Finstere Wolken nach wie vor

Es gab keinen konkreten Anlass, soweit ich mich erinnern kann, für die erste Kolumne, die ich im Dezember 1982 für das Konstanzer Monatsmagazin Nebelhorn unter dem Pseudonym Sunny schrieb. Fortan verfasste ich bis zum März 1986 jeden Monat eine solche Kolumne, die häufig die Leitartikel des Südkurier-Chefredakteurs Franz Oexle, aber auch anderer „Großmeister des Sprechblasenspätbarock“ aufs Korn nahmen.

Es ging darum, sie anhand ihrer Sprache aufzuspießen. Die schiefen Metaphern, die hinkenden Vergleiche, die verblasene Diktion, die luftigen Sprechblasen, die mahnenden Zeigefinger vom Kopf auf die weltanschaulich konservativen bis reaktionären tönernen Füße zu stellen. Ein Weltbild zu entlarven, das nach wie vor davon ausging, Geschichte werde von großen Männern gemacht. Also ihren eigentlichen Gehalt hervor zu kitzeln: Rechts ist gut, Kapitalismus tut gut, Progressiv ist verdächtig, der Feind steht links. Die BRD als Fortsetzung des Dritten Reichs mit anderen, sogenannten friedlichen Mitteln. Aber das alles mit der Freude an der Dekonstruktion einer verstaubten Metaphorik und aufgeladenen Rhetorik, die mich in über drei Jahren nicht verlassen hat.

Es ging auch darum, trotz des Beginns der Ära Kohl zu zeigen, dass eine neue Zeit angebrochen,  in der sich der einzelne nicht mehr wie selbstverständlich bevormunden ließ, dass die Nachkriegszeit endgültig zu Ende gegangen war.  Der Südkurier ist seiner Mission treu geblieben, auch wenn seine Auflage, wie die der meisten Printmedien, inzwischen von 140 000 auf 117 000 Exemplare täglich geschrumpft ist. Aber die Mittel haben sich geändert, der medialen Umwelt und der Werbung angepasst. Nicht mehr die pointierte (wenn häufig auch blumig verschlüsselte) Meinung, das Machtwort sind gefragt, sondern Konsens und Mainstream. Man gibt sich nicht mehr so leicht der Lächerlichkeit preis wie dazumal. Es herrscht Alternativlosigkeit, die die gesamte bleierne gesellschaftliche und politische Verfasstheit auszeichnet. Den Menschen schon mit Kleinigkeiten einzubläuen, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben. In ihr haben inzwischen Schwule und Schwarze Platz, aber kein selbstgewählter Lebensweg ohne ständigen Konsum, die Erfassung aller Lebensdaten und die Androhung der Sozialhilfekürzung. Das globale System, das von Oligarchen und Weltkonzernen gelenkt wird, muss, in Teilhabe an sinnlosem Konsum und Selbstentäußerung verpackt, alternativlos erscheinen. Dass dem nach wie vor nicht so ist, bleibt vornehmste Aufgabe allen aufgeklärten Schreibens, wenn auch vielleicht mit weniger Lustgefühlen verbunden als vordem.

Jochen Kelter

Von Jochen Kelter ist zuletzt erschienen: „Jetzt mache ich einen Satz. Ein fast aussichtsloser Versuch über die gelöschte Vergangenheit“. Kleine Oberrheinische Bibliothek, 2017. ISBN-13: 978-3744854566