jahrhunderts, der die Ökonomie und Infrastruktur des afrikanischen Kontinents zerstörte, seine Wälder abholzte, Seuchen einschleppte, ihn ausblutete und aussaugte.
Jochen Kelters Glossen erschienen zwischen Dezember 1982 und März 1986 unter dem Pseudonym „Sunny“ im Regionalmagazin Nebelhorn, Konstanz. Seine Kolumnen, die zumeist Leitartikel des damaligen Südkurier-Chefredakteurs Franz Oexle zerpflücken, reflektieren die großen Ereignissen der damaligen Zeit: Mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) beginnen bleierne Jahre, die NATO-Aufrüstung löst eine breite Antikriegsbewegung aus, die IG Metall kämpft für die 35-Stunden-Woche, die USA überfallen Grenada, die Flick-Parteispenden-Affäre fordert ein paar Opfer …Sunnys Glossen zeichnen somit auch das Bild bewegter Jahre – mit Hausbesetzungen, Friedensblockaden, der zunehmenden Vernetzung regionaler Initiativen und Alternativzeitungen. Dazu gehörte das selbstverwaltete Nebelhorn, das 1980 zuerst als „Stadtzeitung für Konstanz“ erschien, ab 1984 als „Regionalmagazin für Politik und Kultur“ firmierte und bis 1989 über Ereignisse und Entwicklungen im westlichen Bodenseeraum berichtete.1986 erschienen die 35 Glossen im Drumlin-Verlag unter dem Titel „FINSTERE WOLKEN, VATERLAND. Die deutsche Provinzpresse greift ein“. 35 Glossen. Mit einem Nachwort von Pit Wuhrer. Weil das Buch längst vergriffen ist, erscheinen die 35 Episoden nun als Online-Neuauflage auf seemoz, immer sonntags.Vorwort von Jochen Kelter zur Online-Neuauflage der „Sunny“-Glossen
Doch weit gefehlt! Otto B. beliebt, dieses Kapitel beiseitezulassen und den schwarzen Peter jenen „neuen Herren“ zuzuschieben, die er „Entwicklungsdiktatoren“ nennt. Es ist halt einfacher – und zeigt, was hinter den Solidaritätssuppen und dem ganzen Spendengerassel wirklich steckt -, alles „auf das Konto des roten Tyrannen in Adis Adeba“ zu schieben.
Rogele überlegt, ob er die Amerikaner nicht „tadeln soll“ daß sie „sich auf dieses Spiel eingelassen“ haben, bei der Nahrungsmittelverteilung mit den Sowjets zusammenzuarbeiten. Uns aber will er „veranlassen, bei der langfristigen Entwicklungshilfe genauer zuzusehen. Es ist sinnlos, ja schädlich, in falsche Systeme zu investieren.“ Schädlich, 30 Milliarden Dollar an die Entwicklungsländer zu zahlen und ihnen 100 Milliarden an Zinsen abzupressen? Ich kann, ihr Christen, die Suppe gar nicht so schnell löffeln, wie ich kotzen möchte.
Sunny Februar 1985